Kapitel 12

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Freya hielt in der rechten Hand eine der Fackeln und lief durch einen der engen Gänge. Es war dunkel, stickig und gleichzeitig stank es erbärmlich. Es war nicht der erwartete Duft nach dem Tod, den alle Anwesenden nur zu gut kannten. Nein. Es war eine Mischung aus gegorenem Fleisch, verdorbenem Fisch und dem Hauch von Buttersäure.

„Hat Skàdi geantwortet?", flüsterte Freya, einzig um sich von dem widerwärtigen Geruch abzulenken, der sich wie ein bitterer Film auf ihre Zunge legte.

„Ihre Antwort waren schätzungsweise 50 Mittelfinger", erwiderte Jason, der einige Schritte hinter ihr nah an eine der feuchten Wände gepresst folgte.

Freya hielt an, drehte sich und hielt ihm die Fackel gefährlich nah an das Gesicht. Sein Unmut über die gesamte Situation war in jeder seiner Stirnfalten abzulesen und seine Lippen, die er zu einer schmalen Linie verzogen hatte, bestätigten dies. „Was hast du geschrieben?"

Er rollte die Augen. „Ob sie uns helfen kann."

Freyas frustriertes Stöhnen hallte von den Wänden wider und ein leises Echo dröhnte in den Treppenabgang, welchen sie soeben erreicht hatten. „Ich bin gesegnet mit Idioten", murrte sie, zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte eine schnelle Nachricht.

„Was war daran denn nun wieder falsch?"

Freya steckte ihr Handy wieder ein und betrat die erste Treppenstufe. „Mäuse fängt man doch auch nicht mit Wasser, oder du Vollidiot?"

Ehe Jason etwas erwidern konnte, wobei ihm eigentlich die Worte eh fehlten, verschwanden die Shieldzwilling in der Dunkelheit. Ein letztes Mal blickte er zurück in Richtung des Eingangs, der schon eine Unendlichkeit entfernt zu liegen schien. Von dem Rest der Gruppe gab es kein Lebenszeichen, was nicht verwunderlich war, denn sie hatten sich für einen anderen, noch viel bedrohlicheren Gang entschieden. Er sehnte sich nach seiner Couch. Nach Noraja. Nach einem Abend, an dem nicht sein Leben der Einsatz eines verfickten Spiels war. Ein markerschütterndes Grollen ließ ihn zusammenzucken und seine Beine setzten sich ohne sein Zutun in Bewegung.

„Was zur Hölle ist das hier?" Freya spannte sich an, nachdem sie das Ende der Treppe erreicht hatte. Ein langer Gang erstreckte sich vor ihnen, der ausschließlich von flackernden Lichtern erhellt wurde, welche in unterschiedlichen Abständen aus Höhlen zu stammen scheinen. Sie betrachtete die Wände und stutzte, als ihr die vielen Kratzspuren auffielen. Durchbrochen von dunkler, fast schon schwarzer Flüssigkeit.

„Blut", erklärte Liam, der mit seinem Finger über die Wand gewischt und vorsichtig an der Flüssigkeit gerochen hatte.

Jason formte bereits die ersten Worte, schluckte sie dann aber herunter. Sein Maß an dummen Sprüchen war erreicht.

„Nimm das", flüsterte Freya, reichte die Fackel an ihren Bruder weiter und hob dann bedächtig ihre Hände, damit ihre Klingen vor ihrer Brust ruhten.

Dunkles, gedämpftes Grollen vibrierte durch die Wände und jagte ihr eine Gänsehaut über den Leib. Der Geruch von Verwesung nahm stetig zu und ließ Unheil vermuten. Dicht an der Wand entlang bahnte sie sich den Weg zu der ersten Abzweigung. Sie verharrte einen kurzen Moment und drehte sich dann blitzschnell in die Öffnung. „Das erklärt dann wohl die hohe Anzahl an Händen und Füßen in dem Grab.

Liam und Jason traten neben sie und blickten mit Entsetzen in die Grotte des Grauens.

„Das ist...", begann Jason, verschluckte aber die restlichen Worte samt der Galle, die ihm aufstieg.

„Widerlich", beendete Liam den Satz für ihn und sah mit geöffnetem Mund durch den Raum. Er hatte schon vieles erlebt und war bereits einigem an Grausamkeit begegnet, aber das übertraf alles.

Fünf zerfetzte Körper, durchbohrt von rostigen Haken, hingen an den Wänden und wurden abermals von brennenden Fackeln beleuchtet. Dort, wo Hände und Füße sein sollten, war nichts, außer zerfetzte Masse zu erkennen. Geronnenes Blut klebte an den bleichen Hautresten, unter denen weiße Knochensplitter hervorstachen.

„Sie haben wohl eine Abneigung gegen gewisse Gliedmaßen", stellte Freya nüchtern fest.

Ihr Blick wanderte über eine der Leichen, in deren Brustkorb ein riesiges Loch klaffte. Bei der nächsten hingen die letzten Gedärme aus der offenen Bauchhöhle.

„In dem Grab lagen aber keine Köpfe, oder?", fragte Jason, der sich endlich wieder gesammelt hatte und wieder in den Durchgang trat.

„Nein", erwiderte sie und betrachtete die Stumpen der Hälse, die eigentlich Schädel tragen sollten.

Doch ehe die Gruppe weiter in die Grotte treten konnte, blitzte ein Schatten neben ihnen auf. Krallen, gefolgt von gelben Augen, die den blanken Wahnsinn trugen, schossen auf sie zu.

Freya wirbelte im letzten Moment herum, als der Geruch von Fäulnis ihre Haut streifte, ebenso wie gelbe, abgebrochene Zähne.

Mit einem harten Stoß trieb sie ihre Klinge in den aufgerissenen Kiefer und versenkte sie tief in dessen Rachen. Der Ghul kreischte. Schwarzes, zähes Blut lief über Freyas Hand und benetzte jeden Zentimeter davon. Die Augen des Ghuls weiteten sich, als Freya ihre zweite Klinge hob und sie mit einem tiefen Knurren in seinen Brustkorb jagte. Ein letztes Zucken ging durch den Leib des Monsters, ehe das wenige Leben aus seinen Augen wich und es schlaff zusammenbrach.

Ein schnalzendes Geräusch hallte von den Wänden, als Freya ihre Klingen aus dem Leib zerrte. Mit gerümpfter Nase wischte sie die Dolche an ihrer Hose sauber und sah dann zu den Männern. Sie grinste und zwinkerte Jason zu. „Schau, einer weniger und das ganz, ohne eine Patrone zu verschwenden."

Cemetery StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt