Kapitel 22

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Sollte ich gehen? Einfach wieder abhauen? Mich vergraben und hoffen das mir die wichtigsten Personen in meinem Leben vergeben? Wie vorher werden? Eine nur an sich selbst denkende Person? Ich konnte das nicht mehr. Das zweite Leben hatte mich verändert und mich zu der wahren Madison gemacht, die ich eigentlich war. Die Frage war aber, wollte ich diese Madison überhaupt sein? Alles aufgeben und endlich reinen Tisch machen? Ein drückender Schmerz in meiner Bauchgegend ließ mich zurückfallen. Ich seufzte und legte meine Hände um einen großen Polster, der auf der Couch lag.
Wo hatte ich mich da reingeritten? Sie hassten mich. Und ich konnte sie sogar verstehen. Sie hatten mir vetraut und ich hatte ihr Vertrauen missbraucht. Einfach weggeworfen, als wäre es Müll. Wäre ich schlauer gewesen und hätte ich sofort mit meinem Vater geredet, hätte er mir vielleicht verziehen und mich verstanden.
Ich band mir einen lockeren Zopf und schaute auf die Uhr. Es zeigte gerade 20:20 Uhr an. Eigentlich sollte ich heute arbeiten, aber es würde kein Arbeiten werden. Ich werde Jack die Wahrheit sagen. Auch er hatte es verdient. Er sollte wissen, was ich für eine Lügnerin war, die er da beschäftigte. Auch wenn er mir eine wichtige Person war, machte mir trotzdem das Geständnis vor Jonathan mehr Angst. Liebte ich ihn? Ich hatte keine Ahnung. Es war verwirrend, denn ich hasste ihn als Madison, aber liebte ihn als Isi. Wie zwei eigene Personen, obwohl ich Eine war. Konnte das überhaupt sein? Hasste er Madison nicht auch? Wie ich schon redete als wäre ich nicht ich..
Ich konnte nicht sagen, wie es sich anfühlte, aber ich hatte etwas beschlossen und das werde ich durchziehen. Ich war Madison Selina Summer. Ein normales Mädchen. Und das werde ich nun auch bleiben. Mein Versteckspiel war vorbei.
Ich schnappte meinen Autoschlüssel und fuhr zum Landhaus. Mit einer hohen Geschwindigkeit raste ich über die Landstraße. Die Leute am Land werden sich wahrscheinlich denken, was das für eine Durchgeknallte war. Aber das Gefühl von Mut umgab mich. Ich war wütend auf mich selber. Ruckartig stieg ich auf die Bremse und die Reifen quietschten. Ich stürmte zur Haustüre und steckte den Schlüssel hektisch hinein. Eine Schweißperle ran über mein Gesicht und mir wurde warm. Ich rannte nach oben ins Schlafzimmer und stolperte fast über eine Stufe. Schnell riss ich meinen Kleiderschrank auf und warf die Sachen heraus, die ich als Isi tragen würde. Was war das überhaupt für ein Name. Isi. Drei Wörter. Ich nannte es nun einfach Fassade. Und ich hasste meine Fassade.

"Verdammt", schrie ich.

Ich nahm meine Schere und zerschnitt alles in die kleinsten Einzelteile. Ich riss die Kleider auseinander und stampfte darauf herum. Mir war heiß und schwindelig, aber nichts konnte mich aufhalten. Einzelne Strähnen meines Haares hingen nervig hinunter. Ich pustete diese kräftig aus meinem Gesicht. Nun saß ich da. Zwischen den Fetzen meiner Kleider und weinte. Ich weinte so stark, wie schon lange nicht mehr. Die Tränen flossen nur so an meiner Wange herab. Ich wischte diese energisch weg und erblickte die schwarzen Abdrücke meiner Wimperntusche auf meinen Händen. Ich musste aussehen wie ein Clown, aber es war mir egal. Alles war mir egal. Ich wollte mein Leben wieder zurück. Wäre ich doch bei Jonathan geblieben, wäre es nie so weit gekommen. Das Wichtigste in meinem Leben waren meine Freunde und meine Familie. Dannach kamen erst alle anderen Sachen und das musste ich erst jetzt erkennen.

'Warum, warum", flüsterte ich und biss mir auf die Lippen.

Verzweifelt schrie ich und fasste mir an den Kopf. Ich musste mich jetzt beruhigen. Ich schnappte mir eine Packung Tabletten, die mich beruhigen ließen. Schwer schluckte ich die Tablette mit einem Glas Wasser. Auf der Couch sah ich die blonde Perücke. Was hatte dieses Teil nur mit mir angestellt? Es hatte mich wahnsinnig gemacht. Ich war im Krankenhaus gelandet. Mir war Tage lang kotzübel und alles nur wegen dieser beschissenen Perücke. Ich schnappte sie schnell und lief zu meinem Auto. Zwar hatte ich nun nur eine schlapprige Hose an und ein T-Shirt. Meine Schminke war verschmiert und meine Haare zerzaust. Aber es war mir egal. Es sollten alle sehen, wer ich war. Ich rechnete natürlich mit dem Schlimmsten.
Ich raste mit hocher Geschwindigkeit auf der Straße entlang. Hinter mir bemerkte ich ein schwarzes Auto. Ich bog ruckartig ab, doch der Wagen folgte mir. Wahrscheinlich bildete ich mir nur was ein und die Person war ebenso wie ich auf den Weg in die Stadt. Ein Adrenalinstoß beförderte mich direkt wieder auf das Gas. Meine Geschwindigkeit war beträchtig hoch, doch ich wollte so schnell wie nur möglich alles aufklären. Der schwarze Wagen schien mich auf einmal zu überholen. Ich stieg aufs Gas und bemerkte die scharfe kommende Kurve nicht.
Ein lauter Knall betäubte meine Ohren und ich sah schwarz vor meinen Augen. Ein kurzer brennender Schmerz an meinem Kopf war zu spüren. Mir war schrecklich warm. Ich spürte eine Flüssigkeit an meinem Kopf runtertropfen. Ich konnte mich nicht bewegen. Nicht schreien. Nichts anderes Denken außer Schmerz.
Langsam schlossen sich meine Augen und ich kam in eine Art Trance. Ich bekam nichts mehr von der Außenwelt mit.
Ich war gefangen. In meinem Körper.

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