Kapitel 3

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„Olivia... sie hat meine Aggressionsprobleme vor unseren Freunden angesprochen, obwohl sie weiß, wie schwer mir dieses Thema fällt." Diese Aussage bewegt mein Gegenüber zu einem sanften Lächeln, worauf eine kurze, aber trotzdem deutliche Berührung auf meinem Arm folgt. Augenblicklich verspüre ich ein unbekanntes Kribbeln in meiner Bauchgegend, welches ich aber gekonnt ignoriere. „Hat sie es denn Böse gemeint? Ihr wart beide eben sehr angespannt durch die vergangene Situation und ich denke, dass ich einen großen Teil dazu beigetragen habe, dass sie so aus ihrer Haut gefahren ist." „Das spielt für mich keine Rolle. Es gibt viele Dinge über Olivia, die ich nichtmal im schlimmsten Streit preisgeben würde und das erwarte ich im Umkehrschluss auch von ihr.", erkläre ich und ernte vollstes Verständnis. „Vielleicht suchst du zu einem späteren Zeitpunkt nochmal das Gespräch und lässt erstmal Ruhe zwischen euch einkehren. Solltest du dich alleine mit deinen Gedanken und Emotionen fühlen, kannst du mir eine Mail schicken." Dankend nicke ich, erwidere aber nichts. Obwohl mir dieses Gespräch unglaublich guttut, macht es mich gleichzeitig verrückt. Ihre Gegenwart macht mich verrückt. „Gibt es sonst noch etwas, was dir Sorgen bereitet?", fragt Frau Smith explizit nach und schaut mich dabei eindringlich an, doch ich verneine und verabschiede mich wenige Augenblicke später von ihr, um den restlichen Schultag über mich ergehen zu lassen.

Am späten Nachmittag kehre ich nach Hause zurück, nachdem ich noch joggen war und die Hoffnung hatte, damit all meine Gedanken abschütteln zu können; erfolglos. Ich schließe also hastig die Haustür auf und gehe gleich in die Küche, wo ich auf meine Eltern treffe, die sich angeregt am unterhalten sind. „Ach, hallo Süße!", kommt es von meiner Mutter und auch mein Vater begrüßt sie, da beide früh aus dem Haus waren und wohl erst vor ein paar Minuten heim gekommen sind. „Warst du noch laufen?", erkundigt sich meine Mutter als diese mich mustert, woraufhin ich lediglich zustimmend nicke und mich nun ebenfalls an den Tisch setze. Ich muss mit meinen Eltern über meinen Ausbruch sprechen, zumindest hatten wir das zum Ende der Therapie so festgehalten, aber meine Aggressionen sind eben alles andere als ein einfaches Thema für mich, obwohl die beiden immer stets hinter mir stehen. Allerdings kennt mich meine Mutter aber auch viel zu gut, was mir nun gelegen kommt: „Spatz, was liegt dir auf dem Herzen?" Ich schlucke und versuche meine Gedanken, die weiterhin wie verrückt in meinen Kopf rattern, zu sortieren und beginne einfach: „Ihr kennt ja Olivia, die kein Blatt vor den Mund nimmt und wisst auch, dass wir eine neue Tutorin haben..." Ich halte kurz inne, um nichts über meine Gefühlslage zu verraten und fahre schließlich fort: „Frau Smith ist bezüglich mancher Dinge eher streng beziehungsweise hat hohe Ansprüche was ihre Autorität sowie den Respekt ihr gegenüber betrifft, was wiederum bereits zum zweiten Mal zu Stress mit Liv geführt hat. Selbstverständlich war ich mehr oder weniger daran beteiligt, wenn auch als Opfer der Situation und habe heute erstmals wieder mit meiner Wut zu kämpfen gehabt und nachdem Olivia mich dies bezüglich indirekt bei den anderen geoutet hat, hatte ich einen Aggressionsausbruch." Zum Ende hin merke ich, wie meine Stimme bricht und sich eine Träne den Weg über meine Wange bahnt, die meine Mutter sachte verstreicht und mich sanft in den Arm nimmt. Ich lasse diese Geste bereitwillig zu und erwidere diese, was mich schnell wieder festigt. „Möchtest du die Behandlung wieder aufnehmen oder meinst du, dass du es alleine schaffst?" „Ich kann es euch ehrlich nicht sagen, da ich jetzt gute neun Monate keinen Wutausbruch mehr hatte. Gleichzeitig war es aber genau wie damals... es hat sich nichts an der Intensität geändert.", erläutere ich wahrheitsgemäß und bin dankbar, solch unterstützende Eltern zu haben. Meine Mutter nimmt meine Hand in ihre und streicht diese sanft. „Lass es dir ruhig erstmal durch den Kopf gehen und rede aufjedenfall nochmal mit Olivia, denn sie hat dich diesbezüglich bisher immer unterstützt und ich denke nicht, dass sie es Böse mit dir meint. Wobei ich eigentlich gerne mehr Details hören würde, denn dich bringen ja nicht viele ihrer Äußerungen zur Extase." Und damit liegt meine Mutter garnicht falsch, denn schließlich kennen wir uns schon seit dem Kindergarten. Dementsprechend bin ich an sie und ihre Art gewöhnt, aber diesmal ist es etwas ganz anderes. Es scheint mir als würden ihre Grenzen stetig verschwimmen. „Ich verspüre soetwas wie eine Faszination für unsere Tutorin, was ja nicht weiter bedenklich ist. Jedoch hat Olivia heute wiederholt anzügliche Kommentare von sich gegeben, die Frau Smith nicht entgangen sind und sie in Unbehagen versetzt haben. Ihr kennt Olivia und ihre kecke Art, aber sie scheint garnicht mehr rational über den Raum nachzudenken, in dem sie sich befindet.", erkläre ich meiner Mutter, da ihre Neugierde mir sowieso keine Ruhe gelassen hätte. „Ihre anzüglichen Äußerungen kennen wir bereits, aber im Unterricht und dann auch noch über eine Lehrkraft?" Bestätigend nicke ich. Was soll ich auch groß darauf erwidern? Meine Mutter selbst kennt meine beste Freundin sehr gut und hat schon über so einige ihrer Handlungen sowie Kommentare den Kopf schütteln müssen, denn besonders im familiären Raum kennt sie keine Grenzen und hat somit auch schon die ein oder anderen Dinge zu meiner Mutter gesagt, die man sich hätte verkneifen können. Was Olivia in meiner Gegenwart oder meinetwegen auch in der unserer Freunde sagt ist die eine Sache, aber das nun auch eine Lehrkraft davon betroffen ist, geht über jegliche Grenzen hinaus und diese sollten definitiv wieder vor ihrem Auge auftauchen, da sie sonst wohlmöglich in eine unangenehme Situation gerät. „In Ordnung. Wie deine Mutter schon sagte; denk über die Therapie nach und komm dann einfach zu uns, um gegebenenfalls über die Einzelheiten zu sprechen.", sagt nun mein Vater, um das Thema für heute zu beenden.

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