Die folgenden Tage verbringen meine Freunde und ich hauptsächlich mit Lernen, weshalb die Zweisamkeit zwischen Joanna und mir doch etwas auf der Strecke bleibt. Wir führen daher bis zur letzten Klausur nur kurze belanglose Gespräche miteinander, ehe ich heute meine geschriebene Klausur in Kunstgeschichtliche bei ihr abgebe und zufrieden lächle. „Schon fertig?", flüstert Joanna überrascht, da mir nicht weit über eine Stunde zur Verfügung stehen würde und ich nun als erste fertig bin. Still nicke ich zustimmend, woraufhin sie mich zufrieden anschaut und ich bereits zum gehen ansetze, aber noch von ihr aufgehalten werde: „Komm doch bitte in der Pause nochmal zu mir." Erneut nicke ich zustimmend, um die anderen nicht im Schreiben zu stören und verlasse das Klassenzimmer, um mich in den Pausenraum zu begeben. Schließlich fällt der Unterricht aufgrund der Klausurtermine aus und bietet somit Zeit, die Phase in Ruhe ausklingen zu lassen. Tatsächlich muss ich auch garnicht allzu lange auf meine beste Freundin warten und schaue sie neugierig an, als sie neben mir Platz nimmt. „Was eine tolle Klausur.", spricht sie meine eigenen Gedanken aus und trifft daher sofort auf Zustimmung meinerseits. „Oder? Es kam mir sofort so vor, als hätten wir über das Thema hinausgelernt.", erwidere ich daher. „Ja, scheint so. Mal sehen, wofür es gut war." Es kommt nicht selten vor, dass Olivia und ich uns das Lernen für die folgende Klausur gespart haben, indem wir den nächsten Lernstoff bereits verinnerlicht haben. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns garnicht mehr auf diese vorbereiten. Denn obwohl wir beide ein sehr gutes Gedächtnis haben, müssen Unterrichtsinhalte nunmal desöfteren nochmal aufgefrischt werden. Alles in allem müssen wir uns wohl aber doch eingestehen, dass wir vor jeder kommenden Klausur den Streber raushängen lassen und theoretisch garnicht lernen müssten. Dennoch tun wir es.
In der Mittagspause trenne ich mich von Olivia und den anderen, um wie abgesprochen zu Joanna zu gehen. „Na, was sagst du?", erkundigt sie sich bei mir über die Klausur, was mich schmunzeln lässt. „Seit wann reden wir zwei denn bitte über schulische Themen? Nein, Spaß beiseite. Du hast eine wirklich faire Klausur erstellt, die dem Abitur schon um einiges nahe kommt und für die meisten daher ein entsprechendes Niveau darstellt. Für mich war sie ein wenig zu einfach, aber ich lerne auch immer mehr als nötig wäre." Ich bringe meine Lehrerin mit meinen Worten zum Lachen, wodurch sich meine Haare sofort aufstellen. Ihre Lache klingt in meinen Ohren wie Musik; meine Lieblingsmelodie. „Streberin.", neckt sie mich und streckt mir ihre Zunge entgegen, weshalb ich nun spielend die Arme vor der Brust verschränke und beleidigt zur Seite schaue, was sie noch mehr lachen lässt. Anstatt mich damit jedoch anzustecken, schaue ich ihr lediglich dabei zu und genieße diesen Anblick, der jede noch so kleine Verletzung in meinem inneren heilt. „Das Lachen steht dir ausgezeichnet gut." Augenblicklich wird sie ernst, lächelt dennoch weiterhin aus tiefstem Herzen und legt ihren Kopf schief. „Ist ganz dir zu verdanken." Nun schleicht sich doch ein ehrliches Lächeln auf meine Lippen und mein Herzschlag beschleunigt sich, was sie zum Glück aber nicht registriert. „Du weißt garnicht wie viel mir das bedeutet." „Ich genieße die Gespräche mit dir, egal über welches Thema und habe diese während den Prüfungsvorbereitungen tatsächlich vermisst.", gibt sie ehrlich zu und stellt damit sicher, dass mein Lächeln bestehen bleibt. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass jede Äußerung in diese Richtung dazu beiträgt, das sich meine Gefühle für sie verstärken. Doch der Wille zur Distanz ist von beiden Seiten nicht gegeben und der Versuch hat bereits gezeigt, dass es ohnehin zwecklos ist. „Ich versichere dir, dass es mir ebenso erging. Mein Alltag ist um einiges langweiliger ohne unsere Unterhaltungen und ich bin froh, dass ich die ersten Prüfungen jetzt hinter mir habe.", gestehe ich meiner Lehrerin und wende meinen Blick nicht von ihr ab, um gleich darauf zu sehen, wie ihre Augen durch meine Worte kurz aufleuchten und mir damit zeigen, dass ich ihr wirklich wichtig geworden bin. Meine Worte und mein Tun lösen immerzu Freude in ihr aus, was mir sehr viel bedeutet. Sicher werde ich ihr nicht das selbe bedeuten, aber die Verbindung die wir teilen kann keine von uns leugnen und wird uns wohl zu guten Freunden machen. „Du hast dir jetzt, wie deine Mitschüler, definitiv ein bisschen Ruhe verdient. Ich würde mich wirklich gerne noch länger mit dir unterhalten, würde mich aber nun schonmal an die Klausuren setzen, da ich jetzt keinen Unterricht mehr habe. Ist das okay für dich?" „Ja, selbstverständlich.", versichere ich ihr und wende meinen Blick zur Uhr. In wenigen Minuten würde ohnehin der Nachmittagsunterricht beginnen, weshalb mich der Abbruch unseres Gesprächs nicht sonderlich stört und wir uns daher verabschieden.
Am Abend esse ich mit meinen Eltern zu Abend und bekomme nur beiläufig das Thema des Gesprächs mit, da ich gedanklich bei Joanna und ihren grünen Augen bin. Wie tief ich jedoch in Gedanken versunken bin wird mir erst bewusst, als meine Mutter mich anspricht: „Amelia, schmeckt dir der Eintopf nicht?" Verwundert schaue ich auf meinen Teller, der noch komplett unberührt ist. Dagegen haben meine Eltern beide bereits aufgegessen. „Tut mir leid, aber ich war mit den Gedanken ganz woanders." Ich merke förmlichst wie ich rot anlaufe und beginne nun doch zu essen, um weiteren Fragen zu entkommen. Zu Anfang scheint es tatsächlich auch als würden meine Eltern mein Verhalten nicht weiter hinterfragen und räumen ohne ein weiteres Wort den Tisch ab nachdem auch ich gegessen habe. Als ich allerdings wieder auf meinem Zimmer bin, klopft es an der Tür und meine Mutter gesellt sich zu mir, um das Gespräch zu suchen: „Du verhältst dich in letzter Zeit ganz anders und machst den Eindruck, ständig in Gedanken versunken zu sein. Müssen wir uns diesbezüglich Sorgen machen?" Automatisch werden meine Augen groß, da meine Eltern mein Verhalten scheinbar völlig falsch interpretieren. „Was? Nein Mama! Ich erlebe aktuell einfach nur sehr viel und weiß nicht wirklich wohin damit, aber ich fühle mich gut. Ja, meine Wut habe ich nicht ganz im Griff und sind leider wieder problematisch geworden, aber alles in allem könnte es mir im Moment nicht besser gehen.", versuche ich sie zu beruhigen, scheine sie aber nicht ganz zu überzeugen, da sie nun skeptisch die Augenbraue hebt. „Ich merke doch wie aufgewühlt du bist." „Mama, weil ich verliebt bin.", platze ich einfach raus und wende meinen Blick sofort von ihr ab, was sie nun jedoch nicht mehr im Raum stehen lässt. „Verliebt? Aber das ist doch wunderbar. Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt? Zwar hatte ich ja bereits bei unserem letzten Gespräch unter vier Augen eine Ahnung, aber das es so ernst ist wusste ich nicht." Theoretisch hat meine Mutter recht; ich genieße nicht nur die Nähe zu Joanna, sondern auch die Gefühle die ich durch sie empfinden darf. Allerdings haben eben diese Gefühle ihre Schattenseiten und werden mir nicht das letzte Mal das Herz gebrochen haben. Wenn ich es genau nehme, dann bricht sie jeden Tag aufs Neue mein Herz ohne es überhaupt zu wissen. „Oder nicht?", holt sie mich fragend aus meinen Gedanken und schaut mich erneut skeptisch an, was mich schlucken lässt. „Mama, ich empfinde Gefühle für eine weibliche Person...". Ich habe bisher kein Gespräch dieser Art mit meiner Mutter gehabt und bin mir nicht wirklich im Klaren darüber, wie meine Eltern über Liebe dieser Art denken. Demnach ist nicht nur die Tatsache kompliziert, dass es sich um meine Lehrerin handelt. „Ja und? Liebes, wenn du glücklich bist, dann sind wir das auch und es spielt überhaupt keine Rolle in welches Geschlecht du verliebt bist. Wenn ich etwas gegen Gefühle dieser Art hätte, dann würde mir nicht dein Wohlbefinden an erster Stelle stehen. Ich liebe dich so wie du bist und möchte auf keinen Fall, dass du dich für mich oder sonst jemanden verstellen musst." Ihre Worte rühren mich und sorgen dafür, dass meine Augen glasig werden, weshalb sie mich nun in den Arm nimmt und mir einen Kuss auf die Wange haucht. „Ich liebe dich auch Mama."
Das meine Mutter Gefühle für eine weibliche Person akzeptiert, macht das Ganze zwar nicht weniger kompliziert, aber dennoch nimmt es mir eine große Last von den Schultern. Denn obwohl aus Joanna und mir niemals etwas werden kann, kann ich erneute Gefühle für andere Frauen nicht ausschließen. Ob ich nun lesbisch oder bisexuell bin weiß ich nicht, muss ich aber auch nicht definieren. Ich hatte zuvor keine Gefühle dieser Art, weder für einen Mann noch eine Frau, weshalb ich beides zukünftig nicht ausschließen möchte. Das einzige was mir aktuell klar ist, ist dass ich Joanna sehr gerne habe und sich das in der nächsten Zeit nicht ändern wird. Sie bringt mich zum Lachen, wenn mir nicht danach ist und gibt mir solch eine Sicherheit. Bei ihr schäme ich mich nicht für mein Sein und weiß ganz genau, dass sie mich nicht einfach hängen lassen wird. Und auch, wenn ich nicht über die Zukunft nachdenken möchte; ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, dass jemals jemand das in mir auslösen kann, was Joanna Tag für Tag auslöst. Sie ist der Grund dafür, dass ich jeden Tag aufstehe und aus jedem Tief das Beste hinaus hole. Manchmal ziehe ich sogar in Erwägung, dass sie die Person ist, die ich als Seelenverwandte bezeichnen kann. Nicht, weil wir füreinander bestimmt sind, sondern weil uns eine gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Wir wissen, was in der anderen vorgeht und können uns dadurch gegenseitig unterstützen sowie verstehen. Außerdem brauchen wir keine Worte, um zu wissen, wie es uns geht. Macht das überhaupt Sinn? Joanna ist die Frau, die mir schon nach der ersten Sekunde den Kopf verdreht hat und mein Herz dazu gebracht hat, schneller zu schlagen. Und für sie bin ich bereit, mir von Tag zu Tag das Herz zu brechen, nur um sie auf irgendeiner Art und Weise in meinem Leben zu wissen. Ohne sie ist meine Welt schließlich nicht mehr dasselbe. Sie macht aus mir das, was ich jetzt bin.
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Unerreichbar nah / {txs}
RomanceEs gibt Menschen, die einem physisch nicht näher sein könnten, aber durch äußere Umstände emotional voneinander getrennt werden. Doch können Gesetze, Richtlinien und familiäre Bedingungen zwei Menschen voneinander trennen, die bereits durch ihre See...