Kapitel 6

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Tomas, der Ehemann meiner Lehrerin, bleibt an der Küchentheke stehen und scheint tief in Gedanken versunken zu sein, während ich den äußerst leckeren Nudelauflauf verkoste und Stück für Stück das vor mir stehende Wasser leere. „Sie können wahnsinnig gut kochen.", gebe ich anschließend von mir, was Frau Smith ein Lächeln entlockt und sie etwas rot werden lässt, wenn ich das in diesem spärlichen Licht überhaupt richtig ausmachen kann. „Amelia, darf ich dich etwas fragen?", spricht mich Tomas nun direkt an und bringt mich dazu, meinen Blick zu ihm zu wenden und zustimmend zu nicken. Allerdings kommt seine Frau ihm zuvor: „Schatz, ich habe sie nicht einfach aus Lust und Laune hergebracht, sondern aus gegebenen Anlässen. Es wäre also wohl besser, wenn du deiner Neugierde für heute nicht nachkommst." Es ist nur ein Wort und dennoch führt es erneut dazu, dass ein stechender Schmerz durch all meine Glieder jagt und das nun um einiges intensiver, nachdem mein Pegel durch das Wasser gesunken ist. „Das kann sie doch in ihrem Alter sicherlich selbst entscheiden.", widerspricht Tomas und überrascht mich damit. Wer würde denn Frau Smith widersprechen, wenn selbst Olivia sich das nicht mehr traut? „Bei dir rede ich echt gegen eine Wand, zumindest hinsichtlich dieser Thematik.", kommt es nun noch von meiner rechten ehe Tomas mich anschaut: „Du wirst dich sicher wundern, dass ich dein Auftauchen hinnehme. Meine Frau hat mir ein wenig von dir erzählt zumindest im Hinblick eurer geteilten Problematik und dennoch habe ich viele Fragen, denn schließlich geht jeder Mensch anders mit seiner Wut um. Richtet sich deine Wut eher gegen dich selbst oder andere Personen in deinem Umfeld?" „Tomas!", ermahnt Frau Smith nun in einem mir bekannten Ton, was ihn aber nicht zu interessieren scheint. Stattdessen schaut er mich weiterhin aufmerksam an und wartet auf eine Antwort von mir, die ich ihm schließlich gebe: „Verbal richtet sich meine Wut häufig gegen andere insofern ich mich nicht aus der Situation zurückziehe, aber ich könnte einen anderen Menschen niemals bei vollem Bewusstsein wehtun. Sollte ich mich aber aus der Situation zurückziehen, dann tendiere ich häufig dazu, gegen Wände oder Ähnliches zu schlagen, um die Anspannung auf diese Weise zu zügeln." Tomas nickt leicht, scheint aber noch einige Fragen im Kopf zu haben. Nun räuspert sich Frau Smith: „Amelia?" Ich wende meinen Blick von Tomas ab, um sie anzusehen und treffe gleich auf das grüne Augenpaar, wodurch sich mein Herzschlag schlagartig beschleunigt. „Ja.", gebe ich mit belegter Stimme von mir und laufe daraufhin rot an, was mein Gegenüber zum schmunzeln bringt. Weiß sie eigentlich, was sie da mit mir macht? Mit der gesamten Situation. „Magst du nach Hause fahren?" Was eine absurde Frage. Natürlich würde ich gerne die ganze Nacht mit ihr, nur mit ihr, hier sitzen und ihre Anwesenheit genießen, aber das würde die Professionalität vollends zwischen uns nehmen. „Wie meinen Sie das? Ich muss nach Hause, woanders hin kann ich ja nicht." Erneut schmunzelt sie, was mir fast den Rest gibt. „Ich meinte eigentlich, ob du jetzt fahren magst.", erklärt sie und zwinkert, was mich wieder rot anlaufen lässt. Peinlich. „Wieso? Wir können uns doch noch ein wenig unterhalten.", wirft Tomas nun ein und ich kann beobachten, wie Frau Smiths Blick langsam zu ihm schweift und ihn warnend anschaut, was ihn diesmal nichts mehr sagen lässt. „Ich bringe Amelia jetzt nach Hause und wenn ich zurück bin, reden wir zwei.", verkündet sie und erhebt sich, was ich ihr gleichtue.

Im Auto kehrt Stille ein, die ich allerdings als sehr unangenehm empfinde und mich schließlich für ein Gespräch mit ihr entscheide: „Ich danke Ihnen." Ich schaue sie an und betrachte ihr Seitenprofil, welches kaum perfekter sein könnte und warte darauf, dass sie auf meine Worte eingeht. „Sehr gerne. Ich hoffe, dass es dir nach dem Essen auch wirklich besser geht und dich die Neugierde meines Mannes nicht aufgewühlt hat.", gibt sie von sich und schaut mich kurz an. „Das Essen war köstlich und hat mir all meine Gehirnzellen zurückgegeben und auch Ihr Mann hat mich keineswegs gestört. Ich kann ja verstehen, dass er viele Fragen hat, da er die Aggressionsprobleme wahrscheinlich nur von Ihnen kennt.", antworte ich ihr wahrheitsgemäß und sehe dabei zu, wie sie nachdenklich wird. Was wohl in diesem hübschen Köpfchen vorgeht? Lange bleibt es still zwischen uns, ehe sie zum Sprechen ansetzt: „Wir hatten dadurch viel Streit, weil ich meine Hand leider nicht zügeln konnte und ihm gegenüber gewalttätig geworden bin. Das alles hat ihn sehr viel abverlangt und letztlich hat er mich zur Therapie gebracht, da er sich sonst getrennt hätte." Ich nehme das Gesagte lediglich hin, da ich nicht weiß, was ich daraufhin sagen soll und betrachte sie schweigend von der Seite, was sie kurz darauf kommentiert: „Ich kann mich nicht komplett auf den Verkehr konzentrieren, wenn du mich immer so eindringlich ansiehst." Ganz automatisch steigt Hitze in mir auf und lässt meine Wangen rot anlaufen, was sie diesmal nicht bemerkt. Nun fahren wir einfach weiter, ohne etwas zu sagen und diesmal genieße ich die Stille zwischen uns.

Unerreichbar nah / {txs}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt