Verspätung

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Verspätung.

Ich hasse Verspätungen. Dabei habe ich das Gefühl, meine freie Zeit nicht richtig einsetzen zu können. Sie allgemein für nichts einsetzen zu können, ob sinnvoll oder unnütz.

Gelangweilt lege ich mein Kinn, in meine Hand, dessen Arm mein Knie stützt und beobachte die vorbeilaufenden Personen. Eine Frau im Hosenanzug, scheint auf Businessreise zu sein, sieht gestresst aus; eine kleine Familie, bestehend aus einem Paar mit zwei Kleinkindern, die sich gegenseitig durch den Flur jagen; eine ältere Dame, die sich ihren Gepäckwagen von einem Angestellten schieben lässt, aber das Bedürfnis hat, die Richtung anzuzeigen. So viele Menschen, mit unterschiedlichen Geschichten. Keine davon ähnelt der Anderen, aber dennoch haben sie alle denselben Ausgangspunkt. Den Hamburger Flughafen. Alle dieser Personen sind auf dem Weg in die Luft, über die Wolken, um an einen anderen Ort zu gelangen. Eine andere deutsche Stadt oder sogar in fremde Länder. Mein Weg führt mich nach Los Angeles. Ziemlich aufregend, ehrlich gesagt. Vor allem wenn man überlegt, dass ich davor Deutschland kaum Verlassen habe bzw. konnte, mal abgesehen von unserem Skiurlaub in Österreich. Für Auslandsreisen war das Geld meistens zu knapp, außerdem ist meine Mutter eine hoffnungslose Träumerin, hat das Geld meistens schon in eine neue Idee investiert, bevor es überhaupt das Bankkonto erreichen konnte. Kein Wunder, dass ich mit fast siebzehn Jahren die Möglichkeit ergriffen habe und mit meinem Freund, mit dem ich inzwischen ganze vier Jahre zusammen bin, zusammen gezogen bin. Nach Hamburg. Fast ein Jahr leben wir nun schon zusammen, das Geld ist natürlich knapp, der Arbeitstag lang, aber ich habe meine Entscheidung noch keine Sekunde bereut. Seitdem habe ich auch eine viel bessere Beziehung zu meiner Mutter, wir sehen uns meist nur noch in den Ferien, aber die Zeit genieße ich dann sehr in meinem Heimatsort.

Aber das sich nun so eine gewaltige Chance für mich ermöglichen konnte, ist fast unvorstellbar. Nicht auszudenken. Ich fliege in die Metropole Los Angeles, auf unbegrenzte Zeit, lerne dort fließendes Englisch. Aber das ist ehrlich gesagt, das kleinste Stück vom Kuchen, warum ich mich entschieden habe, den Vorschlag anzunehmen. Der Grund ist Ian. Fast jeder müsste ihn kennen, auf jeden Fall jeder der ein Fan von The Vampire Diaries ist. Dabei muss man die Serie noch nicht mal unbedingt kennen, um sich an Ians Gesicht zu erinnern, er ziert zudem noch alle möglichen Klatsch und Tratsch Zeitschriften: Dort mal in Jogginghose mit einem Milch-Shake in der Hand, dort gelassen in Jeans und T-Shirt an der Hand seine Freundin Nina, ebenfalls Schauspielerin bei The Vampire Diaries. Aber nicht das ihr jetzt denkt, ich fliege nach Los Angeles um einen Schauspieler zu stalken, da irrt ihr euch gewaltig.

Die gesamte Geschichte begann vor ungefähr zwei Wochen. Ich kam gerade von meinem Minijob im Restaurant, komplett durchgeschwitzt, schlapp und müde nach Hause, als mich das Klingeln meines Handys aus dem Halbschlaf riss.

„Hm?" Normalerweise gehe ich so niemals an mein Handy, aber der Zustand meines Körpers hat es gerade nicht anders hergegeben.

„Ich bin's." Ich erkannte die Stimme sofort. Sie musste nicht noch hinzufügen, dass sie meine Mutter ist, ich habe die Stimme mein ganzes Leben, jeden Tag gehört und ist mir nun schon so vertraut, wie meine eigene.

„Hey Mama. Kann ich dich morgen, nach der Schule anrufen. Ich bin zu kaputt um zu sprechen." Hätte ich zu der Zeit schon gewusst, weshalb meine Mutter um diese Uhrzeit noch anrief, hätte ich nicht versucht sie abzuwimmeln.

„Ähm.." Sie schien verunsichert. Meine Mutter, die nach zwanzig Jahren Misserfolg, immer noch aufrecht im Leben steht, zeigt Verunsicherung.

Ich stockte: „Was ist los?"

„Ich habe dir noch nie was über Josh erzählt.", seufzte sie leise.

Ich zog meine Augenbrauen nach oben: „Wer ist Josh?"

„Habe ich dir von den zwei Jahren in den USA erzählt, als ich versucht habe mich in einem fremden Land durchzuschlagen?" Sie lachte heißer, als würde sie sich an ihre eigene Jugend zurückerinnern.

„Ja.." Mal so nebenbei.

„Ich habe in der Zeit einen Mann kennen gelernt. Ziemlich wohlhabend, ich dachte noch ich könnte mich auf diese Weise finanzieren lassen. Vor allem deshalb fing ich was mit ihm an, obwohl er mir meist noch nicht mal sympathisch war, eher schnöselig..."

„Mama..." Ich musste sie unterbrechen: „Warum erzählst du mir das? Ausgerechnet Heute, um diese Uhrzeit?" Ich will nichts von deinen Affären wissen, hätte ich am liebsten noch hinzugefügt, bin aber heute doch froh, meinen Mund gehalten zu haben.

„Ich war schwanger...", fügte sie murmelnd hinzu, kaum verständlich, sodass man annehmen könnte, es nicht richtig verstanden zu haben. Doch das habe ich.

„Wie..?"

„Ich habe einen Sohn bekommen, habe ihn aber wegen eines schrecklichen Vorfalls dort bei seinem Vater zurückgelassen..."

„Was für ein Vorfall?"

„Josh hat mich betrogen, obwohl ich am Anfang nur auf sein Geld aus war, habe ich dennoch eine Bindung aufgebaut und die hat er in dieser Nacht zerstört. Ich war überfordert, noch jung und wusste nicht wohin. Vor allem nicht mit dem Kind eines Lügners. Also habe ich ihn dort gelassen."

„Einfach dort gelassen? Hast du dich nicht die Jahre gefragt, wie es ihm wohl geht, wie er sich entwickelt hat?", fragte ich schockiert, fast schon traumatisiert.

„Doch, natürlich. Aber ich habe vieles versucht zu verdrängen, wollte es nicht an die Oberfläche kommen lassen, aber als..." Sie unterbricht sich mitten im Satz.

Ich zögerte: „Als was..."

„Als er davor bei mir angerufen hat..."

„Er hat was? Wirklich? Aber das ist doch fantastisch.", versuchte ich meine Mutter aufzumuntern, sich darüber zu freuen.

„Ja, ich denke schon. Er hat viel Geld in seine Recherchen gesteckt, hat viele ausgebildete Leute darauf angesetzt. Doch eigentlich wollte er kaum etwas von mir, natürlich hat er sich gefreut, mit mir zu sprechen - Er hatte sein ganzes Leben lang eine Mutter." Ich hatte das Gefühl, dass sich leichte Tränen von ihren Augen lösten, während sie das sagte.

„Wegen wem hat er die Recherchen dann gemacht?", wiederhole ich etwas zu naiv.

Meine Mutter seufzte: „Wegen dir natürlich, wen denn sonst?"

Ich weitete meine Augen: „Warum mich?"

„Du bist seine Schwester."

So kam es das schon am folgenden Tag mein Handy ein weiteres Mal klingelte, diesmal aber handelte es sich nicht um meine Mutter. Sondern um Ian, meinen Halbbruder. Ich konnte es selbst nicht glauben als ich es herausfand, was übrigens auch ein paar Tage gedauert hat, da meine Englischkenntnisse gleich null sind und ich fast keine Chance habe, mich zu verständigen, aber Ian hatte Geduld, rief jeden Tag an und wir unterhielten uns. Irgendwie tat es gut mit jemanden zu sprechen, dabei habe ich immer wieder vergessen, dass es sich tatsächlich gerade um Ian Somerhalder handelt, sondern habe den Menschen dahinter gehört, meinen Bruder. Deshalb stimmte ich zu, als er mir anbot, ein paar Wochen nach Los Angeles zu fliegen, um sich kennenzulernen. Er hat mir sogar einen Übersetzer besorgt, damit wir uns leichter unterhalten konnten und einen Englischlehrer, bei dem ich jeden Tag Unterricht bekommen würde.

Eine Lautsprecherdurchsage zieht mich aus meinen Gedanken. Mein Flug nach Los Angeles wird aufgerufen, da bin ich mal gespannt, was mich erwarten wird.

Lebensduft (Ian Somerhalder FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt