Krawattenträger sind out- Kapitel 9

83 3 0
                                    

Die Fahrt zum Messegelände ist die Hölle. Tina und ich sitzen schweigend nebeneinander. Doch dort bin ich gerettet, denn ich besuche ausschließlich Veranstaltungen, zu denen Tina nicht geht. Wir hatten das so verabredet, damit wir mehr mitbekommen. Wir wollen uns hinter her darüber austauschen. Ich kann den Rednern kaum folgen, dauernd denke ich an diesen unheimlich geilen Kuss. Und doch, wie kann ich Tina klar machen, dass sie nicht mehr zu befürchten braucht? Ich schreibe ihr:

Tut mir leid, Tina. Ehrlich, das war ein Ausrutscher, wird nicht wieder vorkommen. A

Tina: Ausrutscher, ja? Ist deine Zunge einfach so in meinen Mund gerutscht? Und deine Hand auf meinen Hintern? Upps. Wie unvorsichtig von dir!

Oh, ich spüre ihre Wut förmlich durch den Äther kriechen. Mann, ich brauche Kati, sie muss mir sagen, wie ich da raus komme! Ich verlasse den Raum und gehe an die frische Luft, nur um auf Tina zu stoßen, die sich mit einem großen, blonden Typ unterhält, der wie ein Wikinger aussieht. Meine Wut kocht sofort hoch, als ich aufschnappe, dass er hemmungslos mit ihr flirtet. Ich drehe mich schnurstracks wieder um und suche mir ein stilles Eckchen. Dann wähle ich Katis Nummer.

„Anatol, mein Held. Du lebst!" quietscht Kati fröhlich.

„Ja, hat meine Mutter etwa geunkt, dass mein Flugzeug wohl abgestürzt sei, weil ich mich nicht melde?"

„Yep. Geht es dir gut?"

„Nein, ich habe ein Problem mit meiner Chefin."

Dann erzähle ich ihr alles von Anfang an. Sie juchzt.

„Ich glaube es ja nicht! So ein Zufall, dass die Fahrrad- Frau ausgerechnet deine Chefin ist! Aber ... nein, belass es dabei, sie mit deinem Können zu beeindrucken, denn mit der anderen Sache kommst du nicht weit. Die ist ja sowas von außerhalb deiner Liga, nee. Versuch einfach, dich wieder mit ihr gut zu stellen, damit sie dich nicht raus wirft."

„Kati, ich bin absolut vernarrt in diese Frau. Ich will sie."

„Aber wie willst du ihr klarmachen, dass du nicht wie alle anderen Kerle bist?"

„Weiß nicht."

„Siehst du. Bleibe ihr Assistent, mehr nicht. Sie tut dir nur weh."

„Und, wie komme ich aus der Nummer wieder raus?"

„Krieche zu Kreuze, bring ihr Kaffee, ziehe Deals an Land. Keine Ahnung."

„Na, du bist mir eine Hilfe! Sag mal, wie läuft es mit Dirk?"

Kati lacht und antwortet, er wäre passé. Als ich nach einer Weile Bargstedt- Tratsch auflege, höre ich Schritte hinter mir. Tina. Sie guckt mich tadelnd an und sagt:

„Ach, hier bist du! Hör zu, es hat sich was Neues ergeben. Ich habe Montag früh noch ein wichtiges Meeting dazu bekommen, werde also das ganze Wochenende hier bleiben müssen. Du wirst morgen alleine zurückfliegen müssen."

„Ich wäre gerne bei dem Meeting am Montag dabei, geht das nicht?" frage ich sanft.

Deeskalieren!

„Nun, ich kann ja schlecht von dir verlangen, dass du dein Wochenende mit Arbeit verbringst. Das wären zu viele Überstunden, ich brauche dich in der Woche." sagt sie reserviert und guckt auf ihr iPhone.

Ich stelle mich vor sie, sodass sie mich anschauen muss und erkläre bestimmt:

„Ich mache gerne Überstunden. Und ich möchte weiter dein Assistent sein, denn ich habe viel von dir gelernt und wir sind ein tolles Team. Tut mir leid, dass ich die Grenze überschritten habe. Ich weiß ja, du hast Leon und bist tabu für mich."

Sie stutzt. Dann seufzt sie und sagt, etwas leiser:

„Eigentlich ärgere ich mich mehr über mich, ich hätte das von Anfang an nicht zulassen dürfen."

Ich schüttele den Kopf.

„Nein, nein, mir sind die Pferde durchgegangen! Ich verspreche dir aber, dass ich mich in den nächsten Tagen höchst professionell verhalten werde, wenn du mich nicht fortschickst!"

Sie lächelt.

„Und, sind wir noch ein Team?" frage ich und halte ihr die Hand hin. Sie schlägt ein.

„Ja. Sicher. Im Prinzip war es ja nur ein dummer Kuss, kein Grund, über zu reagieren, hm? Also, soll ich für dich auch umbuchen?"

„Ja, aber ich kümmere mich darum. Bin schließlich dein Assistent." grinse ich.

„Gut, verlängere bitte auch die Zimmer. Und Danke. Ich muss wieder rein, habe ein Interview. Wir treffen uns nachher am Buffett, okay?"

Ich nicke, denn ich wähle schon den Flughafen an. Ein bisschen hat es mich schon vergrätzt, das mit „es war ja nur ein Kuss".

Aber ich wollte es ja so, und ich spüre, dass es ihr damit auch besser geht.

Der Held der KrawattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt