Kapitel 10

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Freya zog reflexartig ihre Klingen aus der Halterung, starrte jedoch weiterhin auf die Bisswunden. „Die stammen weder von Menschen noch von normalen Tieren."

„Sag mir nicht, dass diese Mittelalterkasper mehr als ihre eigenen Ärsche aus ihrer Welt mitgebracht haben", brachte Liam zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor, entsicherte seine Waffe und sah in Richtung, aus der der Pfiff ertönt war. „Gehen wir nachschauen, was für neue Probleme entstanden sind, oder ignorieren wir es?"

Freya und Samantha tauschten einen Blick aus, bevor die Rothaarige die Leichenteile fallen ließ und die Hand ergriff, die Freya ihr reichte.

„Lasst uns nachsehen gehen, bevor diese Neandertaler noch mehr Schaden anrichten", sagte Freya und lief los.

Der schmale Pfad war nahezu verwachsen von Sträuchern und Büschen, welche an den Klamotten der Gruppe zerrte. Jason hatte seine Pistole ebenfalls wieder in der Hand und überblickte aufmerksam seine Umgebung. „Wer bereut es noch, dass wir Noraja und Antry weggeschickt haben?"

Er bekam keine Antwort auf diese Frage, doch das einheitliche Schweigen war deutlich genug. Vielleicht hatten sie doch eine übereilte Entscheidung getroffen. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden mehr Ärger machten, als hilfreich zu sein, verdammt hoch war.

„Skàdi wäre jetzt gerade nützlich. Warum ist sie nicht hier?", fragte Freya und schob einen tiefhängenden Ast aus dem Weg.

„Weiß nicht, habe sie seit Tagen nicht gesehen, aber ich schreibe .... Verfluchte Scheiße." Jason stockte mitten im Satz, denn da er seine Aufmerksamkeit schon auf sein Handy gelenkt hatte, war ihm der schwingende Ast entgangen, der frontal in seine Stirn schlug. Mit knirschenden Zähnen rieb er sich über die brennende Stirn. „Du bist wirklich ein verficktes Ebenbild von Schildmaid."

Ein wissendes Grinsen schlich sich über Freyas Lippen. „Nein. Ich bin eindeutig besser als sie."

Keiner hatte vor, an dieser wohl wahren Aussage zu zweifeln, geschweige denn etwas hinzuzufügen und so brachten sie sie letzten Meter schweigend hinter sich. Die Bäume um sie zogen sich zu einer dichten Mauer zusammen und verschlagen das letzte fahle Mondlicht. Doch zwischen all dem Zwielicht schimmerten weißblonde Haare von Dandelia, als wären sie selbst die Lichtquelle.

„Dort", flüsterte Freya und zeigte auf die beiden Schemen, die rechts von ihnen standen. Leise schlich die Gruppe auf sie zu und erstarrte, als der Wald vor ihnen aufbrach und sich eine Lichtung ergab, in deren Mitte eine Krypta thronte. Sie stand auf einer kleinen Erhöhung. Gebrochene Stufen führten zu dem weitoffenstehenden Eingang, welcher von verrosteten Eisentoren gezäumt war. Wilde Rosenbüsche, deren Blühten längst verdorben waren, überwucherten das Mauerwerk. Doch während die Knospen längst den Tod als ihren Freund erachteten, waren die Dornen um so auffällig. Riesig und scharfkantig legten sie sich um den alten Stein und waren eine unausgesprochene Warnung.

Freyas Blick glitt zurück zu dem Eingang, der wie ein finsteres Maul eines Raubtiers wirkte, in dessen endlosen Tiefe jedoch Fackeln flackerten.

„Das darf doch alles nicht wahr sein", fluchte Liam und riss Freya damit aus ihrer Trance. Sie trat auf die Gruppe, welche vor ihr verweilte, zu und spähte über Iskaiis Schulter. „Was ist ... ach du heilige Scheiße."

Dandelia deutete mit einem Finger auf eine Gestalt, die reglos im feuchten Gras neben der düsteren Krypta lag. Das schwache Mondlicht, das durch die dichten Wolkenfetzen drang, warf flackernde Schatten über den leblosen Körper, der in unnatürlicher Weise gekrümmt war. Der Anblick war verstörend. Die Kreatur war abgemagert bis auf die Knochen. Die Haut spannte sich in unregelmäßigen Wülsten über die dürren Gliedmaßen. Ihre deformierten Züge wirkten wie eine groteske Karikatur menschlicher Anatomie, als hätte jemand ein menschliches Wesen durch den Spiegel eines Alptraums verzerrt.

"Diese ... Kreatur kam aus der Krypta gestürmt, direkt auf uns zu, als ob sie nur darauf gewartet hätte, uns zu begegnen. Ich weiß nicht, was es ist, aber so etwas habe ich noch nie gesehen."

Iskaii musterte den leblosen Körper mit kalten, prüfenden Augen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch seine Hand zog den Dolch, der unter seiner ledernen Weste verborgen lag.

„Es ist sterblich", raunte er mit leiser, fast bedrohlicher Stimme. Die schiere Gelassenheit, mit der er diese Feststellung traf, ließ Dandelia erschauern. Für Iskaii spielte es keine Rolle, was diese Kreatur einst gewesen war oder welche grauenhaften Dinge sie durchlitten hatte. Alles, was für ihn zählte, war, dass er sie töten konnte.

Er wandte den Blick von dem deformierten Körper ab und ließ ihn zur Krypta wandern, die wie ein dunkles Maul aufragte und die Schwärze des Nachthimmels verschluckte.

"Im Inneren sind mehr von ihnen", sagte er knapp. "Ich kann nicht sagen, wie viele genau, aber ihren Geräuschen nach zu urteilen, sind es genug für uns alle."

Ein dumpfes Grollen drang aus der Krypta, gefolgt von kratzenden Geräuschen, die wie Nägel über Stein klangen.

Samantha nahm einen tiefen Atemzug, spürte, wie die kalte Luft in ihre Lungen strömte und entsicherte ihre Waffe. Ihre Finger umklammerten den Griff fester, als ein schauriges Knurren aus der Dunkelheit der Gruft drang. Es war ein Geräusch, das nicht von dieser Welt zu stammen schien – tief, rau und hohl. Es hallte von den feuchten Steinwänden wider und trug die Qual jahrhundertelangen Verfalls in sich.

"Wenn dieses ... was-auch-immer ebenfalls aus der Feder unserer Schöpfer stammt", zischte sie durch zusammengebissene Zähne, während sie den Blick starr auf die Dunkelheit der Krypta gerichtet hielt, "dann verbrenne ich sie bei lebendigem Leib."

Langsam, fast widerwillig, setzte sie sich in Bewegung und ging auf die tote Kreatur zu. Jeder Schritt war bedacht, jeder Atemzug flach, als ob das kleinste Geräusch das Wesen wieder zum Leben erwecken könnte. Das schwache Licht des Mondes enthüllte nach und nach ein Geschöpf, das sowohl erschreckend als auch tragisch anzusehen war. Die menschenähnliche Gestalt vor ihr war so abgemagert, dass die Haut – fahl, grau und dünn wie verwittertes Pergament – sich straff über die hervorstehenden Knochen spannte. Bläuliche Adern zogen sich wie das Netz einer Spinne darunter hindurch. Die Gliedmaßen waren krumm und endeten in unnatürlich langen Fingern, deren spitze Krallen an die eines Raubtiers erinnerten, bereit, sich in Fleisch zu bohren.

Samantha konnte den Blick kaum abwenden, so grotesk fasziniert war sie von dem Anblick. Der Kopf des Wesens war kahl bis auf ein paar fettige, schmutzige Haarbüschel, die unregelmäßig aus der fleckigen, fast leprösen Kopfhaut wuchsen. Die tief in ihren Höhlen versunkenen Augen schimmerten unheimlich gelb und starrten leblos zurück. Das Maul des Wesens, offenstehend, offenbarte eine Reihe abgebrochener, zerfallener Zähne, die wie die Trümmer eines verlorenen Lebens wirkten.

Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, ihre Gedanken rasten. Die Realität dessen, was vor ihr lag, begann sich erst langsam in ihrem Verstand festzusetzen. Ein Schauer lief ihr über die Haut, als sie leise, aber ungläubig flüsterte:

"Das glaube ich doch jetzt nicht ..." Ihre Stimme brach das unheimliche Schweigen und als sie den Blick hob, sah sie fragende Augen auf sich gerichtet. Sie alle hatten die gleiche Mischung aus Abscheu und Unglauben in ihren Mienen.

"Das ist ein verschissener Ghul!", rief sie schließlich, ihre Stimme durchdrungen von einer Mischung aus Abscheu, Wut und einer Spur von Angst.

Cemetery StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt