Kapitel 13

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Auf dem Weg nach Hause strömt die Musik meiner Playlist durch meine Kopfhörer, kommt aber nicht zu mir durch. Das einzige an das ich gerade denken kann, sind meine Gefühle für Joanna und all die gemeinsamen Momente, die plötzlich negative Emotionen hervorrufen. Wie konnte ich eigentlich in solch eine unglückliche Situation kommen? Sie ist nicht nur meine Lehrerin, sondern auch mindestens zehn Jahre älter, verheiratet und weiblich. Durch die Situation zwischen Tomas und Joanna haben sich meine Gefühle plötzlich verändert, lösen nun einen starken Schmerz aus und lassen mich nun um die Tränen kämpfen. Wieso musste ich mich auch in meine Lehrerin verlieben? Auch wenn sie selbst gesagt hat, dass ich mehr als eine Schülerin für sie bin, werde ich niemals Tomas Platz einnehmen können und im Endeffekt möchte ich ihm das auch garnicht antun. Er liebt sie, das sieht man in seinem Blick und in der Art, wie er mit ihr umgeht. Könnte ich ihr überhaupt dasselbe geben, was er ihr Tag für Tag gibt? Schließlich hat er ihr in einer sehr schweren Zeit beigestanden und damit eine grundlegende Verbindung geschaffen, die wohlmöglich kein anderer Mensch schaffen kann. Wie viel empfinde ich eigentlich für diese Frau? Was wäre ich bereit zutun? Ohne Zweifel; ich möchte an ihrer Seite sein und würde gerne das zurückbekommen, was ich für sie empfinde. Doch was genau empfinde ich eigentlich? Das ist wahrscheinlich eine Frage, die mir nur noch mehr Nähe zu ihr beantworten würde und diesen Schritt möchte beziehungsweise darf ich nicht gehen, weil wir beide uns damit in große Schwierigkeiten bringen würden. Mir bleibt demnach also nichts anderes übrig als mich emotional von ihr zu distanzieren und mich nicht noch mehr in ihr Leben einzumischen, welches durch mich schon genug aufgewühlt wurde.

Zuhause angekommen schaffe ich es nicht, mich zum Essen zu bewegen und lege mich demnach gleich hin, nachdem ich geduscht habe. In meinem Bett lasse ich erneut meine Playlist laufen und merke nun, wie sich langsam Tränen den Weg über meine Wange bahnen und von Sekunde zu Sekunde immer schneller werden. Durch meine Ohren strömt also Adeles Can't love you in the dark und in meinem Kopf ist nur Platz für Joanna, die für ein schnell pochendes Herz sorgt. Diesmal kämpfe ich nicht gegen meine Gefühle an, lasse die Tränen einfach zu und merke erst jetzt, wie schlecht es mir eigentlich geht und werde wütend. Gleich darauf springe ich auf und laufe weinend auf und ab, um wenigstens die Wut zu bändigen; doch erfolglos. Meine Augen wandern immer wieder zurück zur Wand während meine Gedanken um meine Lehrerin kreisen und ehe ich mich versehe, schlage ich mehrmals zu bis ich mehrere rote Flecken zurücklasse. Sofort schaue ich auf meine Hand nachdem die Wut schließlich nachgelassen hat und weine dadurch nur noch mehr, wodurch ich nun auf den Boden sinke. Mein Herz bebt, meine Hand schmerzt und mein gesamter Körper zittert. Fuck! Doch am meisten schmerzt mein Herz, welches bedingungslos für Joanna schlägt und in den letzten Wochen so viele verschiedene Gefühle durchleben musste. Nun merke ich aber, wie mein Herz Stück für Stück bricht und einem Scherbenhaufen gleicht.

Am nächsten Tag werde ich sofort von Olivia auf meine Hand angesprochen: „Wieso rufst du mich denn nicht an, wenn es dir nicht gut geht?" Eigentlich hatte ich mir heute Morgen noch gewünscht, einen ruhigen Tag zu haben und nicht über den gestrigen Tag nachdenken zu müssen. Doch da habe ich die Rechnung wohl ohne meine beste Freundin gemacht. „Ich kann nicht reden, wenn ich mich in der Situation befinde und danach wollte ich einfach nur noch schlafen, um nicht denken und fühlen zu müssen. Liv, ich bin einfach noch nicht bereit darüber zu sprechen und ich hoffe, dass du das akzeptieren kannst." „Aber was ist, wenn du es zu sehr in dich hineinfrisst? Das führt nur noch zu schlimmeren Aggressionen.", entgegnet sie und schaut mich besorgt an, was ich durchaus nachvollziehen kann. Ich antworte ihr also: „Es würde mir helfen, wenn du einfach für mich da sein könntest." Olivia nickt nun und nimmt mich gleich in den Arm, was ich zu schätzen weiß. Sofort erwidere ich die Umarmung, lege meinen Kopf auf ihrer Schulter ab und schließe kurz die Augen. Das ist es, was ich gebraucht habe. Nachdem wir uns wieder gelöst haben, möchte Olivia etwas sagen, wird jedoch von einer mir bekannten Stimme unterbrochen: „Hey, ich möchte euch beide wirklich nicht stören. Aber Amelia, ich würde dich gerne sprechen." Mein Blick trifft auf den von Joanna, woraufhin sich mein Herz zusammenzieht und auch in ihrem Blick erkenne ich keine Freude. Sie hat mich längst durchschaut. „Sie stören zwar nicht direkt, aber wir sind gerade noch miteinander am sprechen und ich bin mir sicher, dass Sie noch bis zu einem späteren Zeitpunkt warten können.", antworte ich meiner Lehrerin ohne jegliche Emotionen, was nicht nur mich überrascht, sondern auch sie selbst. Wie sollte es auch anders sein? Gestern war ich schließlich noch bei ihr Zuhause, habe mit ihr gemeinsam Kuchen gegessen und jetzt spreche ich mit ihr, als wären wir uns nie näher gekommen. Doch vielleicht hilft dies meinem Herzen. „Quatsch, wir können später weiterreden.", mischt sich Olivia ein und lässt damit keinerlei Widerrede mehr zu, weswegen ich Joanna nun doch zu ihrem Klassenraum folge und dabei schweigend neben ihr herlaufe. Am Raum angekommen schließt sie die Tür auf und tritt ein, um sich auf den Pult zu setzen und mich auffordernd anzuschauen. „Was erwartest du von mir?", frage ich daher lediglich. „Was ich von dir erwarte? Eine Erklärung. Es ist nun bereits das zweite Mal, dass du dich nach einem Treffen verletzt hast und diesmal haben wir keinerlei Trigger oder Ähnliches aufgegriffen." Unfähig etwas zu sagen, schaue ich ihr schweigend in die Augen und merke, wie mein Herz nun doch wieder eifrig schlägt und mir die Luft zum Atmen nimmt. Joanna schaut mich erneut auffordernd an, was mich förmlichst einschüchtert. „Amelia?", spricht sie mich nochmal an, worauf ich lediglich mit einem knappen „Ja?" antworte. „Tut dir unser Kontakt nicht gut?" Verzweifelt über diese Art von Frage fahre ich mir durch mein Gesicht, atme tief durch und schaue ihr schließlich wieder in die Augen. „Nein, mir geht es mit diesem privaten Kontakt zu dir nicht mehr gut. Ich habe versucht es zu ignorieren, weil du mir unbedingt zur Seite stehen wolltest, aber das ist die Wahrheit.", sage ich schließlich und sehe dabei zu, wie sich ihre Gesichtszüge verändern und ein Hauch von Trauer erscheint. Sie scheint sich aber schnell wieder zu sammeln und erhebt sich nun. „In Ordnung. Dann lassen wir das am besten und ich bitte dich, mich über Neuigkeiten bezüglich der Therapiesuche zu informieren." Zustimmend nicke ich und kämpfe bereits gegen den Kloß in meinem Hals an, der sich soeben gebildet hat. Joanna möchte bereits zur Tür gehen, hält allerdings inne und schaut mir erneut in die Augen, wodurch sie nun wahrscheinlich das Schimmern in meinen Augen sieht. „Amelia, was erwartest du von mir? Mir ist dein Wohlbefinden wichtig und wenn du mir sagst, dass dir der Kontakt nicht guttut, dann muss ich das akzeptieren. Aber deine Worte passen nicht zu deinem Erscheinungsbild. Du scheinst dich dadurch nicht besser zu fühlen." Unfähig zu sprechen, schaue ich ihr schweigend in die Augen und blinzel einige Male, doch die Tränen lassen sich nicht aufhalten und laufen still über meine Wange. Nun scheint Joanna mit sich zu hadern und fährt sich überfordert durch die Haare, ehe sie auf mich zukommt und mich in ihre Arme schließt. Sofort wird es um meinem Herzen herum warm und ich scheine endlich wieder richtig atmen zu können, weshalb ich mich in ihre Umarmung lege und diese vollkommen genieße. Wir verweilen also einige Zeit in dieser, für mich schönen Umarmung und scheinen beide die Nähe zu der anderen zu genießen, ehe Joanna ein paar Schritte zurücktritt und zum Sprechen ansetzt: „Was möchtest du wirklich?" Ich kann und sollte diese Frage nicht ehrlich beantworten, doch mein Herz schreit danach. Dennoch entscheide ich mich dagegen: „Ich weiß es selbst nicht. Joanna, du tust mir unglaublich gut und ich möchte mich eigentlich garnicht von dir distanzieren müssen, aber ich habe Angst dein Leben zu zerstören." „Du brauchst dir keine Sorgen um mich oder meine Ehe zu machen. Sollte ich das Gefühl haben, dass es mir zu viel wird, dann sage ich dir das. Versprochen." Sie schenkt mir ein ehrliches Lächeln, mit diesem sie mein Herz beinahe zum schmelzen bringt und sorgt damit auch meinerseits für ein Grinsen. Ich werfe nun also doch wieder all meine Pläne über Bord und hoffe, dass mein Herz mir das richtige sagt und am Ende nicht noch mehr darunter leiden muss.

Nach der Schule mache ich mich direkt auf den Weg nach Hause und treffe auf meine Mutter, die bereits am kochen ist. „Hey Mama.", sage ich und gebe ihr ein Kuss auf die Wange, dieser sie zum Lächeln bringt. Als diese mir jedoch ihren Blick schenkt und damit auch den neuen Verband sieht, verschwindet das Lächeln auf ihren Lippen und ihr Gesichtszüge ändern sich in wenigen Sekunden. „Deine Aggressionen werden immer häufiger Amelia...", stellt sie fest und schaut mich besorgt an, was mich nervös werden lässt. Trotzdem finde ich nicht die richtigen Worte für diesen Moment und erwidere ihren Blick einfach schweigend, weshalb sie erneut das Wort ergreift: „Liebes, ich bin immer für dich da und würde mich freuen, wenn wenn du mit mir über die Dinge sprichst, die dich belasten." Ich atme tief durch: „Ich weiß Mama, aber ich kann nicht darüber sprechen. Auch wenn ich es wollte. Es ist so unglaublich kompliziert und letztendlich gehe ich momentan durch so viele verschiedene Emotionen sowie Gefühle, die ich zuvor niemals kennenlernen durfte. Du wirst es zwar nicht verstehen, aber ich war niemals zuvor so glücklich wie jetzt und leider bringt mich das manchmal dann doch zur Verzweiflung." Nichts würde ich lieber tun als endlich mit jemanden über die Gefühle für Joanna zu sprechen, doch dafür ist die ganze Sache viel zu kompliziert. Zudem würde es dadurch tatsächlich zu einem realen Problem werden, worunter meine mentale Gesundheit wohlmöglich nur umso mehr leiden müsste. „Ich werde dich nicht zwingen mit mir zu sprechen und lasse dir die Zeit, die du brauchst. Versuch aber bitte trotzdem auf dich zu achten." Ich nicke und nehme meine Mutter nun in den Arm, was mein inneres Kind zum Strahlen bringt. Sie haucht mir einen Kuss auf die Stirn und streicht sanft mit ihrer Hand durch mein Haar, was mich nun wieder zu einem Lächeln bewegt. „Ich habe dich lieb Mama." „Und ich dich erst Liebes."

Unerreichbar nah / {txs}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt