Kapitel 1

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„Natürlich - ein Friedhof", motzte Liam, währenddessen er durch das reich verzierte Tor in die Dunkelheit dahinter trat. Leises Rascheln war zu hören, als sich eine sanfte Brise durch die Äste der umliegenden Bäume bewegte. Tanzende Schatten einsam brennender Grabkerzen flimmerten entlang des schmalen Weges und schenkten dem Ort der letzten Ruhe einen beinahe gemütlichen Eindruck.

„Es stand doch schon in der Nachricht, dass es einer ist", erwiderte Freya mit einem knappen Kopfschütteln und folgte ihrem Bruder. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich bilde mir deine Intelligenz nur ein." Ein sanfter Lufthauch legte sich auf ihrem Gesicht nieder und schickte ihr ein Frösteln durch die Glieder. „Ich hätte auf der Couch bleiben sollen", murrte sie und vergrub dabei ihre Hände in den Taschen ihrer Sweatjacke.

„Du bist ein Arschloch. Hier ...", knurrte Liam und hielt seiner Schwester eine der Schaufeln entgegen. Widerwillig zog sie ihre Hand wieder aus der wohligen Wärme und ergriff den kühlen Holzstiel. Gähnend legte sie sich diese über die Schulter und kramte nach ihrem Handy.

„Ich bin kein Arschloch. Nur übermüdet und wenn Schildmaid nicht dafür gesorgt hat, dass das Ganze hier lustig wird, werde ich ihr dieses Teil über den Schädel ziehen." Ihr Blick huschte über das Display, um sich dann suchend in der Umgebung umzublicken. Schweigend verließ sie den Hauptweg und betrat einen schmalen Pfad, dessen Ränder von unzähligen, recht neu wirkenden Gräbern bestückt waren.

„Lustig? Wann war jemals etwas lustig, wenn Schildmaid es veranlasst hat? Im Normalfall endet das für uns ziemlich beschissen", spottete Liam, zündete sich eine Zigarette an und schulterte seine Schaufel ebenfalls, bevor er seinen Blick über die Grabsteine gleiten ließ. „Allein, dass sie mich auf einen Friedhof zitiert, zeigt, was für ein Arschloch sie ist."

Selbst Freya konnte gegen diese Argumente nichts einwenden. Ebenso wenig konnte sie gegen das sich ausbreitende, ungute Gefühl in ihrem Magen etwas unternehmen. Etwas stimmte hier nicht. Sie hielt kurz inne und wartete, bis ihr Bruder wieder unmittelbar in ihrer Nähe war.

„Was ist?", fragte dieser sofort mit einem für ihn ungewohnt nervösen Ton.

Sie ließ ihren Blick abermals schweifen, kontrollierte den Standort erneut und lief weiter. 

„Nur so ein Gefühl."

„Super – wie beruhigend." Liam verstärkte den Griff um die Schaufel, zog an seiner Zigarette und machte seinem Unmut weiter Luft. „Und warum sind es schon wieder wir, die hier gebraucht werden? Kann sie nicht ...", doch ehe er weiter jammern konnte, ertönte hinter ihnen eine weitere Stimme.

„Seit wann heult er so viel?", fragte Noraja und trat aus dem Schatten eines mannshohen Grabstein hervor. Ihre weißen Haare waren zu einem wilden Dutt gebunden. In ihrem Gesicht waren selbst in dem wenigen Licht noch Schlaffalten zu erkennen und ihre gesamte Aura verströmte definitiv Unlust.

Freya zuckte mit den Schultern, ohne sie weiter zu beachten. 

„Keine Ahnung. Offensichtlich hat er seine Eier in Irland vergessen."

Ein verstecktes Lächeln zuckte über Norajas Mund, während sie den Shieldzwilling musterte. 

„Das würde einiges erklären."

Liams Mund öffnete sich bereits, als ein weiterer Schatten auftauchte und mit dem Kopf schüttelte. 

„Lass es. Sie ist heute im Angriffsmodus", erklärte Jason und gesellte sich neben ihn.

„Wann ist sie das nicht?", fragte Liam, klopfte Jason zur Begrüßung auf die Schulter und folgte den Frauen, die ihren Weg unbeirrt fortsetzten.

Ein leises Seufzen entfuhr Jason und genügte als Antwort. Die Männer verfielen in ein angenehmes Schweigen. Denn wenn es um Freya und Noraja und die eigene Gesundheit ging, war das so oder so immer der beste Weg. Die Schatten um sie wurden mit jedem Schritt, den sie tiefer in das Gelände traten, undurchsichtiger.

„Also, warum sind wir hier?", fragte Noraja, blickte dabei auf die Schaufel, welche auf Freyas Schulter ruhte, und warf dann einen Blick über die Schulter zu Jason zurück. Auch ihm stand die Müdigkeit noch ins Gesicht geschrieben. Einzelne Strähnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst, sein Vollbart stand in alle Richtungen und etwas Weißes schimmerte unter seinem Kinn.

„Du hast dein Shirt verkehrt herum an", raunte Noraja ungläubig und wendete sich wieder ab.

Jason stoppte, sah an sich hinab und rollte die Augen. 

„Klasse." Schnell zog er das Shirt aus, wendete es und fröstelte, als die kalte Luft seine nackte Haut streifte.

„Beim Ficken unterbrochen worden?", fragte Liam grinsend.

„Pfff ... schön wärs", gab Jason knurrend zurück. Schwieg aber und schien ihre vorherigen Aktivitäten nicht weiter erklären zu wollen.

Freya hingegen hielt stöhnend an. 

„Keine Ahnung, was diese Erbsenhirne nun wieder angestellt haben. Aber ich habe auch keinen Bock mehr, hier blind danach zu suchen. Und da ich meine Taschenlampe nicht mit habe und die am Handy nicht heller als eine unnütze Kerze ist", sie blickte zu Noraja: „Siehst du was?"

Diese sog einen tiefen Schwall Luft ein und konzentrierte sich. Stück für Stück suchte sie die Umgebung ab, bis sie die Hand hob und auf einen Punkt zeigte. Verborgen zwischen hohen Bäumen schimmerte etwas im sanften Mondlicht.

„Da...", sie stockte, runzelte die Stirn und drehte sich langsam um ihre eigene Achse. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf einen entfernten Punkt und ihre Mundwinkel zuckten. „Und wir sind nicht allein."

Prickelnde Anspannung stieg in Liam, Jason und Freya auf und ließ sie zeitgleich nach ihren Waffen greifen. Jason schloss sofort zu Noraja auf, doch diese schien seine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. Ein Hauch von Vorfreude durchströmte sie. Schwarze Schlieren pulsierten durch ihre Augen, während sich ihr Mund zu einem breiten Grinsen verzog. 

„Schön dich wiederzusehen", raunte sie plötzlich in das Zwielicht, aus dem klirrende Geräusche ertönten. 

Cemetery StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt