Das Sonnenlicht schien durch die weißen Vorhänge, als ich die Tür zu meinem alten Zimmer öffnete. Es war, als hätte die Zeit hier drinnen stillgestanden. Die Möbel, die Farben, der Geruch – alles war genauso, wie ich es in Erinnerung hatte. Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit überkam mich, als ich meinen Koffer auf dem Boden abstellte und mich langsam umsah.
Die Wände waren in einem sanften Cremeweiß gestrichen, und über dem Schreibtisch hingen immer noch die alten Zeichnungen, die ich vor Jahren gemacht hatte. Auf dem Regal standen meine alten Bücher, und das Bett war mit derselben flauschigen Decke bedeckt, in die ich mich früher immer eingekuschelt hatte. Es fühlte sich fast wie ein Rückzug in eine längst vergangene Zeit an.
Langsam ließ ich mich auf das Bett sinken und strich mit meinen Fingern über die weiche Decke, während meine Gedanken schweiften. Plötzlich fiel mein Blick auf den kleinen Nachttisch neben dem Bett. Darauf stand ein silberner Bilderrahmen, leicht verstaubt. Ohne nachzudenken, griff ich danach und hob das Bild an.
Als ich es sah, stockte mir der Atem. Es war ein Foto von Paul. Er war etwa fünfzehn Jahre alt, sein breites Lächeln, das mir so vertraut war, strahlte aus dem Bild heraus. Die Erinnerung an seine lebendigen Augen und das schelmische Grinsen traf mich mit voller Wucht. Ich konnte mich nicht erinnern, wann genau dieses Foto aufgenommen wurde, aber es brachte all die Gefühle und Erinnerungen, die ich so lange unterdrückt hatte, mit einem Schlag zurück.
Ich starrte auf das Bild, und die Welt um mich herum begann sich zu drehen. Es war, als würde die Zeit verschwimmen, und bevor ich es merkte, wurde ich in eine Erinnerung hineingezogen, die so lebendig war, dass ich fast meinte, wieder in der Vergangenheit zu sein.
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**„Hanna, fang!"**
Paul lachte, als er den Fußball zu mir hinüberkickte. Wir standen im Garten hinter dem Haus unserer Großmutter, umgeben von den üppigen Pflanzen und den bunten Blumen, die Rosa so liebevoll gepflegt hatte. Der Nachmittag war warm, die Sonne schien hell und die Luft war erfüllt von Sommergerüchen und Vogelgesang. Ich grinste, als ich den Ball mit dem Fuß stoppte und ihn geschickt zurückspielte.
„Glaubst du wirklich, du kannst mich schlagen?" rief ich herausfordernd und trat energisch gegen den Ball.
Paul fing den Ball auf und rollte mit den Augen, spielte aber weiter mit. „In deinen Träumen, kleine Schwester", neckte er mich, während er den Ball elegant an mir vorbeispielte. Doch anstatt ernsthaft zu spielen, ließ er sich fallen und landete lachend auf dem weichen Gras.
Ich setzte mich neben ihn, atmete schwer, aber lächelte über das ganze Gesicht. Die Wärme der Sonne auf meiner Haut, das Lachen meines Bruders – all das fühlte sich so perfekt, so unbeschwert an.
Paul sah mich an, sein Lächeln wurde weicher, ernster. „Weißt du was, Hanna?"
„Was denn?", fragte ich neugierig und sah ihn mit großen Augen an.
Er zögerte einen Moment, dann sagte er leise: „Ich hab dich lieb, weißt du das? Egal, was passiert, ich werde immer für dich da sein."
Mein Herz wurde warm bei seinen Worten. Ich wusste, dass er es ernst meinte, dass er immer dieser große Bruder sein würde, auf den ich mich verlassen konnte. „Ich hab dich auch lieb, Paul", antwortete ich und legte meinen Kopf auf seine Schulter, während wir gemeinsam in den Himmel blickten.
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Die Erinnerung löste sich auf, und ich wurde langsam wieder in die Realität zurückgezogen. Meine Augen waren immer noch auf das Foto in meiner Hand gerichtet, doch das fröhliche Lächeln, das ich in der Erinnerung noch gefühlt hatte, war verschwunden. Stattdessen spürte ich eine tiefe Traurigkeit, die meinen ganzen Körper durchströmte.
Eine einzelne Träne lief mir über die Wange, und ich wischte sie hastig weg. Der Schmerz des Verlustes war immer noch frisch, als wäre keine Zeit vergangen. Ich legte das Bild zurück auf den Nachttisch, atmete tief durch und zwang mich, die Fassung zu bewahren.
Es war zu lange her, dass ich Pauls Grab besucht hatte. Zu lange hatte ich den Schmerz vermieden, hatte mich davor gedrückt, mich mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Doch jetzt, in diesem Zimmer, inmitten all dieser Erinnerungen, wusste ich, dass ich es nicht länger hinauszögern konnte.
Entschlossen stand ich auf, verließ das Zimmer und machte mich auf die Suche nach Fernando. Ich fand ihn schließlich in der Küche, wo er gerade einen Tee zubereitete.
„Fernando", begann ich zögernd, „kannst du mir sagen, wie ich zum Friedhof komme? Ich... ich möchte Paul besuchen."
Fernando sah mich einen Moment lang prüfend an, als ob er den Ernst meiner Worte in meinen Augen suchte. Dann nickte er langsam. „Natürlich, Hanna. Ich bringe dich hin."
Dankbar nickte ich, und zusammen verließen wir das Haus. Die Fahrt zum Friedhof war still, doch die Ruhe, die zwischen uns herrschte, war nicht unangenehm. Es war eine Stille des Verständnisses, des gemeinsamen Schmerzes, den wir beide fühlten, auch wenn wir ihn auf unterschiedliche Weise verarbeiteten.
Als wir schließlich am Friedhof ankamen und Fernando den Wagen abstellte, fühlte ich mich bereit. Bereit, mich dem Schmerz zu stellen, bereit, mich von den Erinnerungen überwältigen zu lassen – und vielleicht, irgendwann, Frieden zu finden.
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𝐬𝐭𝐞𝐫𝐧𝐞 𝐮̈𝐛𝐞𝐫 𝐁𝐚𝐫𝐜𝐞𝐥𝐨𝐧𝐚✵|| Pablo Gavi ff
FanfictionHanna-Rosa López ist mit ihren 17 Jahren eine außergewöhnliche junge Frau. Nach ihrem vorgezogenen Abitur plant sie ein Medizinstudium, doch bevor sie sich in die Welt der Wissenschaft stürzt, verbringt sie den Sommer in Barcelona bei ihrer Großmutt...