Kapitel 11

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Ungläubig trat auch Freya an die Gestalt und starrte sie mit angewidertem Gesichtsausdruck an. „Ein beschissener Ghul", raunte sie, umgriff ihre Klingen fester und konnte nicht leugnen, dass sie Unbehagen ergriff. Sie kannte ihre Autorin zu gut und wenn sie jetzt schon damit begann diese Art von Kreatur heraufzubeschwören, würde diese Nacht blutig enden.

Liam verzog ebenfalls das Gesicht bei dem aufsteigenden Gestank. „Das kann doch nicht deren Ernst sein. Wo sind wir hier? Im Horrorkabinett von Thron und Schildmaid, oder was? Lasst uns abhauen, solange wir noch die Möglichkeit dazu haben."

Doch seine Schwester erhob die Braue und sah ihn fordernd an. „Wir wissen beide, dass wir nicht einfach gehen können. Zumindest nicht, um noch mehr Scheiße damit auszulösen", sie blickte über ihre Schulter zurück zu der Krypta, aus welcher erneut tiefes Grollen drang. „Wir werden wohl da rein müssen."

Liam warf genervt die Hände in die Luft, wissend, dass sie recht hatte und trotzdem bis zu seinem Hosenboden genervt. „Fein. Gehen wir eben Ghuls töten. Was sollte man denn sonst an einem Freitagabend machen?"

Der Sarkasmus ließ Jason zwar begreifen, dass Liam ebenso wenig Lust auf diesen Ausflug hatte wie er, aber doch konnte er nicht glauben, dass sie wirklich vorhatten, in diese Gemäuer zu stolpern.

„Das kann nicht euer Ernst sein. Wir schließen diese verdammten Tore und verpissen uns. Schildmaid und Jen können nicht weit sein, sollen sie sich selbst um ihre grandiosen Schöpfungen kümmern."

„Wir sind ihre verdammten Schöpfungen und wie genau hält Noraja das mit dir aus? Ich meine ... Sie ist losgezogen, weil ihr langweilig ist. Und du? Ziehst permanent den Schwanz ein." Freya rollte dabei genervt die Augen und schüttelte mit dem Kopf

„Ich ziehe nicht den Schwanz ein. Ich denke strategisch. Wie viele Ersatzmagazine habt ihr mit? Ich eins. Ich bin nämlich nicht davon ausgegangen, dass wir auf eine Ghuljagd gehen. Also habe ich knapp 30 Schuss. Und so wie ich unsere beiden Superhirne kenne, wartet da unten eine Apokalypse, die Silent Hill alt aussehen lässt."

Kaum, dass er ausgesprochen hatte, flogen zwei volle Magazine durch die Luft und landeten mit einem dumpfen Aufschlag vor Jasons Füßen. „Jetzt bist du bei 90. Triff einfach, dann wirst du es schon überleben", knurrte Freya und drehte ihre Klingen durch die Hände. Die Diskussion war eindeutig beendet.

„Wollen wir Grüppchen bilden, wie in jedem schlechten Horrorfilm?", fragte Liam, stieg dabei über den toten Ghul und machte sich daran, die bröckelnden Stufen der Krypta zu erklimmen.

„Ich bin meine eigene Gruppe, was der Rest macht, ist mir egal", erwiderte Freya, band sich ihre langen Haare zu einem Zopf und machte sich daran, ihrem Bruder zu folgen.

Jason zog einen tiefen Atemzug ein und zögerte. Nachdem er aber sah, dass auch die anderen die Treppen betraten und sich offensichtlich mit ihrem Schicksal abgefunden hatten, hob er die beiden Magazine auf und folgte ihnen mit schweren Schritten.

Dandelia und Iskaii tauschten einen stummen, wissenden Blick, als ob sie die unausgesprochenen Worte des anderen hören konnten. Sie atmeten tief durch und traten gemeinsam über die Schwelle.

"Wartet mal", rief Samantha hinter ihnen. Sie stoppte Iskaii indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. "Hat einer von euch noch ein Messer für mich? Ich bin im Nahkampf ausgebildet, aber nicht gerne ohne Waffe. Schon gar nicht gegen Viecher, die es eigentlich gar nicht geben sollte."

Iskaii verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln.

"Eure Waffen taugen also zu nichts, denn zu ohrenbetäubenden Geräuschen?" Kopfschüttelnd ging er in die Knie und der Boden unter ihm knirschte. Er zog ein Jagdmesser aus seinem Stiefel und die Klinge glänzte matt im spärlichen Licht.

"Die sind schon ganz praktisch, keine Sorge. Aber ich bin doch lieber auf möglichst vieles vorbereitet." Sie nahm das Messer entgegen und schob es in den Bund ihrer Jeans. Der Druck der Klinge gegen ihre Haut gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, wenn auch nur ein Trügerisches.

Ohne ein weiteres Wort ging sie an den Kriegern vorbei. Sie griff nach einer der Fackeln, die an den steinernen Wänden befestigt waren und das trockene Knistern der Flamme erfüllte die Luft. Das Licht warf flackernde Schatten, die wie lebendige Geister an den Wänden tanzten. Ihr Atem bildete kleine Wolken in der kalten Luft, als sie die Treppe hinabstieg - jede Stufe ein Schritt tiefer in die unbekannte Dunkelheit. Die Atmosphäre änderte sich augenblicklich, als wäre die Luft hier dicker, von etwas Unsichtbarem durchdrungen.

"Du bleibst in meiner Nähe", raunte Iskaii Dandelia zu, seine Stimme war ein raues Flüstern. Seine Augen, so scharf wie die Klingen, die er bei sich trug, durchbohrten die Dunkelheit. "Wir wissen nichts über diese Wesen und ich werde dich nicht in Gefahr bringen."

Die Kriegerin zog eine Augenbraue hoch, ein Funken Belustigung blitzte in ihren eisblauen Iridden auf.

"Ich erspare mir die Aufzählung der Drohungen, die du mir bereits entgegen brachtest", erwiderte sie trocken. Ihr Blick wanderte zu dem Krieger, dessen Schatten durch das flackernde Licht geisterhaft verzerrt wurde. Die Muskeln unter seinem Hemd waren angespannt wie bei einem Raubtier, das auf der Lauer liegt. Er schnaubte und setzte seinen Fuß auf die erste Stufe der steinernen Treppe, die in die Tiefe führte.

"Bleib einfach in meinem Sichtfeld", befahl er, ohne sich zu ihr umzudrehen.

"Da unten scheint es schwärzer als die Nacht zu sein", gab Dandelia zurück und ihr Blick wanderte in die undurchdringliche Schwärze hinab. "Welches Sichtfeld?"

Ein tiefes, genervtes Seufzen entfuhr Iskaii.

"Folge mir einfach", sagte er scharf. "Ich erspüre schon, wo du dich befindest."

Die Kriegerin lachte leise, ein Laut, der beinahe verloren ging in der erdrückenden Finsternis. Ihre Stimme klang weicher als sie sagte:

"Vor einigen Monden hätte mir diese Aussage noch Angst eingeflößt."

Iskaii drehte sich zu ihr um, sein Gesicht im flackernden Licht der Fackeln halb verdeckt und nun fast auf Augenhöhe mit der Kriegerin.

"Und jetzt?", fragte er leise, seine Stimme rau vor unterdrückten Emotionen. "Was fühlst du jetzt?"

Die Kriegerin trat näher und blickte ihm in die unergründlichen Augen, ihre eigenen klar und unerschütterlich.

"Jetzt?", wiederholte sie, ein Hauch von Herausforderung in ihrem Ton. "Jetzt bin ich bereit, gegen jegliche Kreaturen zu kämpfen. Mit dir oder ohne dich."

Iskaii nickte langsam, seine Augen suchten die ihren, als ob er Bestätigung für etwas suchte.

„Kommt ihr jetzt mal in die Puschen oder was?!" Samantha Stimme riss die beiden Krieger jäh aus ihrer Zweisamkeit. Ihr Tonfall war ungeduldig.

Iskaii und Dandelia tauschten einen kurzen, resignierten Blick und mit einem kollektiven Seufzer setzten sie sich in Bewegung. Kaum hatten sie die ersten Schritte getan, verschlang die Dunkelheit sie. Die Fackel in Samanthas Hand warf flackernde Schatten an die moosbewachsenen Steinwände, die wie lebendige Wesen tanzten und zuckten, ehe sie im nächsten Moment wieder in der undurchdringlichen Schwärze verschwanden.

Das Echo ihrer Schritte hallte hunderte Male von den kalten, feuchten Wänden wider, eine unheimliche Kakophonie, die ihnen das Gefühl gab, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden. Es roch nach modrigem Wasser und altem Tod, ein süßlich-fauliger Gestank, der ihnen bei jedem Atemzug in die Lungen kroch.

Cemetery StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt