Wenn die Schatten schweigen

Kapitel 1:Gefangen im eigenen Zuhause

Klara saß auf dem alten, knarrenden Stuhl in ihrem Zimmer und starrte aus dem kleinen Fenster. Der Himmel war grau, und das schwache Licht, das durch die Vorhänge fiel, tauchte den Raum in ein fades Halbdunkel. Ihr Zimmer war kaum mehr als vier Wände, ein Bett und ein Schreibtisch – eine trostlose Zelle, in der sie sich gefangen fühlte.

Von unten drangen die lauten Stimmen ihrer Eltern zu ihr hinauf, wie so oft, wenn der Abend näher rückte. Ihr Vater schrie, laut, schroff, jedes Wort eine Drohung. Ihre Mutter antwortete mit ihrem typischen kalten, schneidenden Ton. Es war ein ständiger Machtkampf. Für Klara war dies Alltag geworden – seit sie denken konnte, hatte es kein friedliches Abendessen, kein freundliches Gespräch zwischen ihren Eltern gegeben. Ihr Leben bestand aus Kontrolle und Regeln, vor allem von ihrem Vater, der jeglichen Versuch von Freiheit im Keim erstickte.

„Klara, hast du die Wäsche gemacht?" Die Stimme ihrer Mutter war streng, fordernd.

Klara seufzte leise und stand auf. „Ja, Mama", rief sie zurück und machte sich auf den Weg nach unten.

In der Küche angekommen, war die Spannung förmlich spürbar. Ihr Vater saß mit gerunzelter Stirn am Tisch und starrte in die Zeitung, als ob er jeden Moment explodieren könnte. Ihre Mutter stand am Herd, den Rücken steif, und rührte mechanisch im Topf.

Klara stellte die Wäsche ab, sagte kein Wort und wollte gerade wieder in ihr Zimmer flüchten, als sie aus dem Fenster etwas Ungewöhnliches bemerkte. Ein Umzugswagen hielt vor dem Nachbarhaus, das seit Monaten leer stand. Sie hielt inne und spähte genauer hin.

Eine Familie war dabei, Kartons aus dem Wagen zu tragen. Neben ihnen stand ein Junge, etwa in ihrem Alter, mit dunklem Haar und einer ruhigen Ausstrahlung. Er sah sich um, als wäre diese neue Umgebung für ihn genauso fremd, wie sie sich für Klara anfühlte. Sie beobachtete ihn eine Weile, bevor sie schnell zurück ins Zimmer ging, bevor ihre Eltern etwas bemerkten.