Soll ich oder nicht?
Soll ich... oder doch lieber nicht?
Es ist so eine schwierige Entscheidung, dass ich nicht weiß, wie ich sie treffen soll. Aber wir sind erwachsen, oder? Da wird doch nichts passieren... Bestimmt nichts.
Habe ich gerade „bestimmt“ gesagt? Nein, da wird auf gar keinen Fall etwas passieren. Wir sind doch nur Freunde. Gute Freunde.
Freunde, bei denen ich mich viel zu wohlfühle. Vielleicht zu wohl.Sogar deine Freundin mopst mir schon die Pullover und Socken, als wäre das völlig normal.
„Ich ziehe bei dir ein“, sage ich plötzlich. Ein kleiner Scherz vielleicht, aber irgendwo in mir lauert die Frage: Werde ich diese Entscheidung bereuen?
Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht.
Vielleicht werden wir dadurch noch bessere Freunde. Vielleicht werde ich dich endlich so richtig kennenlernen. Oder vielleicht werde ich auch lernen, dass du der nächste Christian Grey bist und ein rotes Zimmer besitzt, von dem ich bisher nichts wusste.„Aber es wird Regeln geben“, sage ich mit ernster Stimme, während ich mit meinem Pinsel Blush über meine Wangen streiche. Der Gedanke, bei dir einzuziehen, ist aufregend, aber auch... irgendwie beängstigend.
„Was ziehst du an?“ frage ich ihn beiläufig, während ich versuche, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen.
Er richtet die Kamera auf eine Platte und zeigt dann mit einem kleinen Lächeln auf seinen Oberkörper. Seine Finger gleiten über den schwarzen Oversize-Pullover, der irgendwie lässig, aber auch schick aussieht.
„Ich freue mich schon auf heute“, sagt er schließlich. Wir werden heute Abend alle zusammen als große Freundesgruppe ausgehen. Ich, Kenan, Arda, Ayla, Emin und Samet – eine ganz normale Clique, die sich in der Shisha-Bar trifft, um einfach Spaß zu haben.„Wann willst du bei mir einziehen?“ Seine Stimme klingt plötzlich anders, irgendwie ernster, und die Frage bleibt für einen Moment in der Luft hängen.
Ich weiß, ich sollte antworten, aber ich brauche Zeit, um nachzudenken. Deswegen herrscht eine lange, stille Pause zwischen uns.
„Kurz vor Silvester?“ sage ich schließlich. Es klingt mehr wie eine Frage als eine Antwort. Doch sein Grinsen lässt mich wissen, dass er zufrieden ist.
„Das ist machbar“, sagt er und nickt. Ich lächle leicht, aber in mir breitet sich ein unruhiges Gefühl aus. Silvester ist in ein paar Wochen, und ich sollte wahrscheinlich bald anfangen, meine Sachen zu packen.Während ich über seine Worte nachdenke, wird mir bewusst, wie viel sich verändern wird, wenn ich wirklich einziehe.
„Feierst du Silvester mit deiner Familie?“ frage ich, obwohl ich die Antwort wahrscheinlich schon kenne. Ich selbst habe seit Jahren kein richtiges Silvester mehr gefeiert – nicht, seit meine eigene Familie nicht mehr wirklich da ist. Nur mit Ayla und Kenan, die mittlerweile zu meiner Familie geworden sind.
Er schüttelt den Kopf, während er seine Schuhe anzieht. „Nein.“
Dann fragt er: „Und du?“
Diese Frage trifft mich unerwartet, und für einen Moment spüre ich einen scharfen Schmerz in meiner Brust. Meine Familie... Die habe ich schon lange nicht mehr. Das letzte Silvester, das ich mit ihnen verbracht habe, war, als ich achtzehn war – damals war meine Mutter noch da.Die Erinnerung an sie schmerzt, und ich schlucke schwer, bemühe mich, die Tränen zurückzuhalten. „Nein“, sage ich leise und lege den Pinsel beiseite, greife stattdessen nach meinem Lipliner. Ich versuche, die Kontrolle über meine Gefühle zu behalten, indem ich mich auf meine Routine konzentriere.
Der Mann, der in meiner Kindheit anwesend war, wenn er nicht gerade mit Fußball oder Wetten beschäftigt war... Er war der reine Albtraum, den sich jedes Kind nur vorstellen kann. Ich würde ihn niemals „Vater“ nennen, denn diesen Titel hat er nie verdient.
Ein Vater ist für seine Kinder da. Und was war er? Nichts. Er war für mich nicht mehr als Dreck.Ich ziehe den dunklen Lipliner auf, präzise und kontrolliert, und trage dann den dazu passenden Lippenstift auf. Heute Abend werde ich ein langes, dunkelgrünes Kleid tragen, das eng an meiner Haut liegt und mir bis zu den Füßen reicht. Es fühlt sich fast wie eine zweite Haut an, als ob es mich schützen könnte, obwohl es so zart ist.
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Worte im Wind
Romance𝐖𝐨𝐫𝐭𝐞 𝐢𝐦 𝐖𝐢𝐧𝐝 --- Mit gerade einmal 22 Jahren hat die Psychologie-Studentin und Autorin 𝐑𝐨𝐣𝐢𝐧 𝐍𝐞𝐡𝐫𝐢 bereits Tausende Leser begeistert. Ihre Worte fesseln nicht nur, sie dringen tief ins Herz - ehrlich, kraftvoll und voller Lebe...