Heute spüre ich, dass es ein guter Tag wird. Erfrischt stehe ich für das Frühgebet auf und ziehe mein Kopftuch an.
Nach dem Gebet schreibe ich einige Gedanken in mein Gebetsbuch und gehe dann direkt unter die Dusche. Die warmen Tropfen beleben meine Sinne, während ich meine Locken mit liebevoller Pflege behandle. Lockencreme sorgt dafür, dass sie voller und voluminöser wirken, bereit für den Tag.
Für heute wähle ich einen grauen Pullover und eine schwarze Hose – perfekt für das kühle Wetter. Ich muss erst um 13 Uhr an der Uni sein, was mir den ganzen Morgen eine entspannte Gelassenheit verleiht. Auf dem Weg dorthin gönne ich mir eine Zimtschnecke, und die Vorfreude auf die mit Mohn gefüllte Leckerei lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Im Auto drehe ich die Musik auf volle Lautstärke, doch heute stehe ich im Stau wegen des Freitagsgebets der Männer. Die Straßen sind überfüllt, ein vertrautes Bild, da ich in der Nähe der Moschee wohne. Auch die Parkplätze quellen über.
Als ich an der Moschee vorbeifahre, mache ich die Musik leise – es mag seltsam erscheinen, doch es gibt mir ein Gefühl des Respekts, das ich sehr schätze. Ich wechsle von Deutschrap zu beruhigenden Regengeräuschen, die mich sofort entspannen und mir die Möglichkeit geben, die Stille zu genießen. Diese Klänge liebe ich so sehr, dass sie mich selbst beim Einschlafen begleiten.
An der Ampel halte ich an, vor der ich vor drei Wochen zuletzt gestanden habe. Seit diesem Vorfall, als ich versehentlich in das Auto eines Mannes gefahren bin, hat sich in mir eine leise Angst eingenistet. Doch heute ist es an der Zeit, mich meiner Angst zu stellen.
Plötzlich merke ich ein kräftiges Rucken, das mich zusammenzucken lässt. Instinktiv reiße ich die Tür auf und springe heraus. Vielleicht explodiert das Auto ja – aber das passiert nur in Filmen, nicht in der Realität.
Ein anderes Auto ist in meines gekracht. Der Anblick ist katastrophal: mein rauchendes Auto, der Vollschaden, ist kaum zu fassen. Ein dunkles, blaues Fahrzeug hat sich mit meinem verkeilt, und ich könnte schreien vor Wut und Frustration. In diesem Moment wünsche ich mir, ich hätte niemals meinen Führerschein gemacht.
Die Tür des anderen Autos öffnet sich, und ein Mann mit einem weißen, aufgeknöpften Hemd steigt aus. Er taumelt leicht auf mich zu, was mich überrascht. Verwirrt betrachtet er die beiden beschädigten Fahrzeuge, wobei mein Schaden besonders ins Auge fällt.
Verzweifelt schlage ich mir die Hand vor die Stirn. Schon wieder an derselben Stelle!
„Es tut mir leid“, murmelt er, während ich mir die Stirn reibe, um die drohenden Tränen zurückzuhalten.
„Worte ändern nichts“, antworte ich bitter. Schon sehe ich die Überstunden vor mir, die ich wegen des Schadens leisten muss.
„Ich rufe meinen Bruder an. Er wird sich darum kümmern“, sagt er und wirkt benommen, mit geröteten Augen und einem schwankenden Gang. Er greift in seine Tasche und tippt hastig. Nach einigen Sekunden hält er das Handy ans Ohr und spricht: „Abi, ich brauche deine Hilfe. Komm zur Ampel bei der Uni.“ Sein Tonfall ist besorgt, doch das ändert nichts an meiner Wut.
Ich schaue auf die Uhr: 12:20. Panik steigt in mir auf – ich könnte es nicht schaffen, rechtzeitig zu meiner Vorlesung zu kommen. Doch die Angst verblasst schnell, als nach etwa fünf Minuten ein vertrautes Auto auf uns zufährt.
Die getönten Fenster sind unverkennbar. Meine Augen weiten sich, als der Mann von vor drei Wochen aussteigt. Er trägt einen schwarzen Pullover und graue Hose – fast wie ich.
„Alles in Ordnung bei euch?“ fragt er mit einer ungerührten Stimme.
Schon wieder diese Frage, ob alles in Ordnung sei. Ich kann nicht anders, als wütend zu antworten: „Mein Auto ist demoliert“, während mir die Tränen in die Augen steigen.
„Yağmur“, flüstere ich leise, mehr zu mir selbst.
„Was?“, fragt er, nachdem er sich den Schaden an meinem Auto angesehen hat. Er sieht immer noch ziemlich attraktiv aus, doch das verbessert die Situation kein Stück.
„Nichts“, antworte ich hastig. Ich habe mein Auto Yağmur genannt, weil es, wie der Regen, beruhigend für mich ist. Jetzt ist es beschädigt, und ein betrunkenes Arschloch hat in meinen Schatz gefahren.
„Ich werde den Schaden bezahlen“, sagt er und atmet tief durch, bevor er sich umdreht und seinem Bruder befiehlt: „Du steigst jetzt besser ins Auto.“ Seine Stimme ist so kräftig, dass sie keinen Raum für Widerworte lässt.
„Ich rufe einen Abschleppdienst, der dein Auto in die Werkstatt bringt“, erklärt er, und ich nicke, obwohl ein mulmiges Gefühl in mir bleibt.
„Was soll ich tun?“, fragt der Bruder, der verwirrt wirkt.
„Gar nichts“, antworte ich, während das flaue Gefühl in meinem Magen bleibt.
„Wie komme ich zur Uni, zur Arbeit und nach Hause?“ frage ich laut, frustriert darüber, dass dieser Tag, der so gut begann, jetzt in Chaos enden könnte.
„Ich kann dich fahren“, sagt der andere Mann, und ich muss grinsen, weil es so absurd klingt. Ein fremder Mann wird mich zur Uni, zur Arbeit und nach Hause bringen?
„Und warum sollte ich dir vertrauen, dass du mir nichts tust?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue ihn skeptisch an.
„Weil ich der Mond bin und du die Sonne“, sagt er mit einem Lächeln. Was soll das bedeuten?
„Wir sind beide von Gott geschaffen“, fügt er hinzu. „Du bist Gottes Schöpfung. Warum sollte ich dir etwas antun?“
Mit diesen zwei Sätzen hat er mich schon überzeugt. Ich spüre, dass ich ihm auf seltsame Weise vertrauen kann – trotz der Warnungen, die ich im Hinterkopf habe.
„Überzeugt“, sage ich schließlich, während ich mein Herz ein wenig schneller schlagen fühle. Vielleicht ist es an der Zeit, die Kontrolle loszulassen und einfach zu vertrauen.
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Worte im Wind
Romance𝐖𝐨𝐫𝐭𝐞 𝐢𝐦 𝐖𝐢𝐧𝐝 --- Mit gerade einmal 22 Jahren hat die Psychologie-Studentin und Autorin 𝐑𝐨𝐣𝐢𝐧 𝐍𝐞𝐡𝐫𝐢 bereits Tausende Leser begeistert. Ihre Worte fesseln nicht nur, sie dringen tief ins Herz - ehrlich, kraftvoll und voller Lebe...