Kapitel 13: Neues Leben

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Die Sonne war kaum noch am Horizont zu erkennen, als Senjuro und ich den Friedhof verließen. Wir beide lächelten. Dies bestärkte mich in der Annahme, dass auch Senjuro sich an alle guten Seiten von Kyojuro erinnert hatte. Schließlich räusperte sich Senjuro. Seine Stimme wahr nachdenklich geworden und es schwang ein Hauch an Neugierde mit: „Wie geht es Mitsuri eigentlich so?" Ich blickte ihn von der Seite an und schob beiläufig meine Hände in die Hosentasche. „Es geht ihr soweit gut, würde ich sagen..." Er musterte mich interessiert: „Bedeutet was?" Meine Aufmerksamkeit wanderte zu den mittlerweile rosa verfärbten Wolken, welche über den Himmel zogen. „Sie ist von den Vorbereitungen krank geworden und hat sich gerade erst erholt. Diese Hochzeit tut ihr absolut nicht gut." „Oje", in Senjuros Gesicht zeichnete sich Bekümmerung ab. Ich lächelte zuversichtlich: „Keine Sorge. Wie schon gesagt, es geht ihr schon wieder besser. Und heute ist sie zum Schmetterlingsanwesen gegangen wegen einer abschließenden Untersuchung." „Na dann...", mein kleiner Bruder wirkte nicht ganz überzeugt. Wir erreichten das Haus und ich strich ihm sanft über das Haar. Es war nicht beabsichtigt gewesen, eher ein Reflex. Etwas, was ich früher immer getan hatte, wenn ich meine Zuneigung zu ihm zeigen wollte. Senjuro wich minimal zurück, bevor er die Geste wohl wiedererkannte. Schließlich lächelte er: „Das habe ich schon ewig nicht mehr gespürt." „Ich weiß", ich grinste. Er zog mich schnell in eine stürmische Umarmung: „Das war schön heute. Lass uns öfters zusammen zu seinem Grab gehen. Kyojuro hätte es auch so gewollt." Ich drückte ihn fest an mich und nahm seine Wärme – die Wärme eines zweiten Zuhauses – in mich auf: „Ja, das hätte er wirklich." Senjuro ließ mich fröhlich los und rannte zum Haus. Vor der Tür blieb er noch einmal stehen, drehte sich um und winkte. Ich hob die Hand und winkte zurück. Dann drehte ich mich ohne einen Blick zurück um und verschwand in den mittlerweile stark abgekühlten Abend.

„Da bist du ja!", Mitsuri rannte mir schon vor dem Anwesen entgegen, in ihren Augen schimmerte keinerlei Müdigkeit, was ich nicht von mir behaupten konnte. Sie schloss mich in eine stürmische Umarmung, welche mich fast umwarf. Ihr Körper zitterte und sie krallte sich schon fast verzweifelt fest. Ich erwiderte die Umarmung etwas verwirrt: „Hey... Alles okay?" Sie nickte: „Vielleicht bin ich doch ein wenig müde. Immerhin war ich bis vor ein paar Tagen noch nicht mal in der Lage, aufzustehen." „Dann gehen wir jetzt lieber nachhause, hm?", ich sah sie lächelnd an. Wir setzten uns in Bewegung und schlenderten Heim. Mitsuri seufzte: „Mensch, du weißt ja garnicht, wie lange ich in diesem Warteraum sitzen musste. Es war sooooo langweilig." Schließlich tastete ihre Hand nach meiner, um sich mit ihr zu verschränken. Dann fing ich mit der Kurzfassung meines Nachmittags an, erzählte von Senjuro und unserer neuen Zuneigung zueinander. Mitsuri hörte aufmerksam zu und ihre strahlenden Augen verrieten mir, wie sehr sie sich für mich freute. Schließlich lenkte ich das Thema wieder zu ihr: „Welche Untersuchungen hat Kanao eigentlich genau mit dir gemacht?" „Irgentwelche Tests. Die Ergebnisse kommen aber erst noch, weil sie noch etwas untersuchen will." Ich nickte, beobachtete sie noch eine Weile und kam zu dem Schluss, dass ich nicht weiter nachbohren wollte. Endlich kamen wir Zuhause an und ich öffnete die Tür mit einem erleichterten Seuftzen: „Ich werde heute keinen Schritt mehr machen." Mitsuri ging an mir vorbei und stupste mich neckend an: „Und wie kommst du ins Schlafzimmer hoch?" „Haha...", murmelte ich sarkastisch. Mitsuri rauschte an mir vorbei: „Ich bin zuerst im Bad!" „Ok?", ich folgte ihr – noch etwas irritiert, woher dieser Energieschub kam. Während Mitsuri sich fertig machte, setzte ich mich noch ein wenig nach draußen, beobachtete den sternenklaren Himmel. Ich zog die kühle Luft ein, bemerkte den Geruch von unserem Zuhause darin. Meine Haare wurden von der Brise verwirbelt, peitschten mir ins Gesicht. Ich knurrte und strich sie mir umständlich wieder aus der Stirn. „Kampf mit dem Wind?", Mitsuri ließ sich fröhlich neben mich fallen und drehte sich so, dass sie mir gegenüber saß. Ich lächelte teilweise belustigt: „Zu meinem Leidwesen schon." Ruhe kehrte ein. Wir beide starrten in die Nacht hinaus. Keiner sagte etwas, jeder genoss die Stille und den Frieden für sich. Ich dachte noch einmal über den heutigen Tag nach. Wie sehr ich Senjuro wieder näher gekommen war. Langsam schob sich eine Wolke zur Seite und enthüllte stolz den vollen, milchigen Mond. Sein Schein fiel auf die Terrasse und hüllte sie in kühles Licht. Währenddessen hatte Mitsuri meine Hand genommen. Sie fühlte sich warm in meiner an und hinterließ an jedem Berührungspunkt ein Gefühl von Zuneigung. Ich drehte meinen Kopf langsam in ihre Richtung und begegnete ihren großen grünen Augen. Mitsuri setzte sich etwas gerader hin, als würde sie sich auf etwas gefasst machen. Aus Reflex amte ich ihre Bewegung nach, sodass wir nun nah aneinander gegenüber knieten. Sie hielt meine Hand noch immer fest gedrückt. Sorge brodelte tief in meiner Brust. „Ich sollte dir wohl etwas sagen", Mitsuris Stimme war fest. Vielleicht würden sich dann endlich einige meiner Fragen aufklären. Sie blickte von dem Holz der Terrasse auf und ich nickte ihr sanft zu. Sie atmete tief durch: „Ich bin schwanger." Drei Wörter... Es waren drei Wörter... Und doch versetzten sie meine ganze Welt in Bewegung. Die Sorge in meiner Brust machte einem unerwarteten Gefühl von Wärme Platz. „Wirklich?", nun war es meine Stimme, welche zitterte. Mitsuri lächelte zuversichtlich: „Ja, ich habe es heute bei der Untersuchung erfahren. Kanao hat..." Ich überbrückte den kurzen Abstand zwischen und schloss sie in die Arme. „Das ist echt schön!", ich vergrub meine Nase in ihrem Haar und nahm ihren vertrauten Geruch in mir auf. Etwas feuchtes landete auf meiner Schulter. „Weinst du etwa?" Mitsuri presste sich noch fester zu mir: „Das sind Tränen der Freude. Nichts weiter." „Ich freu mich auch. Wir werden eine richtige kleine Familie", flüsterte ich und starrte in den Sternenhimmel hinauf. Das war also das Schicksal, welches für uns vorgesehen war.

Ich wusste nicht wie viel Uhr es war, als ich mich endlich ins Bett sinken ließ. Mitsuri und ich hatten noch eine ganze Weile zusammen auf der Terrasse verbracht und in den Himmel geschaut. Ich war mir sicher, dass es schon nach Mitternacht war. Sie ließ sich neben mich sinken und bettete ihren Kopf auf meine Brust. Ich genoss die Wärme und die Stille um uns herum bis sie schließlich noch einmal den Kopf hob und mich liebevoll und zugleich müde anblickte: „Ich bin so froh, dass du der Vater dieses Kindes bist." Ich verstand sie kaum, dieser Satz war nicht mehr als ein Flüstern gewesen. Mein Arm schlang sich um ihren Körper und presste sie an mich. „Du solltest jetzt echt schlafen..." „Aye aye, Chef... Ich gebe mir Mühe." „Gute Nacht, Mitsu", murmelte ich lächelnd und schloss langsam die Augen. In der Schwärze spürte ich noch, wie sich meine Partnerin fest an mich presste.

Ich tastete in der Dunkelheit nach der Wärme, welche mich plötzlich verlassen hatte. Sie war auf einmal verschwunden und nicht mehr aufgetaucht. Als ich die Augen öffnete, musste ich mich erst an das helle Sonnenlicht gewöhnen, welches in das Zimmer fiel. Ich tastete instinktiv weiter nach meiner Wärmequelle. Doch sie war noch immer verschwunden. Als ich den Kopf langsam in die Richtung meines Armes schwenkte, war mir auch klar, wieso. Anstatt noch immer Mitsu an meinem Körper zu spüren, hielt ich nur noch ihre Decke in der Hand. Was zum... Von unten hörte ich eifriges Tellerklappern. Was war denn bitte hier los? Schwerfällig verfrachtete ich mich aus dem Bett und zog scharf die Luft ein, als mein nackter Fuß das kalte Parkett berührte. Ich tat einen weiteren Schritt, nur um fast um Haaresbreite über meine Pantoffel drüberzufallen. Ein Fluchen entwich mir. Schließlich erreichte ich die Tür und riss sie ohne jede Zurückhaltung auf. Von unten kam ein überraschter Ruf: „Iguro?! Bist du wach?!" Ich machte mir nicht einmal die Mühe, zu antworten und schlenderte die Treppe hinunter. Schnell rieb ich mir die Augen, um mehr erkennen zu können, als ich das Wohnzimmer betrat. Ich hatte gedacht, sie würde wie so oft auf dem Sofa sitzen. Doch nirgendwo war Mitsu zu sehen. Ein Tellerklappern war zu hören. Schließlich fand ich sie im Esszimmer. Meine Verlobte saß an dem Esstisch, hielt einen Teller in der Hand und... Ach du heilige... Auf dem Esstisch standen die wohl ekelhaftesten Dinge, welche ich je gesehen hatte. Sah ich dort hinten ernsthaft eine saure Gurke in einem Marmeladenglas? Mitsuri drehte ihren Kopf in meine Richtung und begutachtete meine Miene lächelnd: „Guten Morgen. Gut geschlafen?" Ich durchquerte den Raum und blieb kurz vor ihr stehen. „Es wäre angenehmer, wenn ich aufstehen würde und mich nicht sofort DAS erwarten würde. Das sieht extrem ekelhaft und ungesund aus", schimpfte ich mit ihr, seufzte und ließ mich neben sie auf einen Stuhl fallen. Sie lachte laut und begann, ein Brot zu verschlingen, in welchem Tunfisch klemmte: „Ich bin schwanger. Also darf ich ja wohl essen, was ich will und wann ich es will." „Schwanger zu sein ist keine Einladung, seinen Körper mit ungesunden Essenskombinationen zu zerstören", grummelte ich und riss ihr den Teller aus der Hand. Sie quittierte es mit einem prusten. Dann blinzelte sie mich mit ihren grünen Augen flehend an: „Ich unterdrücke es die ganze Zeit schon, aber kannst du mir bitte Pfannkuchen machen? Ich habe soooo einen Heißhunger darauf!" Ich musterte alle Nahrung auf dem Tisch mit abfälliger Miene: „Solange du aufhörst, diesen Dreck in dich reinzustopfen..." Sie grinste breit und drückte mir einen Kuss auf den Mund, welcher nach Fisch schmeckte: „Danke! Du bist ein Schatz!" „Mal sehen, wie lange ich das durchhalte...", murmelte ich vor mich hin, denn gegen meine Verlobte und Mutter meines Kindes konnte ich beim besten Willen nicht gewinnen.

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