Marian und ein Dieb namens Robin

39 Lang lebe Robin Hood!

Der Wind fegte von der Anhöhe der Stadt hinunter und zerrte an meiner Kapuze.
Er verfing sich in der roten Mähne meines Pferdes, peitschte seine dicken Haare in mein Gesicht.
Mein Herz pochte rasend schnell in meiner Brust.
Ich warf einen Blick über die Schulter, sodass ich in Little Johns Augen sehen konnte.
Seine Iris schillerte in hellem Blau.

Die Merry Men trieben ihre Pferde an meine Seite, ihre Mienen waren grimmig, entschlossen, und der Stahl ihrer Waffen blitzte im Licht.
Ihre Gesichter waren unvermummt.
Heute ging es um Alles oder Nichts. Leben oder Tod.

Sachte legte ich die Waden an Mayfairs Bauch und die Stute setzte sich in Bewegung.
Die Hufe der Pferde erzeugten kaum hörbare Geräusche auf dem weichen Untergrund.
Hinter dem Waldrand schien sich ganz Nottingham versammelt zu haben.
Der Galgen war von Weitem zu erkennen, dunkel erhob er sich gegen den Himmel.

Die Menge teilte sich, als die Soldaten Robin nach vorne führten.
Dicke Seile schlangen sich um seine Handgelenke, doch er trug seinen Kopf erhoben, stolz, ungebrochen.
Die Bewohner von Nottingham neigten ehrfurchtsvoll ihre Köpfe.

«Worauf warten wir!», zischte Little John in meinem Rücken.
Ich hob die Hand in die Höhe, um die Männer zu bremsen, die bereits ihre Pferde antreiben wollten.
«Geduld», wisperte ich. «Jetzt sind zu viele Soldaten um ihn herum.»

Robin wurde zum Galgen geführt, wo der Sheriff ihn entgegennahm.
Die beiden Männer starrten sich an, ich konnte den Hass in ihren Augen blitzen sehen.
Der Sheriff packte Robin hinten an seinem Umhang und zerrte ihn auf die hölzerne Plattform.

«Bewohner von Nottingham!», rief er über die Menge, seine Stimme liess das Gemurmel verstummen. «Seht ihn euch an, euren Helden. Robin Hood!»
Er drehte Robins Gestalt, sodass dieser auf die vielen Köpfe hinunterblickte.
«Ein Gefangener», fuhr der Sheriff fort. «Er wird sterben! Aber vorher wird er sich beugen, vor mir, dem zukünftigen Herzog von Nottingham! Und vor dem rechtmässigen Herrscher, John Lionsheart!»

«Niemals!», widersprach Robin heftig. «Ihr könnt mich töten, doch niemals werde ich vor euch den Kopf neigen!»
Er verzog angewidert sein Gesicht und spuckte dem Sheriff zu Füssen.
Seine Worte lösten Tumult aus.
Die Bewohner begannen zu Rufen, sie drängten nach vorne zur Plattform und die Soldaten hatten alle Hände voll zu tun, um sie zurück zu halten.

«Jetzt!» Ich führte die Merry Men aus dem Wald hinaus, ihre Gestalten lösten sich aus dem Schatten der Bäume.
«Ihr habt den Falschen!», rief Little John hinter mir, sodass es schien, als ob seine tiefe Stimme aus meiner Kehle stammte.
Ich hob meinen Pfeilbogen, der grüne Umhang raschelte leise.
Mein Pfeil sauste durch die Luft und blieb zitternd im Galgen stecken.

Die Menge verstummte und drehte sich nach mir um.
Mit bebenden Fingern legte ich einen zweiten Pfeil ein, mit aller Kraft spannte ich die Sehne.
Mein Blick huschte zu Robin hinüber, die Entschlossenheit in seinen dunklen Augen sprach mir Mut zu.
Mayfair schien meine Anspannung zu spüren, denn sie presste die Ohren eng an ihren Kopf.
Doch die Stute blieb stocksteif stehen, nicht ein Muskel zuckte in ihrem mächtigen Körper.

Ich atmete tief ein und liess langsam die Luft aus meinen Lungen strömen.
Ich konnte die Ruhe spüren, wie kühles Wasser floss sie sanft durch meine Adern.
Mein Herzschlag verlangsamte sich, wurde ruhiger.
Ich schloss ein Auge.
Der Funke der Leidenschaft durchzuckte meinen Körper wie ein Blitz.
Ich löste die Finger von der Sehne, der Pfeil surrte durch die Luft und spaltete meinen ersten Pfeil.
Für einen Atemzug herrschte Stille.

«Lang lebe Robin Hood!», brüllte Robin aus Leibeskräften.
«Lang lebe Robin Hood!», echote es aus unzählbaren Kehlen.
Ich warf die Zügel auf den Pferdehals und die Stute preschte mit einem so grossen Satz vor, dass ich beinahe aus dem Sattel geschleudert wurde.
Die Meute folgte mir mit lautem Kampfgeschrei und brachte Chaos nach Nottingham.
Robin nutzte den Moment der Verwirrung und schubste den Sheriff kurzerhand von der Plattform.