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Immer noch schwirrten Kais Worte in meinem Kopf

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Immer noch schwirrten Kais Worte in meinem Kopf. Seine Drohung. Seine Autorität. Diese spürbare Macht.
Was hatte ich dort gesehen? War das eines dieser Geheimnisse?
Als ich Alison abholte und wir Nachhause liefen, versuchte ich, mein Gesicht neutral zu halten, so als wäre nichts passiert. Doch in meinem Inneren tobte es. Meine Gedanken wirbelten wild durcheinander, die Begegnung mit Kai ließ mich nicht los. Ich hatte das Gefühl, als würde ich den Boden unter den Füßen verlieren, doch Alison... sie durfte nichts davon merken. Sie war erst acht, zu jung, um sich mit meinen Problemen auseinanderzusetzen. Sie sollte unbeschwert bleiben, weit weg von dem, was mich gerade innerlich zerfraß.
Sie würde es nicht verstehen und selbst wenn sie es tat, würde es sie nur in Gefahr bringen.
«Hey, alles okay?» fragte sie mich, ihre große, unschuldige Augen musterten mich aufmerksam. Es war, als könnte sie tief in mich hineinsehen und genau erkennen, dass etwas nicht stimmte. Alison hatte schon immer dieses unheimliche Gespür dafür, wenn etwas nicht in Ordnung war.
Für ein Kind war sie faszinierend liebherzig. Sie forderte nicht viel von mir, machte wenig Stress und kümmerte sich um sich selbst. Sie war viel reifer als jedes Kind das ich kannte und ehrlich gesagt war dies nichts gutes.
Sie sollte spielen und mit Freundinnen rausgehen können. Malen, Basteln und auf den Rücken ihrer Eltern krabbeln können. Sie sollte im Auto einschlafen und am nächsten Morgen im Schlafanzug im Bett wieder aufwachen können.
Jetzt musste sie an manchen Tagen hungern und besaß nicht einmal genug Geld um sich eine Holzpuppe zu kaufen.
«Ja, alles in Ordnung», log ich, und versuchte ein Lächeln aufzusetzen. Doch es fühlte sich falsch an, gezwungen. Mein Herz schlug immer noch schnell, die Erinnerung an Kai – an das, was passiert war – saß mir noch schwer in den Knochen. Ich konnte kaum glauben, was ich gesehen hatte. Was er wirklich war.
Alison ließ sich aber nicht so leicht täuschen. Sie runzelte die Stirn und nahm meine Hand. «Du siehst schockiert? - aus», sagte sie leise, fast flüsternd, als wollte sie mir einen Moment geben, in dem ich ehrlich sein konnte. Ich hielt inne und sah sie an, diese kleine, zerbrechliche Gestalt, die immer ein offenes Ohr für mich hatte, auch wenn sie die Welt, in der ich mich bewegte, nicht verstand. Ich sollte diejenige sein die ihre Probleme anhörte. Die mit ihr über Jungs in ihrer Klasse sprach oder ihr bei den Mathehausaufhaben half.
«Es ist nur... ich bin müde, Allie. Alles gut.“ Ich drückte ihre Hand, als wollte ich mich an ihr festhalten. Doch sie ließ nicht locker.
«Hast du geweint?» Ihre Stimme wurde noch leiser, und sie schien fast ein wenig erschrocken. Es war, als hätte sie zum ersten Mal realisiert, dass die Welt nicht so sicher war, wie sie immer dachte.
Ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte, aber ich konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. Nicht über Kai, nicht über das, was ich gesehen hatte und in welche Gefahr ich uns vielleicht gebracht habe. Ich konnte sie nicht mit dieser dunklen Seite meines Lebens belasten. «Nein, alles ist okay. Wirklich.» Dieses Mal klang ich fester, überzeugender – mehr für sie als für mich selbst. Geweint hatte ich tatsächlich nicht, also war meine Antwort teilweise die Wahrheit.
Sie sagte nichts weiter, aber ich sah, wie sie mich skeptisch ansah. Ihre kleine Hand hielt meine fest, und ich spürte den leisen Druck, diese Verbindung, die uns immer beschützt hatte. Für sie musste ich stark bleiben, egal was in mir vor sich ging. Egal was Kai gesagt hatte.
Meine Aufgabe war es, Allie zu beschützen und ich würde niemals damit aufhören.
Als wir weiterliefen, spürte ich, wie die Schwere auf meiner Brust nicht nachließ. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu Kai zurück, zudem, was er mir gezeigt hatte, zu dem, was er wirklich war. Ich hatte immer geahnt, dass hinter ihm mehr steckte als das, was er an der Oberfläche zeigte, aber das? Er hatte diesem Mann ein Messer in den Bauch gerammt!
Alison war still neben mir, und ich konnte ihre Blicke spüren, wie sie mich immer wieder von der Seite musterte. Sie wusste, dass etwas nicht stimmte, sie konnte es fühlen. So klug für ihr Alter. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte, aber wie sollte ich ihr das erklären? Wie sollte ich die Angst und Verwirrung verbergen, die in mir wütete, ohne ihr Angst zu machen?
«Was hast du heute in der Schule gemacht?» fragte ich schließlich, um das Schweigen zu brechen. Ich wollte die Unterhaltung von heute früh nicht fortsetzen und sie merkte dies. Ich musste mich ablenken, uns beide ablenken, bevor sie weiter nachfragte. Bevor ich unter ihrem unschuldigen Blick zusammenbrach.
Alison erzählte mir von ihrem Tag, von einem neuen Spiel, das sie mit ihren Freunden in der Pause gespielt hatte, von ihren Lehrern und einer Schulveranstaltung, die bald stattfinden würde. Ich nickte, versuchte aufmerksam zu sein, auch wenn meine Gedanken immer wieder abschweiften. Ich konnte mich kaum konzentrieren. Die Dinge, die Kai gesagt hatte, hingen wie ein drohender Schatten über mir. Wie weit reichte seine Macht? Was bedeutete das für mich?
«Du hörst mir gar nicht zu, oder?» fragte sie plötzlich und blieb stehen, ihre kleinen Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Augen funkelten leicht beleidigt, aber es war diese Art von kindlicher Beleidigung, die mehr aus Sorge kam als aus wirklichem Ärger.
«Doch. Doch, natürlich», antwortete ich schnell, zwang mich, sie anzulächeln. «Das Spiel klingt toll. Hast du Noten zurück bekommen?»
«Du brauchst nicht lügen», murmelte sie und schaute mich mit diesen durchdringenden Augen an. «Wenn etwas nicht stimmt, kannst du es mir sagen.»
Ich schluckte. So viel Verantwortung für ein kleines Mädchen. Sie versuchte mich zu trösten, dabei sollte es doch andersherum sein. Aber wie sollte ich ihr das alles erklären? Wie konnte ich sie schützen, wenn ich selbst nicht wusste, wie es weiter ging?
Ich hatte die Verantwortung für sie. Und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ihr etwas passieren würde.
«Es ist wirklich alles in Ordnung», sagte ich schließlich, auch wenn ich mich selbst nicht ganz davon überzeugen konnte. «Wir haben Zuhause noch ein bisschen Kakao, willst du?» fragte ich und versuchte sie erneut abzulenken. Ich wusste nicht wie lang ich meine kleine Schwester noch anlügen konnte.
Alison sah mich noch einen Moment lang an, dann nickte sie langsam. «Okay», sagte sie leise, aber ich wusste, dass sie nicht zufrieden war. Sie würde es nicht so leicht vergessen, aber ich reagierte nicht auf ihren dauerhaft fragenden Blick, als wir weiterliefen.
Mit einem aufgezwungen beruhigenden lächelnd nahm ich ihr ihren Schulrucksack ab und Zwang mich an alles andere als an Kai zu denken. Ich war aufgewühlter als gedacht und beruhigte mich erst, als wir Zuhause waren und ich meiner Schwester in der maroden Küche einen Kakao zubereitet.
Vielleicht sollte ich mit Alison einen Film schauen oder irgendein Brettspiel spielen?
«Willst du Marshmallows?» fragte ich.
Morgen müsste ich wieder arbeiten gehen und die Müdigkeit zerfraß mich innerlich, dennoch stand ich hier und machte meiner Schwester heiße Schokolade. «Oh ja» grinste Allie und klopfte mit ihren Händen freudig auf die Arbeitsfläche.
Einen Moment lang, machte mein Herz einen Sprung und ein echtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich die fluffigen schaumbällchen in das heiße Getränk tat.
Ich atmete tief durch und zwang mich, ruhig zu bleiben, als meine Gedanken wieder abschweiften. Ich durfte sie nicht in Kais Welt hineinziehen. Sie war das Einzige, was mir noch Sicherheit gab, das Einzige, das mich daran erinnerte, wer ich eigentlich war. Aber wie lange konnte ich das noch aufrechterhalten? Wie lange konnte ich Kai und seine dunklen Geheimnisse vor ihr verbergen?
«Willst du mit mir 'Mensch ärger dich nicht' spielen?» fragte Allie vorsichtig lächelnd als ich den Kakao vor ihr abstellte. Ich gähnte und meine Müdigkeit war kaum mehr zu verbergen, dennoch nickte ich und bat sie das Spiel zu holen.
Eigentlich war mir überhaupt nicht nach Spielen, aber vielleicht war das genau das, was wir beide brauchten – eine Pause von allem. Weg von den Gedanken, weg von der Realität, zumindest für einen kurzen Moment.
Als wir am zerkratzten Küchentisch saßen und das Brettspiel ausbreiteten, spürte ich, wie sich die Anspannung langsam ein wenig löste. Der Geruch von heißem Kakao, das Klicken der Spielfiguren – all das gab mir für einen Augenblick das Gefühl von Normalität.
Ich lachte sogar, als Alison mich mit einem Zug rauswarf, und sie über beide Ohren strahlte.
Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass diese Ruhe nicht von Dauer sein würde. Kai würde nicht einfach verschwinden, und ich wusste, dass er schon bald wieder in mein Leben treten würde. Aber solange Alison lachen konnte, solange ich ihr diese Momente der Unbeschwertheit schenken konnte, würde ich alles tun, um sie zu beschützen.

Dark Soul |18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt