„Wenn ich nicht so schrecklich erschöpft wäre, würde ich nicht mal in deinem Auto sitzen“, sagt sie leise, doch trotz ihrer Worte sitzt sie neben mir. Ihre Finger spielen nervös mit einem der kleinen Spielsachen, das Elma wohl auf der Rückbank vergessen hat. Es ist ein flüchtiger Moment, aber ihre Gedanken sind woanders, schwer und unausgesprochen.
„Wie viele Semester hast du noch?“ frage ich, mehr um die Stille zu füllen als aus echtem Interesse.
„Eins.“ Die Antwort kommt knapp, ohne Blickkontakt, nur ein kurzes Nicken, und wieder versinkt sie in ihrem Schweigen. Die Stille dehnt sich aus, wird fast greifbar zwischen uns. Draußen zieht die Welt an uns vorbei, aber drinnen scheint alles stillzustehen.
Sie starrt aus dem Fenster, und ich sehe, wie ihre Augen sich langsam mit Tränen füllen, die sie mühsam zurückhält. Ein schmerzhafter Kloß formt sich in meiner Kehle. Ich kann es nicht ertragen, wenn Menschen ihre Tränen verstecken. Sie sollte sie nicht verschlucken, nicht so tun, als wäre alles in Ordnung, wenn es das offensichtlich nicht ist.
„Wir tragen eine Quelle in uns, gefüllt mit unseren Tränen“, höre ich plötzlich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf, „und wenn wir sie zu lange zurückhalten, bricht sie irgendwann hervor.“ Ein Teil von mir wird wütend, vielleicht weil diese Wahrheit zu schmerzhaft ist. Um mich zu beruhigen, lege ich sanft meine Hand unter ihr Kinn, hebe ihren Kopf ein wenig, damit sie mich ansehen muss.
„Rede mit mir, Zimtschnecke“, sage ich leise. Es ist ein Spitzname, der mir spontan einfällt, vielleicht, weil ihr brauner Schal und die weißen Ohrwärmer sie tatsächlich an eine Zimtschnecke erinnern. Süß und warm, aber auch verletzlich.
Langsam dreht sie ihren Kopf zu mir, ihre Augen rot vom unterdrückten Weinen. Sie sieht mich an, und für einen Moment kann ich in diesen tiefen, honigfarbenen Augen förmlich das Glitzern des Lichts sehen, das sich darin fängt. Sie hat die schönsten Augen, die ich kenne, und doch sind sie jetzt schwer, voller unausgesprochener Worte.
„Ich habe dich angelogen“, flüstert sie schließlich, ihre Stimme brüchig.
Meine Stirn legt sich in Falten, und ich komme ein Stück näher. „Worüber hast du mich angelogen?“ Meine Stimme ist leise, fast behutsam, als könnte ich sie damit aufbrechen, ohne sie zu verletzen. Ich will die Wahrheit hören, aber noch mehr will ich sie verstehen.
„Ja, ich habe eine Blasenentzündung, aber deshalb bin ich nicht so früh aufgewacht“, sagt sie plötzlich. Ihre Worte lassen mich innehalten, und ich verstehe nicht sofort, worauf sie hinauswill. Ihr Ton ist sanft, fast zerbrechlich, und doch spüre ich, dass da mehr dahinter steckt.
„Weißt du was, egal“, murmelt sie, und ihre Gesichtszüge verändern sich so schnell, dass es fast erschreckend ist. Für einen Moment wirkt es, als wäre sie eine völlig andere Person. Die Art, wie sie die Kontrolle über ihre Emotionen verliert, macht mir Sorgen, aber gleichzeitig kann ich nicht anders, als mich ihr näher zu fühlen.
Ich lege vorsichtig meine Hand an ihre Wange, streiche sanft darüber, als ob ich sie beruhigen könnte. „Du lügst schon wieder“, sage ich leise. Ihre Augen sehen verschwommen aus, rot und voller unausgesprochener Worte. Sie kämpft mit etwas in ihrem Inneren, doch in diesem Augenblick ist sie trotz allem atemberaubend schön. Ihre Schönheit ist wie ein Geheimnis, das sich nicht vollständig offenbaren will, und das macht sie nur noch faszinierender.
Sie schweigt und sieht mir tief in die Augen, ohne etwas zu sagen. Eine Stille liegt zwischen uns, doch sie fühlt sich nicht unangenehm an. Sie ist geladen mit all den Dingen, die sie nicht ausspricht.
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Worte im Wind
Romance𝐖𝐨𝐫𝐭𝐞 𝐢𝐦 𝐖𝐢𝐧𝐝 --- Mit gerade einmal 22 Jahren hat die Psychologie-Studentin und Autorin 𝐑𝐨𝐣𝐢𝐧 𝐍𝐞𝐡𝐫𝐢 bereits Tausende Leser begeistert. Ihre Worte fesseln nicht nur, sie dringen tief ins Herz - ehrlich, kraftvoll und voller Lebe...