Am Morgen wache ich auf der Couch auf. Meine Haare haben sich über Nacht in eine wilde Mähne verwandelt, die mich fast wie eine Löwin aussehen lässt. Mein Nacken schmerzt, und meine Beine fühlen sich schwer und steif an. Ein leises Stöhnen entweicht mir, als ich mich versuche zu strecken.
„Guten Morgen, Sonnenschein,“ höre ich seine vertraute Stimme, die mich sofort aufschrecken lässt. Ich drehe meinen Kopf in alle Richtungen, bis ich ihn entdecke – er liegt am anderen Ende der Couch, völlig entspannt, als wäre er nie eingeschlafen. Die Sonne scheint durch das Fenster und lässt sein leicht zerzaustes Haar golden leuchten.
Gestern haben wir eine Krimiserie angefangen, doch irgendwann bin ich, ohne es zu merken, eingeschlafen. Ich weiß das, weil ich ihn noch mit jemandem telefonieren hörte, während ich längst in den Schlaf abgedriftet war. Ein Gähnen entweicht mir, und ich strecke mich müde, als hätte ich die ganze Nacht gefeiert. Doch es war nur die Nachwirkung einer langen, unruhigen Nacht.
„Willst du einen Kaffee?“ fragt er und richtet sich auf, seine Stimme ist sanft, aber wach. Er rückt näher zu mir, seine Augen warm und liebevoll. Ich nicke verschlafen, zu müde, um Worte zu formen, und lasse mich gleichzeitig wieder in die weichen Kissen sinken. Der Gedanke an einen heißen Kaffee in meinen Händen fühlt sich tröstlich an. Ich bin immer noch in seinem Haus, trage seine Klamotten, die mir ein seltsam sicheres Gefühl geben, als ob sie mich vor der Kälte der Welt schützen.
Er hat den Test meines Vertrauens bestanden, und tief in mir spüre ich, dass wir mehr als nur Freunde sind. Ein Teil von mir seufzt innerlich vor Erleichterung, dass er kein Ted Bundy ist.
„Ich fahr’ dich nach Hause,“ sagt er, und ich nicke nur. Die Busfahrpläne am Sonntag kenne ich nicht, und die Aussicht auf einen warmen Platz in seinem Auto ist bei der morgendlichen Kälte viel verlockender.
„Kannst du mir vielleicht erklären, warum du überhaupt hier warst?“ fragt er, während er in die Küche geht, seine Stimme klingt neugierig, aber nicht drängend.
„Mein Ex-Freund,“ antworte ich zögerlich, fast als würde ich mich schämen, es zuzugeben. Er gibt ein leises Brummen von sich – ein Zeichen, dass er mehr hören will.
„Wir haben uns vor fast einem Monat getrennt. Es war eine Erleichterung,“ fahre ich fort und höre erneut dieses Brummen, während er in der Küche hantiert. „Er war ein Junkie, und ich konnte nicht mehr mit ihm leben. Außerdem hat er mich ständig respektlos behandelt.“ Ich streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr und spiele nervös damit, als könnte ich so die Wunden der Vergangenheit glätten.
„Du bist keine Schlampe,“ sagt er plötzlich mit einem frechen Grinsen, und ich muss unweigerlich lachen. Natürlich bin ich das nicht – aber aus seinem Mund klingt es auf eine Art wie ein Kompliment, das mich auf seltsame Weise berührt.
„Und auf eine merkwürdige Weise bricht er ständig in mein Haus ein,“ sage ich, während er mit einer Tasse dampfendem Kaffee zurückkommt. Der Duft des frisch gebrühten Kaffees erfüllt den Raum, und ich fühle, wie die Wärme allmählich meine Müdigkeit vertreibt. Ich setze mich im Schneidersitz auf und nehme die Tasse entgegen. Die Keramik ist angenehm warm in meinen Händen, und ich atme tief ein.
„Er bricht bei dir ein?“ fragt er ungläubig, als würde er denken, ich hätte mich versprochen. Doch nein, ich habe es klar und deutlich gesagt. Mein Ex bricht fast jede Woche bei mir ein.
„Und du rufst nicht die Polizei?“ Er sieht mich mit einem leicht skeptischen Blick an, als würde er erwarten, dass ich doch noch Vernunft walten lasse.
„Ich kann sie nicht rufen,“ gestehe ich und trinke einen großen Schluck aus der Tasse. „Seine Mutter tut mir leid.“ Die Worte kommen überraschend leicht über meine Lippen, als hätte ich das lange mit mir herumgetragen.
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Worte im Wind
Romance𝐖𝐨𝐫𝐭𝐞 𝐢𝐦 𝐖𝐢𝐧𝐝 --- Mit gerade einmal 22 Jahren hat die Psychologie-Studentin und Autorin 𝐑𝐨𝐣𝐢𝐧 𝐍𝐞𝐡𝐫𝐢 bereits Tausende Leser begeistert. Ihre Worte fesseln nicht nur, sie dringen tief ins Herz - ehrlich, kraftvoll und voller Lebe...