Kapitel 20

80 8 0
                                    

Joanna und ich haben uns irgendwann dazu entschieden das Schulgebäude zu verlassen und eine Runde gemeinsam spazieren zu gehen, weshalb wir nun schweigend nebeneinander durch den Park gehen und scheinbar beide die Anwesenheit des anderen genießen. Doch ich kann nicht verhindern, dass sich meine Gedanken anfangen zu kreisen und meine Laune damit ein wenig kippt. Überraschenderweise bleibt Joanna nun stehen und schaut mir in die Augen, was mich ein wenig irritiert und trotzdem erwidere ich ihren Blick. „Was ist los?", fragt sie mich und überrascht mich damit erneut. Wie kann es sein, dass sie mich so gut lesen kann und dafür keinerlei Anstrengung bedarf? „Was meinst du?" „Amelia, jeder noch so kleine Blick reicht mir, um zu sehen, dass du nicht okay bist." Egal wie gerne ich ihr sagen würde, was sich in meinem Inneren abspielt, es wäre falsch. Würde ich ihr sagen, was ich für sie empfinde, dann würde ich dieses unglaublich tolle Verhältnis zwischen uns zerstören. Vermutlich würde Joanna es nicht zugeben, aber es wäre ein Grund für sie, sich von mir zu distanzieren und das nicht alleine aufgrund ihrer aktuellen Unsicherheit. Wir wissen beide, dass da meinerseits mehr ist, aber solange es niemand ausspricht, bleibt es irreal. „Ich bin einfach nur überfordert, das ist alles." „Das ist alles? Überforderung sorgt für Anspannung, das wissen wir beide ganz genau und das macht mir Sorgen.", erwidert sie und nimmt, scheinbar unterbewusst, ihre Hand in meine und jagt damit eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Augenblicklich lässt sie meine Hand wieder los und schaut mich einen Moment nur an, ehe sie fortfährt: „Wovon bist du überfordert? Bitte sprich mit mir." Ich wende meinen Blick von ihr ab und lasse meinen Blick durch den Park schweifen während ich ihre Frage beantworte: „Wovon? Von allem was aktuell in meinem Leben passiert." In meinen Augen steigen Tränen auf, die mein Gegenüber dazu bewegen, mich in den Arm zu nehmen. Ich akzeptiere die Umarmung, obwohl es im Umkehrschluss vermutlich für noch mehr Leid sorgen wird, doch mein Herz sehnt sich nach der Nähe zu dieser Frau. Die Distanz zu ihr macht mich wahnsinnig und die Nähe lässt mein Herz immer wieder aufs Neue brechen, weil sie mir niemals nahe genug sein wird. Wieso musste mein Leben von einem auf den anderen Tag so kompliziert werden? Joanna löst sich aus der Umarmung, wendet ihren Blick jedoch nicht von mir ab als sie zu reden anfängt: „Ich kenne nur ein Bruchteil von dem, was du durchmachen musst und möchte dir mit diesem helfen. Du bist nicht alleine und ich verspreche dir, dass du das bist zum bestandenen Abitur auch keinesfalls sein wirst." Sie nimmt wieder meine Hand in ihre und drückt diese aufmunternd, um ihren Worten damit den nötigen Nachdruck zu verleihen. Ich lächle sie also an und tue so als hätten ihre Worte nicht schon wieder zu meinem Herzschmerz beigetragen. Jetzt ist sie da, ja. Allerdings wird sich auch das ändern, wenn ich nicht mehr ihre Schülerin bin. Joanna hat mir indirekt mitgeteilt, dass es kein uns nach der Schulzeit geben wird und dabei war das eine der Hoffnungen, die mich atmen lassen und mich tagtäglich dazu bewegen aufzustehen. Doch irgendwann muss ich mein Leben wieder ohne sie bewältigen, so schwer mir dieser Schritt auch fallen wird, aber es gibt keine andere Alternative. Sie ist kein langfristiger Halt in meinem Leben.

Wir schlagen am späten Nachmittag wieder den Weg zu ihrem Auto ein, da ihr Auto dort geparkt ist. ,,Soll ich dich nach Hause fahren oder magst du noch mit zu mir kommen?", bietet Joanna mir indirekt an und schenkt mir einen fragenden Blick. ,,Ist Tomas denn schon da?" Mein Gegenüber beginnt zu lächeln und legt ihren Kopf schief. ,,Er ist schon daheim, aber das macht nichts. Ihn stört deine Anwesenheit nicht.", versucht sie mir meine Unsicherheit zu nehmen, was ihr damit aber nicht gelingt. ,,Ich glaube schon, dass ihn die Tatsache stört das ich deine Schülerin bin und zusätzlich die selben Probleme teile. Davon abgesehen haben wir bereits knapp drei Stunden miteinander verbracht." ,,Ja und? Ich verbringe meine Freizeit gerne mit dir und auch wenn Tomas irgendwas nicht passt; ich kann selbst über mein Leben entscheiden." Nun schafft sie es doch, dass mir keine weiteren Ausreden mehr einfallen und ich ihr nun nachgebe. Daher nehmen wir beide Platz in ihrem Auto und machen uns schweigend auf den Weg zu ihr nach Hause. Unterwegs gebe ich zudem noch meinen Eltern bescheid, dass ich zum Abendessen nicht zuhause sein werde und stattdessen bei einer Freundin essen werde. Kurz nachdem das erledigt ist, kommen wir bereits bei Joanna an und gehen nebeneinander ins Haus, wo ihr Mann direkt auf uns zukommt. „Hallo Schatz.", begrüßt er meine Lehrerin, die ihm gleich einen Kuss gibt. Anschließend wendet er sich mir zu: „Hallo Amelia, es ist eine schöne Überraschung dich zu sehen." Die Art und Weise wie er dies sagt, wirkt sehr ehrlich und nimmt mir daher meine zuvor aufgekommenen Zweifel über meinen erneuten Besuch. Daher legen nun Joanna und ich unsere Sachen ab, um mit Tomas in das Wochenzimmer zu gehen.

Unerreichbar nah / {txs}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt