Kapitel 9

18 4 4
                                    

Noraja zog eine Braue nach oben und neigte den Kopf. „Du hast ihnen nichts von mir erzählt, oder?"

Ein weiteres tiefes Knurren aus Antrys Kehle diente als Antwort. Mit einem breiten Lächeln nickte sie Dandelia zu. „Keine Sorge. Er wird keine Gefahr für mich." Noraja schnappte Antry, der Iskaii zumindest mit seinen Blicken gerade tötete, am Arm und zerrte ihn mit sich. „Los jetzt. Der Blonden...", sie stockte und korrigierte sich. Warum zur Hölle sind die alle blond? „... deiner Blonden passiert schon nichts. Es wird Zeit für ein wenig Spaß."

Freya zog einen tiefen Atemzug ein und die kalte Luft riss an ihren Schleimhäuten, während Noraja und Antry in der Tiefe des Friedhofs verschwanden. „Das Ergebnis lesen wir wohl morgen in der Zeitung."

Liam trat neben sie und schnappte sich ein weiteres Brecheisen. „Das werden wir bereuen."

Freya rümpfte die Nase. „Jen und Schildmaid werden es bereuen und du...", sie schnappte sich die Schaufel und sah ihren Bruder eindringlich an, „hör auf damit. Ich liebe dich und deine Sorge, aber du schießt aktuell etwas übers Ziel hinaus."

Ehe er antworten konnte, wandte sie sich ab und ergriff einen der Leichensäcke. Mit einem leichten Stöhnen zerrte sie den eindeutig übergewichtigen Toten zum nächsten Grab, welches Liam soeben geöffnet hatte.

„Was ist los?", fragte Freya, als sie Samantha dabei beobachtete, wie sie angewidert hinein sah. Sie trat näher und spähte über deren Schulter. Augenblicklich ließ sie den Sack fallen. „Es scheint, als hatte da jemand dieselbe Idee", raunte sie und starrt. Unzählige einzelne Körperteile lagen um den eigentlichen Sarg verteilt. Das Fleisch zerfressen von Maden, welche zappelnd in jedem Winkel des Erdlochs zu sehen waren.

„Das sind verdammt viele Hände für eine Person", ergänzte Jason, der sich über das Loch lehnte, um nachzuzählen. „Sechs Hände. Vier Linke. Zwei Rechte. Männlich. Weiblich. Unterschiedliche Nägel. Da passt nix zusammen und das ist... widerlich." Er zog sich augenblicklich zurück und würgte zweimal.

Freya ließ den Kopf in den Nacken fallen und ein zorniger und durchaus genervter Laut vibrierte durch ihre Brust. „Bei den Göttern. Ich hasse dieses Kaff wirklich. Macht es wieder zu. Wir brauchen einen anderen Plan, bevor unseren Autoren noch mehr Morde zugeschrieben werden. Ich habe keine Lust, sie auch noch aus dem Knast holen zu müssen."

„Den Knast hätten sie mehr als verdient", zischte Samantha und starrte kurz in die Dunkelheit, wo der fahle Mondschein die verlassenen Grabsteine in gespenstisches Licht tauchte. „Und ganz ehrlich, ich verstehe mich selbst nicht, warum ich den beiden Gestörten nicht einfach Dean auf den Hals hetze. Für die würden sie selbst in diesem Land die Todesstrafe wieder einführen."

Ihre Worte klangen nach, wie das Echo eines unausgesprochenen Versprechens, während sie ihren Blick auf das Grab und dessen grausigen Inhalt richtete. Ohne zu zögern sprang sie in das Loch, die Erde unter ihren Chucks knirschte und zerbröselte wie der fragile Schleier zwischen Leben und Tod. Jason rümpfte angewidert die Nase, doch sein Ekel wurde von einer wachsenden Unruhe überdeckt, die sich in seinem Magen zusammenballte. Der modrige Geruch der feuchten Erde vermischte sich mit etwas anderem, etwas Metallenem, das in der Luft hing und ihm die Kehle zuschnürte.

Samantha kniete sich hin, ihre Bewegungen waren ruhig und kontrolliert, als sie die Leichenteile untersuchte, die vor ihr lagen. Die Welt um sie herum schien stillzustehen, nur das dumpfe Pochen ihres eigenen Herzschlags drang an ihre Ohren.

„Was wird das?", fragte Jason, seine Stimme zitterte leicht, als er sah, wie die Rothaarige eine der abgetrennten Hände aufhob. Seine Augen verengten sich und auch Freya und Liam rückten näher zusammen, ihre Mienen von einer Mischung aus Ekel und Misstrauen geprägt.

Samantha drehte die blasse, zerkratzte Hand in ihren eigenen, als ob sie ein seltenes Artefakt untersuchen würde. Ihre grünen Augen leuchteten im schwachen Mondlicht, während ihre Finger über die verformte Haut glitten.

„Wollt ihr gar nicht wissen, was es mit diesen Patschehändchen auf sich hat?" Ihre Stimme klang seltsam leichtfertig, als ob sie ein makabres Geheimnis in den Händen hielt.

Jason öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Stattdessen schüttelte er nur langsam den Kopf und Freya und Liam taten es ihm gleich. Der Ekel kroch ihnen die Kehlen hoch. Ihre Blicke klebten an Samantha, die nun mit großer Sorgfalt die Wunde an der abgetrennten Hand untersuchte.

„Wo zur Hölle bin ich hier nur gelandet?", murmelte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, als sie tiefer in die Wunde starrte. „Das sind verfluchte Bissspuren!", rief sie unvermittelt aus.

Noch ehe jemand ihre Worte verarbeiten konnte, durchbrach ein hoher, schneidender Pfiff die Dunkelheit. Er hallte zwischen den alten Grabsteinen wider, ließ die Krähen in den Bäumen aufschrecken und riss die Gruppe aus ihrer Starre. Samantha ließ die Hand fallen und sie landete mit einem klatschenden Geräusch auf dem Haufen der verstümmelten Gliedmaßen.

„Das ist Iskaiis Pfiff", erklärte sie. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ein kaltes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. „Entweder haben Antry und Noraja schneller in den Blutrausch gefunden als gedacht ... oder wir haben ein anderes Problem."

Cemetery StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt