Telefonat über den Ozean

324 19 0
                                    


Die Heimfahrt scheint mir noch schweigsamer, als die Hinfahrt ohnehin schon war. Doch diesmal wage ich es nicht, die Stille zu unterbrechen. Dafür schwirren mir zu viele unkontrollierte Gedanken durch den Kopf, Gedanken, die immer wieder zu dieser einen nicht zu knackenden Frage führen: „Weshalb wurde ich belogen?". Natürlich ist es nicht leicht, von einem fast schon Fremden erfahren zu müssen, dass mein eigener Bruder mich die vergangenen Tage einfach belogen hat. Und weshalb weiß Adrian davon? Wissen das alle aus dem The Vampire Diaries Team? Bestimmt nicht, überlege ich, sonst wäre die Geschichte womöglich schon lange aufgeflogen. Aber weshalb hat mich Ian nicht darüber aufgeklärt? Ich meine, er hätte sich doch das ganze Schauspiel sparen können. Nina hätte nicht bei ihm wohnen müssen und somit hätte ich mir auch ihre Kommentare und Gesichtszüge ersparen können. Eigentlich hätte ich doch schon früher was bemerken müssen, in ihrer Freizeit wirken sie nicht gerade liebenswürdig aufeinander. Doch sobald die Öffentlichkeit schon in kleinen Mengen vorhanden ist, strahlen die beiden überglücklich und schlabbern sich gegenseitig ab.

Ich seufze hörbar.

Ian betrachtet mich durch den Rückspiegel und kräuselt seine Augenbrauen: „Alles in Ordnung?"

Ich nicke stumm: „Nur müde." Was noch nicht einmal weit hergeholt scheint, schließlich haben wir es schon nach zwei Uhr nachts. Ich gähne, um meine Behauptung zu unterstreichen und sehe leicht verschlafen aus dem Fenster auf die dunklen, allerdings nicht leeren Straßen von Los Angeles.

Mein Bruder scheint mir zu glauben, setzt dann allerdings dieses Gesicht auf, das einem verspricht, dass das Gespräch noch nicht beendet ist.

„Wer war eigentlich dieser Junge?"

„Welcher Junge?" Natürlich weiß ich, welchen Jungen er meint, doch ich stelle mich dumm, um das Gespräch etwas hinauszuzögern.

Seine Augen brennen sich in meine: „Mit dem du heute den ganzen Abend verbracht hast."

„Diesen Jungen." Ich nicke verstanden: „Adrian."

Ian betrachtet mich abwartend, als ich nicht weiter darauf eingehe, fügt er noch etwas unbeholfen hinzu: „Und, ist er nett?"

Ich starre ihn entsetzt an: „Ich habe einen Freund."

„Deshalb kann man doch jemanden nett finden, oder?" Seine Augenbrauen ziehen sich nach oben.

Ich denke kurz darüber nach, womöglich schon: „Ja schon." Dabei muss ich an die Vereinbarung unseres „Treffens" denken, welches ich ihm im Gegenzug zu der Information von Nina und Ian gegeben habe.

„Wann hast du denn Zeit?", höre ich seine Stimme in meinem Kopf.

„Immer, eigentlich.", habe ich nur geantwortet. Schließlich habe ich wirklich nichts zu erledigen.

„Dann morgen?"

„Morgen oder heute?" Ich sehe auf meine Armbanduhr. 0:34 Uhr.

„Heute." Er muss lächeln.

Ich nicke: „Meinetwegen." Dann habe ich es hinter mir.

„Dann hole ich dich bei Ian zuhause ab, sagen wir um acht Uhr." Er sieht mich erwartungsvoll an.

Ich nicke nur: „In Ordnung."

Danach wollte er noch meine Handynummer haben, damit ich ihm am Morgen Ians Adresse schicken kann. Anfangs habe ich ernsthaft darüber nachdenken müssen das zu machen, aber schließlich arbeiten die beiden zusammen und sind sozusagen „Arbeitskollegen", also dürfte das schon gehen.

Nina ist auf dem Beifahrersitz eingeschlafen und ihr leises Schnarchen holt mich aus meinen Gedanken zurück, in dieses Auto. Wir fahren gerade durch das Tor, auf den geschwungenen Weg zu Ians Haus.

Als wir vor der Haustür geparkt haben, betrachte ich Ian eingehend, während dieser seine „Freundin" aus ihrem Schlaf weckt. Doch mein Bruder drückt nur leicht ihren Arm und schon streckt sie verschlafen ihren Kopf: „Sind wir schon da?"


Ich habe mich in meinem Zimmer sofort in mein Bett geworfen. Das war schon ein merkwürdiger Tag heute. Leicht seufzend schließe ich meine Augen, als ein leises Vibrieren sie mich wieder öffnen lassen.

„Hm?", brumme ich fast schon zu unhöflich in mein Handy ohne mich vorher über den Anrufer mit einem Blick auf den Display zu informieren.

„Endlich gehst du mal an dein Handy."

Ich setze mich in meinem Bett auf.

„Tobi..." Verwirrt fahre ich mir durch meine Haare.

„Rufe ich ungelegen an?" In seiner Stimme schwingt Skepsis.

„Nein, überhaupt nicht. Ich habe nur fast schon geschlafen." Ich sehe auf meinen Wecker: 2:46 Uhr. Nicht gerade die beste Uhrzeit um Telefonate über den Ozean zu führen.

„Ich habe dich nur vermisst."

Ich muss lächeln: „Ich dich auch. Tut mir leid, dass ich mich in den vergangenen Tagen nicht gemeldet habe, aber es ist einfach zu viel passiert."

„Das kann ich gut verstehen." Er scheint nachdenklich: „Wie ist dein Bruder? Ist er auch so nett, wie er am Telefon gewirkt hat?"

„Ja, auf jeden Fall. Fast schon zu nett." Ich muss grinsen.

„Das ist doch schön, ich hoffe du verbringst dort eine schöne Zeit. Weißt du eigentlich schon wie lange du bleiben möchtest?"

Ich runzle meine Stirn: „Nein, überhaupt nicht. Ich habe keine Ahnung. Spätestens wenn die Schule wieder anfängt. Aber da habe ich noch ein paar Wochen Luft."

„Ja, ich habe momentan auch einiges um die Ohren. Ich muss schon in einer Woche meine Ausarbeitungen abgeben und habe einfach keine Ahnung wie ich das anstellen soll." Er lacht etwas unsicher: „Aber in ein paar Wochen fangen ja zum Glück meine Semesterferien an. Dann können wir doch irgendwo ein paar Tage hinfahren oder?"

„Das ist eine tolle Idee." Ich freue mich darüber noch ein paar Tage ausspannen zu können, bevor die Schule wieder losgeht.

„Darüber können wir ja die nächsten Tage nochmal sprechen. Und dann musst du mir auch alles über die vergangenen Tage bei deinem Bruder erzählen."

„Das mache ich. Die Geschichten werden dir bestimmt gefallen." Ich muss bei dem Gedanken schmunzeln, wenn ich darüber nachdenke, wie ich Tobi von den vergangenen Erlebnissen erzähle.

Er lacht nur unwissend: „Bestimmt. Ich lasse dich erst einmal schlafen. Träum schön."

„Dankeschön. Ich wünsche dir viel Glück bei deinen Ausarbeitungen."

„Danke, das werde ich brauchen." Er gähnt leicht übermüdet.

„Ich liebe dich."

„Ich dich auch." Danach lege ich auf und lasse mich in meine Kissen fallen.

Ich vermisse ihn schon sehr. Doch obwohl ich ihn wirklich schwer vermissen kann, genieße ich dennoch die Tage hier bei meinem Bruder. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, das aushalten zu können. Die täglichen Eindrücke scheinen meine Sehnsüchte zu überdecken. Und die Sorge vor dem was mich am Morgen erwarten wird. Werde ich zu Ian gehen können, um mit ihm über die Wahrheit zu sprechen? Und wird er mir gegenüber dann ehrlich sein können?

Lebensduft (Ian Somerhalder FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt