THETA (1) - Jonathan

56 5 0
                                    

Unruhig wackelte ich mit dem Fuß und warf, wie in den letzten sieben Minuten, einen Blick auf die Uhr. Die Arzthelferin schenkte mir einen mitleidigen Blick, aber den konnte ich gerade nicht gebrauchen.

Fynn war spät.

„ Mr. Smith." Der Arzt lächelte mich aus dem Behandlungszimmer aus an. Wie hieß er eigentlich? Ich hatte bisschen ein schlechtes Gewissen seinen Namen vergessen zu haben.
Ich nickte lächelnd und ging zu ihm.
„Ist Fynn Skår noch nicht eingetroffen?"

„Leider nein. Er geht auch nicht an sein Handy."

Er strich sich übers Kinn und trat dann lächelnd zur Seite. „Wir können trotzdem anfangen. Er wird sich wohl nicht ohne Grund verspäten." Ich nickte erneut und setzte mich auf den Platz gegenüber von seinem Tisch. Sein weicher Drehstuhl ächzte, als er sich niederließ.
„Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dass wir noch zu zweit sind. Sie sagten am Telefon, dass der Geruch des anderen Alphas abstoßend auf Sie gewirkt hat?"

„Ja."

Er hob einen Ständer mit mehreren Phiolen hoch. „Deswegen wollte ich die Verbindung zu Mr. Skår prüfen. Sie waren in der Nähe von ihm, als Sie die ersten Symptome bemerkten, die nicht für einen Beta üblich waren?"

Unsicher knetete ich meine Finger im Schoß. „Im Nachhinein betrachtet ging es mir schon nicht gut als ich von meiner Freundin zur Bahn gegangen bin."

„Sie haben bereits eine Partnerin?"

„Nein!" Abwehrend hob ich die Handflächen. „Wir sind schon lange beste Freunde. Ich mache manchmal Einkäufe für sie, wenn sie in Hitze ist."

„Sie ist ein Omega?"

„Ja. Nicht gerade leicht. Wir sind meistens zusammen unterwegs, damit die Anzahl der potenziellen Alphas, die ihr auf die Pelle rücken wollen, wenigstens ein bisschen gesenkt wird..."

Er wippte mit dem Kopf und schob die klaren Gläschen erstmal beiseite. „Wenn Sie nun selbst kein Omega sondern ein Alpha wären, würde ich sagen Ihr starker Beschützerinstinkt hätte etwas ausgelöst.
Ich schließe es nicht aus, aber dass Mr. Skår und Sie wechselwirkend reagiert haben scheint mir auf der Grundlage, dass Sie sich bereits vor ihrem Treffen unwohl gefühlt haben, momentan etwas unwahrscheinlich. Ist Ihnen auf dem Weg von ihrer Freundin zur Bahn jemand besonders aufgefallen? Eine Person? Oder ein Geruch?"

„Nein", versuchte ich zu sagen, mein Hals war jedoch trocken und das Wort kroch mir kläglich über die Lippen. „Nein ... Da war nichts dergleichen. Die Erinnerungen sind aber auch etwas schwammig."

„Sollte Ihnen noch etwas einfallen, informieren Sie mich bitte. Bisher haben wir nur diese Theorie, da ich erstmal vermeiden möchte Sie Untersuchungen zu unterziehen, durch die Ihre Daten in den großen Speicher gelangen auf den viele Ärzte und andere Leute leider auch, also legal und illegal, zugreifen können. Wir unterliegen zwar einer Schweigepflicht, aber Ihr Geheimnis ist sicher Millionen wert. Ich denke das liegt in Ihrem Interesse?"

Ich schluckte schwer und bejahte.

„Was ich aber mit Ihnen machen kann ist eine Pheromonprobe. Es gibt in der Gesellschaft mehrere Pheromonarten, die öfter auftreten, beziehungsweise kaum merkliche Unterschiede haben. Manche Omega und Alpha bilden eine Ausnahme und fallen in keine dieser zwanzig Kategorien. Ich möchte mit Ihnen testen, welche der Gerüche Sie als angenehm und welche als unangenehm wahrnehmen."

Nun nahm der das Holzgestell wieder zu sich, die kleinen Behälter klingelte aneinander, als er sie vor mir auf den Tisch stellte. Von Nahem sah ich nun kleine weiße Papierstreifen, die in jedem Glas steckten.

„Die Dosis ist klein genug, sodass Sie nicht so wie das letzte Mal reagieren sollten. Bitte sagen Sie mir nach jedem Glas, wie sie den Geruch wahrnehmen."

Ich beobachtete wie er Stift und Papier zur Hand nahm und pulte zögerlich den ersten Korken raus. Das Blatt war daran befestigt, ich musste es also nicht direkt berühren. Vorsichtig schnupperte ich daran und steckte es sofort wieder rein.

„Nicht gut?", hakte der Arzt nach und sah mich über seine Brillengläser hinweg an.

„Es riecht sehr sauer. Und dann so scharf-süßlich." Ich knetete mit den Fingern meinen Nasenrücken.

„Ist Ihnen übel?"

„Ein bisschen." Mein Magen fühlte sich an als würde er in der Schwerelosigkeit mit einer Waschmaschine geschleudert werden.

„Alpha und Omega haben immer Präferenzen in den Gerüchen ihrer Partner. Das muss also noch nichts heißen. Vielleicht ist es für Ihren Körper auch noch ungewöhnlich Pheromone wahrzunehmen. Ich kann da leider auch nichts aus dem Stand heraus erklären, ich habe nicht viel Erfahrung mit besonderen Patienten wie Ihnen."
Er lächelte mir aufmunternd zu. „Wir können eine Pause machen wenn Sie wollen. Oder wann anders weitermachen."

„Ist schon ok." Ich nahm das nächste Gläschen in der Reihe und wir wiederholten den Vorgang mehrere Male. Jeder Duft rief eine andere Reaktion bei mir hervor, alle eher negativ. Manchmal brannte mir die Nase und der Rachen und ich hustete die nächsten fünf Minuten nur (danach machten wir eine Pause in der mir die Arzthelferin zwei Tees brachte), oder ich bekam plötzlich starke Kopfschmerzen und sah Farben im Raum.

Nach dem zwanzigsten Papierstreifen war es fast um sieben und der Arzt und ich saßen uns schweigend gegenüber. „Stark, dass Sie es durchgezogen haben." Er nickte anerkennend und wollte die Hände in die Taschen seines Kittels stecken, den er jedoch nicht mehr trug, weil ich peinlicher Weise darauf erbrochen hatte.

„Und was heißt dass jetzt?"

„Ich kann Ihnen nichts mit hundertprozentiger Wahrheit sagen, aber ich denke Sie haben eine Pheromonstörung. Es gäbe noch eine andere Möglichkeit, aber das ...", unterbrach er sich selbst.
„Wie ich bereits sagte ist es normal nicht jeden Geruch zu mögen, aber Sie haben eine starke negative Reaktion auf die meist vertretenden gezeigt, Mr. Smith. Ich hoffe dass dies kein Problem im Alltag für Sie werden wird. Wenn Sie merken, dass Sie empfindlicher werden, setzten Sie mich bitte darüber in Kenntnis." Er hielt kurz inne und sprach dann nachdenklich weiter.
„Mr. Skår scheint eine Ausnahme zu bleiben. Bevor wir beide in den Feierabend starten, haben Sie noch Fragen?"

Mit schnell pochendem Herzen fragte ich: „Was ist die andere Möglichkeit?"

„Eine, bei der ich Ihnen noch weniger helfen kann sie zu beweisen. Denken Sie nicht zu viel darüber nach."

„Ok." Ich stand resigniert auf und nahm meine Jacke von der Lehne. „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben."

„Kein Problem. Ach, und Mr. Smith, achten Sie auf Ihrem Weg zur Uni auf Ihre Mitmenschen. Vielleicht finden Sie den Auslöser." Er nickte mir zum Abschied noch einmal freundlich zu, dann fiel die Tür hinter mir auch schon ins Schloss.

Draußen wehte mir der kühle Wind angenehm ins Gesicht. Tief atmete ich ein und genoss das prickelnde Gefühl der Kälte in meinen Lungen. Über mir glitzerten schwach die Sterne im lichtverschmutzten Himmel der Stadt und ich fragte mich zum hunderttausendsten Mal an diesem Abend, warum Fynn nicht gekommen war.

Und ob es vielleicht besser so war, weil es nicht er sein sollte. Es war immerhin von Anfang an zu perfekt gewesen.

DARLING, You are mine and I am yoursWo Geschichten leben. Entdecke jetzt