Beichte

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POV: Patrick

Das Wasser am Strand ist still und stinkt. Die Klippen schirmen den Wind ab, aber hoch über uns braust und pfeift er wie ein Drache. Ich liebe es hier.

Halme hartnäckiger Gräser verheddern sich unter unseren Stiefeln, während wir zu den Stegen hochklettern. Das Meer gefriert nicht, egal wie kalt es wird, aber jeder der Grashalme ist von einer Eisschicht überzogen. Manu hält sich ein Stück hinter mir. Wir brauchen nicht sprechen.

Wir sind nach der Schule direkt hier her gefahren. Solange Robin noch mit uns im Auto saß, haben wir kein Wort über unsere Verabredung verloren.

Mein Boot ist winzig und fast so breit wie lang. In der Kajüte passt man nur stehend nebeneinander, an der Reeling muss man sich aneinander vorbei quetschen, und im Bauch unter Deck kann man sich nur robbend auf allen Vieren bewegen. Der Lack blättert vom Geländer und den Fensterrahmen. Ich hab ihn selber aufgetragen als ich sieben war. Nur meinetwegen hat meine Familie ein Boot. Damals fand ich es toll, bis ich begriffen habe, dass ich ohne meine Eltern gar nicht damit rausfahren darf. Und dann stand es sich Jahre lang den Bauch ins Dach, bis Mom sich endlich keine Sorgen mehr um mein Abdriften, Verhungern, Verlorengehen und Ertrinken gemacht hat.

Manu kippt fast um, als der Boden erstmals mit den kleinen Wellen unter seinen Füßen schwankt. Ich greife nach seinen Unterarmen um ihn zu stützen, und kurz legt er dankbar eine Hand auf meine. Wir beide kichern. Er lässt sich zeigen, wie man ablegt, aber ich stelle den Motor bald aus und lasse uns weiter nach draußen dümpeln. Manu sitzt im Schneidersitz am Bug und schaut zu, wie sich das Wasser vor seiner Nase teilt. Auch als ich mich hinter ihm niederlasse, dreht er sich nicht zu mir um. Ich lege eine Hand auf seine Hüfte und schaue zu, wie sich die Haare in seinem Nacken aufstellen.

"Darf ich dir was erzählen", frage ich. Manu nickt und wartet.

"Ich lüge viel."

Ich kann sein Lächeln in seiner Stimme hören. "Das ist alles?"

"Richtig viel."

"Okay." Er dreht sich zu mir um. "Hast du mich angelogen?"

"Ich glaube nicht. Aber ich tue es so oft, dass ich dir das nicht sicher sagen kann."

Jetzt sieht er besorgt aus. "Erzähl."

Ich erzähle. Dass meine Eltern denken, ich hätte ein Stipendium gesichert und wieder verloren, das es nie gab. Dass meine Mitschüler alle einen völlig unterschiedlichen Menschen in mir sehen. Dass ich über Kleinigkeiten lüge, wann immer sich mir die Gelegenheit bietet. Dass ich mich in Robin verliebt habe, weil sie die Erste war, die gemerkt hat, wie ich alle Anderen anflunkere.

Er legt eine Hand auf meine Schulter. Als würde er mich eigentlich lieber umarmen, und sich das nicht trauen. "Kurz, du bist bei denen Eltern gezwungen zu lügen, und überall anders lügst du, damit du dir einreden kannst, du hättest die Kontrolle."

Ich hole Luft und merke erst dabei, wie lange ich geredet habe. "Ich glaube, ich lüge einfach gerne."

"Nein, tust du nicht." Er klingt entschieden.

Ich lege den Kopf schräg. "Warum?"

"Weil du dich dann nicht in den Menschen verliebt hättest, der dich durchschaut."

Vor ein paar Wochen hätte ich dem einfach zugestimmt. Aber jetzt ist da mehr.

Ich schaue ihn an. Ich will irgendwas sagen. Irgendwas, was verbirgt, dass ich die ganze Zeit an nichts anderes denken kann, als wie es war ihn zu küssen.

"Da ist noch etwas." Meine Stimme ist rau. "Ich weiß, dass du uns zugeschaut hast."

Mein Blick springt in seinen. Ich rechtfertige mich nicht dafür, dass ich das zugelassen habe, und er sich nicht dafür, dass er hingeschaut hat. Jetzt kann ich nicht wegsehen, und der Moment zieht sich in die Länge wie ein Gummiband. Schwingt und zittert in der Luft. Spannt sich weiter, bis er zu Sirren beginnt. Er ist so komisch unsicher zu meinem Körper hingedreht. Ich habe Gänsehaut, die sich ausbreitet, bis sie mich bedeckt. Ich befeuchte meine Lippen. Er atmet flach.

Das Sirren erreicht seinen Höhepunkt. Der Moment zerreißt und entläd sich. Ich lehne mich vor, ohne die Entscheidung dazu getroffen zu haben. Ich weiß nicht, was ich tue. Irgendetwas ergreift mich.

Als ich merke, wie nah ich ihm bin, will ich zurückweichen. Aber seine Hände umfassen meine Schultern. Unsere Lippen sind eisig und leicht. Wir berühren uns so vorsichtig, dass man es kaum einen Kuss nennen kann. Aber mein Herz rast. Ich atme ein und küsse ihn wieder.


Weg vom Fenster - #KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt