Ich werde sofort durchgelassen und ein hagerer Typ im schwarzen Anzug verlässt nickend das Büro von Carsten Schwartz. Mir wird schlecht, ich kralle mich im Türrahmen fest und muss so ein klägliches Bild abgeben, dass Herr Schwartz aufspringt und mich stützend zu einer Couch bringt. Er ruft nach Madeleine, sie soll sofort ein Glas Wasser und am besten auch eine Flasche Whiskey bringen. Madeleine reisst entsetzt ihre blauen Augen auf, doch Herr Schwartz scheucht sie fort. Er lässt sich seufzend neben mich fallen.
„Was ist mit ihnen?" fragt er.
Hallo? Ist es nicht offensichtlich? Ich muss erst zu Atem kommen und schließlich presse ich heraus:
„Ich habe Angst, dass... Tina etwas passiert ist."
Schwartz nickt und nimmt meine Hand in seine. Was ist mit dem Beweis? Es klopft und Mark kommt herein. Er ist blass, trägt zu meiner Verwunderung Alltagsklamotten und nickt mir traurig zu.
„Herr Kallies war so frei, mir ihre Beziehung zu Tina zu erläutern. In der ganzen Aufregung hatte er vergessen, sie zu informieren, dass tut uns leid."
Schwartz schaut Mark an und der blickt zu Boden.
„Sie sollten dem jungen Mann sagen, was mit meiner Tochter passiert ist." murmelt Schwartz mit einem aggressiven Unterton, der bei mir eine Gänsehaut auslöst. Doch irgendwie fühle ich mich gerade wie in einem Film, alles ist unwirklich und weit weg.
Mark zappelt unruhig herum, springt auf und sagt:
„Ich kann nicht. Es tut mir leid, Herr Schwartz, wirklich."
Ich höre mich leise sprechen und erkenne es kaum als meine Stimme:
„Ist sie tot?"
Schwartz sieht mich an und schüttelt den Kopf.
„Nein. Können sie laufen?"
Ich nicke, er nimmt mich am Arm und drückt auf die Gegensprechanlage:
„Madeleine, einen Wagen bitte. Wir fahren in die Klinik. Das mit dem Whiskey vergessen sie mal wieder."
Wie in Trance steige ich in den kugelsicheren Wagen, in dem gleich zwei Bodyguards vorne drin sitzen. Mark haben wir zurück gelassen. Schwartz sagt keinen Ton und ich fühle mich in der Zeit zurück versetzt, als ich damals mit Christina zu den Landungsbrücken gefahren bin, an diesem denkwürdigen Tag. Im Krankenhaus angekommen, fahren wir, flankiert von den Bodyguards, auf die Intensiv- Station. Im Fahrstuhl murmelt Herr Schwartz mir zu:
„Sagen sie Carsten zu mir, das macht sich besser."
Ich nicke und ein paar Minuten später verstehe ich, was er damit gemeint hat, als er mich einem Arzt als Tinas Verlobter vorstellt. Nun bin ich völlig verwirrt und muss mich sehr anstrengen, den Ausführungen des Arztes zu folgen, der mir berichtet, dass Tina in den frühen Morgenstunden mit dem Hubschrauber eingeliefert worden wäre. Sie wäre stark intoxikiert gewesen und nicht ansprechbar. Es wurde eine Not- OP durchgeführt, da sie vaginale Blutungen hatte, die von einem Trauma mit einem spitzen, gläsernen Gegenstand herrührten, man vermute, eine kaputte Flasche habe die Verletzungen verursacht. Mir wird schwindelig und ich bin dankbar, als Carsten seine große Hand auf meinen Rücken legt. Dann erzählt der Arzt, dass Tinas körperlicher Zustand wieder stabil wäre, der Blutverlust ausgeglichen sei, und trotzdem würde sie nicht zu sich kommen. Nein, Kopfverletzungen hätte sie nicht und auch die Drogen seien mittlerweile metabolisiert. Er tippe auf eine posttraumatische Reaktion. Ich sacke zusammen, sodass mich ein Sicherheitsbeamter auffangen muss. Schnell kommen das Pflegepersonal angelaufen und ich spüre, wie sie meinen Blutdruck messen, meine Füße hochlagern und mir Wasser geben. Plötzlich geht es mir etwas besser und ich schäme mich fürchterlich, stehe auf und sage dem Personal sehr bestimmt, dass sie mich in Ruhe lassen sollen.
Dann folge ich der Schwester in das von einem Sicherheitsbeamten bewachte Zimmer, atme tief durch. Und doch, Tina sieht noch genau so aus, wie ich sie vom Sonntag in Erinnerung habe, vielleicht ein wenig blasser. Sie bekommt Infusionen und hat die Augen geschlossen, ich denke daran, das sie immer sehr tief schläft, wenn sie schläft und spreche es leise aus. Carsten schaut zu mir hoch und nimmt meine Hand.
„Hm. Du kennst sie anscheinend schon sehr gut. Geht es dir besser, Junge?"
„Ja, tut mir leid. Das ist alles ein bisschen viel."
„Verstehe ich. Du musst meiner Tochter sehr viel bedeuten, wenn sie sich so schnell wieder verlobt hat. Mark hat es mir erzählt. Dieser verdammte Mistkerl, anstatt auf sie aufzupassen, hat er zugesehen, wie man mein armes Kind..."
Carsten macht eine Pause, seine Schultern zucken, aber er hält tapfer die Tränen zurück.
„Wer hat das getan?" flüstere ich und setzte mich auf Tinas Bett, nehme ihre Hand.
„Wir wissen es nicht. Als Mark zu sich kam, lagen sie in irgendeiner... Gosse. Er rief sofort den Notarzt. Er kann sich an nichts erinnern, auch bei ihm wurden Drogen nachgewiesen. Ich habe ihm sofort gekündigt."
„Ist die Polizei eingeschaltet worden?"
Carsten dreht sich um, schaut zu dem Sicherheitsbeamten, dann blickt er mich wieder an und legt die Hand vor den Mund. Was? Ich springe auf, fauche:
„Das ist nicht dein Ernst!"
Der Beamte steht auf und guckt Carsten an, der abwinkt.
„Er ist ein wenig mitgenommen, alles in Ordnung. Anatol, setzt dich wieder, ich erkläre dir alles, wenn wir zuhause sind."
Zuhause? Wo ist das, bitte? Oh, verdammt, Mutter.
„Ich muss kurz telefonieren..." murmele ich, und verlasse das Krankenzimmer. Ich bin gerade kurz davor, völlig aus zu ticken. Atme, ein-aus. Ein- aus.
Mutter geht sofort ran und textet mich voll, was mir einfiele, die Sortierung der Krawatten zu ändern. Ich fahre sie an, dass es im Moment mein kleinstes Problem wäre, sie solle bitte still sein und mir zuhören. Wow, es funktioniert! Ich erkläre ihr kurz, dass Tina einen Unfall hatte und ich bei ihr in Hamburg bleiben wolle. Entweder würde sie das Geschäft wegen eines familiären Vorfalls schließen müssen oder es selbst führen, und ich könne ihr noch nicht sagen, wann ich zurückkomme.
„Und Mutter... Tina und ich haben uns am Sonntag verlobt."
„Was? Warum sagst du mir so etwas nicht?" ruft sie entsetzt.
Weil ich es da auch noch nicht wusste! Tina hat das einfach mal so für bare Münze genommen und es diesem Mark gleich erzählt. Ich grinse, trotz aller Widrigkeiten. Der Ring! Ich brauche einen Ring! Als ich aufgelegt habe, ich musste Mutter abwürgen, stürme ich in das nächst liegende Juweliergeschäft, und bezahle mit meinen letzten paar Kröten den Ring. Er ist Silber, mit einem wunderschönen Amethysten, Tina liebt Lila. Ich laufe zurück ins Krankenhaus, denn plötzlich habe ich die Befürchtung, dass, wenn Tina wach wird, sie sich nicht an mich erinnern wird. Deshalb muss ich schnell wieder bei ihr sein. Als ich ins Zimmer renne, zuckt Carsten zusammen. Ich stecke Tina den Ring an den Finger und Carsten zieht die Augenbrauen hoch. Dann fragt er:
„Anatol, ich muss zurück ins Geschäft. Kannst du bei Tina bleiben?"
Ich bin froh, dass er nichts zu der Sache mit dem Ring sagt und antworte:
„Ja, ich habe schon alles geregelt."
„Gut. Warte..."
Er wühlt in seinen Taschen. Dann gibt er mir eine Schlüsselkarte.
„Die ist für Tinas Apartment, du kennst den Code?"
„Ja."
„Ich komme um neun herum vorbei, dann reden wir in Ruhe."
Eigentlich habe ich gar nicht vor, Tinas Krankenzimmer zu verlassen! Aber ich sehe auch, das wir uns hier nicht wirklich unterhalten können. Wir tauschen unsere Mobilnummern und er verabschiedet sich mit den Worten, sollte ich irgendwas brauchen, egal was, soll ich mich melden.
Ich antworte, das ich nur Tina zurück haben will. Er lächelt.
„Das kann nur jemand anderes entscheiden. Bis später, Junge."
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Der Held der Krawatten
General FictionAnatol Kupfer, unser Held, hat ein Geheimnis. Etwas, was er auch in unserer ach so modernen, verständnisvollen Welt vor allen Menschen versteckt, denn er hat deswegen viel Ablehnung erfahren. Nun muss er ein Praktikum absolvieren und dummerweise i...