Stille. Alle Köpfe drehten sich ruckartig zu Liam, als hätte er von jedem eine Niere oder vielleicht auch ein Stück Herz verlangt. Selbst Freya drehte sich zu ihrem Bruder, erhob sich aus dem Grab und ließ sich an dessen Rand nieder. Ihre Beine baumelten noch in dem Loch, während sie eine Zigarettenschachtel aus ihrer Jacke zog, und Sekunden später zog der Geruch von verbranntem Tabak über den Friedhof.
„Setz dich, das kann dauern", sagt sie zu Samantha, die sie irritiert ansah. Doch bevor diese ihren Unmut über diese Verzögerung äußern konnte, begann das Theater.
Norajas Faust schlug in Liams Schulter ein. Der unerwartete Stoß ließ ihn taumeln. Sein Fuß verfing sich an einer Baumwurzel und schon ging er zu Boden. Knurrend drehte er sich herum, stemmte sich auf und fixierte Noraja. Deren Augen pulsierten bereits drohend und ihr Kiefer zuckte. „Niemand sagt mir, was ich zu tun oder lassen habe, und schon gar kein Abkömmling der verfickten Mafia. Ich werde mit Antry gehen und es ist mir egal, was du oder dein neuer bester Freund davon hältst. Verstanden?"
Ihre Stimme war am Ende nicht mehr als ein warnendes Zischen. Wut regte sich in Liam, doch das Flimmern in ihren Augen zeigte ihm, dass der schmale Grat zwischen Leben und Tod gerade zu einem zerbrechlichen, verdammt morschen Ästchen geworden war.
Sein Blick zuckte zu Jason. „Hast du dazu nichts zu sagen?"
Der grinste schief und ließ sich neben Freya auf den Boden fallen. „Weißt du, es gibt Kämpfe, die kann man nicht gewinnen." Er zeigte dabei auf Noraja. „Und das ist einer davon."
Liam biss die Zähne aufeinander. Sein Blick schweifte zu Antry, dessen starrer Ausdruck nichts Gutes verhieß. Iskaii hingegen ließ seine Hand langsam zu seinem Schwert wandern. Doch selbst diese kleine Bewegung entging Noraja nicht und sofort wirbelte sie zu ihm herum. Mit erhobenen Sichelklingen stand sie drohend dem Krieger. „Und du...", knurrte sie und starrte dabei in seine grünen Augen. „... lässt dein Schwert lieber, wo es ist, anderenfalls entweiht dein Blut gleich diesen Ort."
„Einfach grandios", murrte Freya, drückte den Rest ihrer Zigarette aus und räusperte sich. „Vorschlag zur Güte: Noraja und Antry verpissen sich. Und zwar ganz. In diesem Kaff scheint es genügend Idioten zu geben, mit denen sie Spaß haben können."
„Bist du irre?", unterbrach Liam sie fassungslos.
Freya stand auf, wischte sich angewidert ihre dreckigen Hände an ihrer Jogginghose ab und sah zu ihren schlammigen Sneaker. Wie beschissen konnte so ein Abend eigentlich werden? Mit der Rückhand schob sie einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah dann in das entgeisterte Gesicht ihres Bruders.
„Ja, aber das hat nichts damit zu tun. Du machst dir Sorgen wegen mir. Siehst Antry als Gefahr. Er...", sie zeigte zu Iskaii, „... scheint das ähnlich zu sehen. Plus, Noraja passt ihm auch nicht. Jason hat aufgegeben und sie...", ihr Blick huschte zu Dandelia, die die Situation ungläubig beobachtete, „... kommt zu nichts, weil sie ständig einen der beiden Kasper im Zaum halten muss. Also."
Freya machte eine kreisende Geste durch die Runde und hielt bei Antry und Noraja inne. „Wenn die beiden verschwinden, kann der Rest sich um die Leichen kümmern. Denn bei den Göttern, wenn ich im Morgengrauen immer noch hier bin, anstatt in einem Scheißpub zu sitzen, bekommen wir ein wirkliches Problem." Sie hob die Brauen. „Höre ich sinnvolle Gegenstimmen?"
In Iskaiis Augen flackerte ein gefährliches Glimmen, wie ein loderndes Feuer, das kurz davor stand, alles in seiner Nähe zu verschlingen. Das Lichtspiel in seinen grünen Iriden war unheilvoll. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt. Doch Dandelia entging dieser subtile Wandel nicht. Sie spürte die aufkeimende Gefahr, die von ihm ausging, wie ein drohender Sturm, der am Horizont aufzog. Gleichzeitig bemerkte sie, wie sich Antrys Iriden schwarz färbten, als ob er in die tiefsten Abgründe seines Wesens hinabsank, dort, wo kein Licht jemals vordrang.
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Cemetery Story
Short StoryEs sollte nur ein entspanntes Treffen ihrer Schöpfer werden, doch nur eine Gruppennachricht später, finden sie sich in der Nacht auf einem Friedhof wieder. Die Protagonisten von CCK Schildmaid und Jen Thorn fluchen nicht schlecht, als sie aufeinande...