Der Held der Krawatten- Teil 10

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Ich nicke, und dann bin ich mit meinem Dornröschen und dem Bodyguard vor der Tür alleine. Die erste Stunde verbringe ich damit, Tina die Genesungswunschkarten der Belegschaft und danach die Börsennews vor zu lesen. Dann hole ich meinen mp3 Player hervor und lasse sie den "50 Shades"- Soundtrack hören, während ich an einem Müsliriegel knabbere, den ich mir aus der Mensa geholt habe. Ich wollte eigentlich nach der Uni Mittag essen gehen, und es ist kein Wunder, dass ich so labil bin. Doch Appetit habe ich nicht und auch keine Lust, dieses Zimmer zu verlassen. Ich hatte Mutter die Nummer vom Krankenhaus gegeben. Um kurz nach sieben kommt eine Schwester und sagt, ich möge bitte dringend eine Kati zurückrufen. Ich gebe Tina einen Kuss auf die Stirn und gehe telefonieren.

Ich sitze wieder an Tinas Bett, nun, Dornröschen hat sich nach drei Tagen immer noch nicht bereit erklärt, zu erwachen, obwohl ich ihr seit vorgestern schon an die tausend Küsse gegeben habe. Das Leben ist eben kein Märchen oder ich bin doch nicht ihr Prinz! Doch ich bin Realist und weiß, dass sie es schwer hat und mit dem Bewusstsein auch ihre Schmerzen zurückkommen werden. Ich hoffe jeden Tag, dass sie irgendwann aufwacht, ich vermisse sie unheimlich!

Und die arme Kati. Als ich sie am Dienstag Abend vorm Krankenhaus zurückrief, ging sie nicht ran, doch eine Minute später schickte sie mir eine merkwürdige Nachricht:

"Hilf m"

Ich rief Carsten an, der mir sofort Mark in meinem Polo schickte. Wir waren in Rekordzeit in Bargstedt, und ich fand Kati völlig verängstigt und blutüberströmt in ihrer Wohnung vor. Sie war heftig verprügelt worden und sagte mir unter Tränen, dass ich die Finger von Tina lassen solle, ansonsten würde noch Schlimmeres mit ihr passieren. 

Der Täter wäre Frank gewesen. 

Mir fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen: Frank war Stefan! Da ich nun wußte, wie er aussah, machten Mark und ich uns auf, ihn zu suchen, und fanden ihn tatsächlich in der Nähe vom Krankenhaus. Wie dumm von ihm! Mark hielt sich versteckt, und ich sprach Stefan direkt an. Er schaute erst überrascht, doch dann erzählte er mir, er habe gehofft, dass ich durch die Vergewaltigung von Tina ablassen würde, denn sie sei ja nun nicht mehr zu gebrauchen, nachdem er es ihr dieses Mal richtig besorgt hätte. Ich musste mich wirklich zusammenreissen und ich glaube, noch ein Wort mehr und meine Halsschlagader wäre geplatzt! Stefan knurrte, dass er mich beim Betreten des Krankenhauses gesehen hätte und aus getickt wäre. Dann wäre er zu Kati gefahren, um durch sie an mich heranzukommen. Aber nein, da wäre ich wieder, ob ich ihn denn nicht ernst nehmen würde? Ich lachte darüber, er ging auf mich los und das war das Beste, was mir passieren konnte, denn so konnte ich mich wehren und ihn vermöbeln. Meine ganze aufgestaute Wut an ihm auslassen, bis Mark dazwischen ging. Wir brachten den demolierten Stefan zur Polizei, denn ich hatte sein Geständnis aufgenommen.

Nun ist mein Fast- Schwiegervater stinksauer auf mich, weil das eingetreten ist, was er verhindern wollte: Die Presse stürzt sich wie ein Geier auf uns und Tina muss noch mehr abgeschottet werden. Natürlich macht mich das auch wütend, aber mein Weg war der einzig Vernünftige, von kriminellen Machenschaften halte ich nix. Damit muss Carsten von nun an leben.

Heute morgen rief mich Frau Koch an und bat mich, sie zu unterstützen, denn Tinas Abteilung liege ja seit Montag brach. Ich fragte, ob Carsten davon wisse, ja, es sei seine Idee gewesen. Anscheinend ist er doch nicht so sauer auf mich, wie ich dachte! Nun sitze ich vor einem Stapel Unterlagen und Tinas Mac, den mir ein Kurier vorbeigebracht hatte und bespreche mit meinem Dornröschen, was anliegt. Natürlich antwortet sie nicht, doch ich warte immer ein wenig ab, ob mir nicht irgendein Zucken im Gesicht oder der Hände verrät, dass meine Idee nicht in Ordnung sei. Nein, es kommt nichts, und so arbeite ich den ganzen Tag und schaffe es, dass die sonst so kühle Frau Koch am Abend einen Luftsprung macht und mir um den Hals fällt. Für die Nacht habe ich mir eine Liege aufstellen lassen, wir hören Soul, weil ich weiß, das Em nicht Tinas Ding ist. Am Freitag morgen ruft mich Mutter an und berichtet, dass ich Post von der Uni hätte, meine Zulassung zur Abschlussprüfung. Nun komme ich wirklich in Bedrängnis, denn ich muss zusätzlich zur Arbeit auch noch lernen. Mark bringt mir meine Bücher vorbei. Er ist oft hier, denn er hat ein unheimlich schlechtes Gewissen.

