Kapitel 9

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Als ich am Abend in meinem Zimmer sitze und meinen Gedanken nachhänge, erreicht mich ein Anruf von Olivia: „Hey Amy, können wir bitte nochmal reden?" Ich nehme ein paar Atemzüge ehe ich ihr antworte: „Worüber möchtest du reden? Wenn du mir wieder nur sagen möchtest, dass ich übertreibe..." „Nein, ganz im Gegenteil. Du bist meine beste Freundin und es war nicht fair, dir nicht schon früher von Steve erzählt zu haben. Daher würde es mich freuen, wenn du mit mir zu seinem Geburtstag kommst und ihn als erste kennenlernst. Das würde mir sehr viel bedeuten.", unterbricht sie mich und ich kann die Unsicherheit in ihrer Stimme klar raushören. Aber was würde unsere Freundschaft bedeuten, wenn ich ihr diese Tatsache noch wochenlang vorhalte? „Ich begleite dich gerne." Olivia atmet am anderen Ende der Leitung erleichtert auf, weshalb ich nun einfach lache und sie kurze Zeit später in dieses miteinsteigt. Ich könnte niemals wirklich lange auf sie sauer sein oder gar nicht mit ihr sprechen. Wir quatschen daher noch ein wenig über die vergangenen Tage, wobei ich stets versuche Frau Smith nicht zu erwähnen und damit keine von uns in eine unangenehme Lage zu bringen. Schließlich sind private Treffen -vorallem bei ihr zuhause- strikt verboten und sollten diese rauskommen, könnten wir beide ein großes Problem bekommen. Ich werde dieses Thema also ruhen lassen, obwohl ich mich gerne einer dritten Person anvertrauen würde. Gerade erst habe ich mir die Gefühle für Frau Smith eingestanden und habe trotzdem damit zu kämpfen, weil ich soetwas bisher nicht empfinden durfte. Auch habe ich nie darüber nachgedacht, dass ich gerade für eine Frau auf diese Weise fühlen könnte. Insgesamt ist es also eine große Belastung, die ich jedoch mit mir alleine ausmachen muss. Mit wem sollte ich auch sonst reden? „Ist denn sonst irgendwas? Du wirkst ziemlich betrügt.", unterbricht meine beste Freundin meine Gedanken und ich könnte mich gerade ohrfeigen. Natürlich kennt sie mich gut genug, um die kleinsten Veränderungen zu bemerken. „Das liegt nur an der Therapiesuche, die momentan läuft. Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut." Ich lüge Olivia nicht gerne an, aber was habe ich für eine Wahl?

Die nächsten Tage versuche ich mich abzulenken und distanziere mich damit auch von meiner Lehrerin, die dies vorerst lediglich hinnimmt und mich nicht darauf aufmerksam macht. Doch am Freitag scheint auch sie dadurch an ihre Grenzen zukommen, weshalb sie mich schließlich auf meinen plötzlichen Wandel anspricht: „Amelia, wieso distanzierst du dich von mir?" Sie wirkt bedrückt, was wohl auf Gegenseitigkeit beruht. Es ist mir nicht leicht gefallen, nicht mit ihr zu sprechen und konnte daher auch kaum an Schlaf gewinnen. Meine Laune ist insgesamt schlechter geworden, was mich einige Male wütend gemacht hat. Wieso muss denn auch meine Stimmung von ihr abhängen? „Das mache ich garnicht.", versuche ich mich rauszureden, was aber keine Wirkung zeigt. Wer hätte es gedacht... „Mach mir bitte nichts vor. Du bist mir seit dem letzten Gespräch aus dem Weg gegangen und ich verstehe nicht wieso, denn bis dato war alles okay. Zumindest dachte ich das." „Es tut mir leid. Ich versuche gerade der Wut bestmöglich aus dem Weg zu gehen und hänge meinen Gedanken dadurch ziemlich nach. Es kostet mich viel Kraft, weshalb ich automatisch auch Ihnen aus dem Weg gegangen bin. Ich denke, dass sich da gerade einiges in meinem Unterbewusstsein abspielt und ich das Chaos erstmal irgendwie aufräumen muss.", gestehe ich ihr nun doch die halbe Wahrheit. Frau Smith runzelt kurz ihre Stirn und scheint nachzudenken, geht nachher aber auf meine Worte ein: „Du machst dir eindeutig zu viele Sorgen. Ich möchte, dass du mit mir sprichst und dabei spielt es keine Rolle, was du mit dir auszumachen hast. Mir ist es wichtig, dass du mit deinen Gefühlen und Gedanken nicht alleine bist und daher möchte ich, dass du dich wirklich jederzeit bei mir meldest. Dir muss mir gegenüber nichts peinlich sein." Die Worte dringen zu mir durch und lösen so viele verschiedene Emotionen in mir aus. Nichts wäre mir lieber als jeden Tag mit ihr zu reden, in ihre wunderschönen Augen zu schauen und mich durch ihre gesamte Erscheinung faszinieren zulassen. Aber abgesehen davon, dass sie meine Lehrerin ist, ist sie verheiratet und kann mir nicht das geben, was ich mir von ihr wünsche. Ich möchte, dass sie mich durch die selben Augen sieht wie ich es tue und mir das zurückgibt, was ich ihr geben würde. „Du scheinst wirklich ziemlich aufgewühlt zu sein. Lass uns am Montag nochmal reden und bisdahin wünsche ich dir ein schönes Wochenende.", beendet sie nun prompt das Gespräch und lässt mich perplex zurück.

Unerreichbar nah / {txs}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt