Kapitel 11

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Severus ging ins Wohnzimmer und setzte sich neben Harry, der immer noch mit dem Blindenstock übte. Er sah zu, wie Harry den Stock geschickt schwang und den Praesentia Obstaculi Zauber anwendete, um Hindernisse zu erkennen. Severus beobachtete Harry aufmerksam, während dieser weiter mit dem Blindenstock übte. Es war beeindruckend, wie geschickt und konzentriert er damit umging. Der Zauber, den er gerade erst erlernt hatte, zeigte seine Wirkung, und Harry gelang es immer besser, Hindernisse zu erkennen und zu umgehen. Ein sanftes Lächeln huschte über Severus' Gesicht, während er diese Fortschritte sah. Doch trotz des Stolzes, den er empfand, wusste er, dass es jetzt an der Zeit war, ein lang verdrängtes Thema anzusprechen.

»Du machst wirklich bemerkenswerte Fortschritte«, begann er mit ruhiger Stimme, um Harrys Aufmerksamkeit zu gewinnen. »Aber... es gibt etwas, über das ich mit dir sprechen möchte. Etwas, das schon lange in mir gärt.« Harry hielt inne, den Blindenstock locker in der Hand, und drehte sich zu ihm um.

»Was ist es?«, fragte er, seine Stimme ruhig, aber seine Haltung verriet die Spannung, die in ihm aufstieg. Langsam ging er zur Couch und setzte sich zu Severus, der seine Hand nahm. Der Mann zögerte, atmete tief durch und suchte nach den richtigen Worten.

»Es geht um meine Vergangenheit«, begann er leise, als hätte er Angst, dass die Worte bei zu viel Lautstärke an Gewicht verlieren könnten. »Ich weiß, dass du wissen möchtest, warum es mit Tim damals nicht funktioniert hat. Und ... ich denke, du hast ein Recht darauf, es zu erfahren.« Harry nickte, sein Blick fest auf Severus gerichtet, und er drückte leicht die Hand, die auf seiner ruhte. Er sagte nichts, drängte ihn nicht, sondern signalisierte nur, dass er bereit war zuzuhören.

»Nach James«, begann Severus, und er spürte, wie ihm der Atem stockte, als der Name über seine Lippen kam. Der Schmerz der Erinnerung saß tief. »Nach ihm wollte ich so sehr, dass es mit Tim klappt. Er war...« Er suchte nach den passenden Worten, die diesem Mann gerecht werden würden. »Er war alles, was ich damals gebraucht hätte. Geduldig, liebevoll, bereit, auf mich einzugehen. Aber ich ... es war, als ob etwas in mir blockierte. Jedes Mal, wenn er versuchte, zu mir durchzudringen, baute ich eine weitere Mauer um mein Herz.« Harry sagte nichts, aber sein Griff um Severus' Hand wurde etwas fester, und er legte seine andere Hand sanft auf Severus' Arm – ein stilles Zeichen von Verständnis und Unterstützung.

»Ich hatte diese Angst«, fuhr Severus leise fort, »dass ich wieder verletzt oder verlassen werden würde. Diese Angst war so überwältigend, dass sie alles andere überschattete. Und je mehr Tim versuchte, mir zu zeigen, dass er es ernst meinte, desto mehr zog ich mich zurück. Es war...«, er schüttelte den Kopf, als ob er die Worte wegwischen wollte, die ihm so schwerfielen. »Es war unfair ihm gegenüber. Ich war launisch, manchmal grausam. Ich habe ihn weggestoßen, weil ich ... weil ich nicht bereit war, jemandem zu vertrauen.«

»Das klingt schrecklich«, sagte Harry leise, seine Stimme zitterte ein wenig. »Für euch beide.« Severus nickte.

»Er hat es lange ertragen«, murmelte er, seine Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, als würde er in die Vergangenheit blicken. »Länger als irgendjemand sonst es getan hätte. Aber irgendwann ... hat er aufgegeben. Und ich konnte es ihm nicht verübeln. Er hatte etwas Besseres verdient als das, was ich ihm bieten konnte.«

»Das tut mir leid«, murmelte Harry, obwohl er wusste, dass Worte wenig daran ändern konnten, was geschehen war. Er fühlte den Schmerz in Severus' Stimme, die Bitterkeit, mit der er über seine eigene Unfähigkeit sprach, sich jemandem zu öffnen.

»Du musst nicht bedauern, was damals passiert ist«, entgegnete Severus und schüttelte leicht den Kopf, als ob er Harrys Mitgefühl abwehren wollte. »Ich habe es selbst verursacht. Ich war nicht in der Lage zu lieben. Nicht wirklich. Und kurz nach unserer Trennung habe ich die Stelle in Hogwarts angenommen. Ich dachte, die Arbeit würde mich ablenken, würde mir etwas geben, worauf ich mich konzentrieren konnte. Aber die Erinnerungen, die Wut, der Schmerz ... sie haben mich nicht losgelassen.« Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Harrys Daumen strich sanft über Severus' Handrücken, ein beruhigender Rhythmus, der ihm helfen sollte, die Emotionen zu ordnen.

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