„Du kennst Tina, sie wird sagen, dass du nichts dafür kannst." murmele ich.

„Doch, ich hätte mich nicht von diesem Lasse irritieren lassen sollen. Weisst du, die Schweden wollten nach dem Meeting am Montag noch feiern gehen. Tina sagte, das ginge nicht, denn sie hätte noch ein Date mit dir, ihrem Verlobten. Wir schauten sie alle erstaunt an. Persson lachte, und sagte, DAS müsse man doch wirklich feiern, sie solle dich anrufen und ein wenig vertrösten. Doch Tina blieb hartnäckig, schließlich machten wir einen Kompromiss, wir gingen alle in die Hotelbar und stiessen mit hochprozentigen Cocktails auf eure Verlobung an. Ich dachte, im Hotel sind wir sicher, doch irgendwie muss der Typ sich da rein geschlichen haben, denn ich weiß nichts mehr ab diesem Moment."

„Meinst du, Stefan hat euch was in die Drinks gemixt?"

„Könnte sein."

„Aber die Schweden müssten doch wissen, was passiert ist?"

„Hab ich schon versucht, aber die hatten dasselbe Zeug intus. Da Persson ne Menge ab kann, konnte er noch sagen, dass Tina einen Anruf bekam und wir beide dann das Hotel verlassen hätten. Niemand hat es es für nötig gehalten, uns aufzuhalten, obwohl Tina der Gefahr wegen im Hotel bleiben wollte."

„Wo ist Tinas iPhone?"

„Weg. Stefan hat das alles ziemlich geschickt eingefädelt."

„Nun, aber er war dumm genug, uns ein fast vollständiges Geständnis abzuliefern." sage ich tonlos.

„Ich glaube, er ist einfach aus getickt, als du vor ihm standest. Er hat wohl fest damit gerechnet, dass du dich von ihm einschüchtern lässt."

„Da hat er sich geirrt. Nur Kati tut mir leid, sie kann überhaupt nichts dafür. Und ich kann noch nicht mal für sie da sein."

Mark grinst.

„Oh, so schlecht schien es ihr vorhin nicht zu gehen. Ich habe sie besucht, als ich dein Zeug geholt habe. Sie hat ziemlich heftig mit mir geflirtet..."

„Ich hoffe, du hast ihr gesagt, dass du auf Jungs stehst?" grinse ich.

Mann, Kati! Mark guckt mich ernst an und schüttelt den Kopf. Ich werde auch ernst, sage:

„Weißt du, Kati klammert sich ständig an die Falschen. Tu mir den Gefallen und sag ihr, woran sie bei dir ist."

Er nickt.

„Mach ich. Es tat nur gut, nach der Sache mit Lasse...egal. Ich gehe heute Abend mit ihr essen, dann sage ich ihr alles."

Arme Kati. Ich seufze und küsse Tinas kalte Hand. Plötzlich klopft es und ein Polizist betritt das Zimmer.

„Guten Tag, ich bin Polizeihauptmann Weber. Wer von ihnen ist Herr Kupfer?"

„Ich."

Mein Herz fängt an zu rasen, als ich seine Hand schüttele. Der Polizist fährt fort:

„Ich möchte ihnen etwas mitteilen, bevor sie es aus der Presse erfahren- heute morgen fanden wir Stefan Heitmann tot in seiner Zelle. Anscheinend ist er an inneren Blutungen gestorben."

„Was?" rufen Mark und ich unisono. Doch noch nicht mal das lässt Tina zucken.

„Nun, Vergewaltiger haben es im Knast nie einfach. Aber anscheinend hat die Familie Schwartz Fans unter den Knackis."

„Haben sie den Täter denn ausfindig gemacht?" fragt Mark.

„Nein, da deckt einer den anderen. Wir vermuten, dass Vitali Rjabow dabei war. Ein sehr unangenehmer Typ, der in der Russenmafia verkehrt."

Ich werde kalkweiss und drehe mich schnell zu Tina. Herr Weber räuspert sich.

„Naja, wir werden den Fall nicht aufklären können, das ist mal sicher. Ich wünsche ihnen alles Gute, und das ihre Verlobte bald wieder gesund wird. Tschüß!"


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