Kapitel 1 - Jane

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(London)

Auf einer alten, morschen Bank spielten zwei alte Männer Schach. Ich blickte auf meine neue, silberne Armbanduhr. Es war Viertel vor Drei. Meine Schritte verlangsamten sich und ich blieb stehen. Ich hatte jede Menge Zeit.

Die Blätter tanzten im Herbstwind über den Boden. Für dieses kalte, bewölkte Wetter war eigentlich viel los.

Ich strich mir mit der Hand ruhig durch mein dunkelbraunes Haar, bevor ich weiterging.

Ich kam zu diesem kleinen, alten Platz, an dem sich erstaunlich viele Leute herumtrieben. Perfekt. In der Mitte stand ein kleiner Brunnen. Der graue Steinfisch spukte Wasser in die Schale.

Ich setzte mich auf die Parkbank und wartete. Ich musterte das Straßenpflaster, als beinahe eine Windböe meine schwarze Mütze weggeblasen hätte.

Ich beobachtete eine junge, blonde Frau. Sie kam gerade aus dem Schmuckladen heraus und in ihrer Hand hielt sie ein kleines Säcklein. Sie besaß keine Handtasche, was bedeutete, dass ihr Portemonnaie höchstwahrscheinlich in ihrer Innentasche ihres Mantels steckte und ihr Mantel war offen ...

Mein Blick glitt zu ihrem Arm, wo ein kleines, goldenes Armbändlein ihre Hand schmückte. Also stand ich auf und schloss meine schwarze Jacke. Ruhig sah ich mich um. Keine verdächtigen Blicke.

Ohne sie aus den Augen zu lassen ging ich auf die Frau zu. Sie sah mich nicht. Ich hörte das Rascheln der Blätter und die Gespräche der Leute. Der Wind wehte meine dunklen Haare in mein Gesicht. Ich kam ihr immer näher. Dann visierte ich den Laden hinter ihr an. Sie kreuzte in meinem Weg.

Ich rempelte sie an. Sie schrie kurz überrascht auf.

„Oh! Entschuldigung!", rief ich mit gespieltem Schreck. Meine eine Hand glitt zu ihrer Innentasche, die andere hielt die Dame fest, damit die nicht umfiel. Ich spürte etwas Festes und zog es heraus und steckte es in meine Tasche.

„Ach herrje. Schon in Ordnung. Huch!", lachte die Frau

nervös, als sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Ich schüttelte der verwirrten Frau kräftig die Hand, so dass sie gar nicht merkte, wie ich ihr Armbändchen auf meinen Arm fallen ließ.

Ich wendete mich von ihr ab und ging den Weg wieder zurück, um mich wieder auf die Bank zu setzen.

Plötzlich spürte ich ein Stechen in der Magengrube. Ich atmete tief ein und krümmte mich. Mir wurde schlecht. Ich hielt die Luft an. Meine Finger krallten sich am Brunnen fest. Der raue Stein war feucht und eklig.

Dann ließ es nach und ich richtete mich wieder auf. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben, alles war still. Jeder hatte inne gehalten, doch die Blicke lagen nicht auf mir. Die Stille bewegte etwas in mir. Alle Alarmglocken klingelten, doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich war nicht mehr Herr über meinen eigenen Körper. Die Verzweiflung legte sich wie ein Tuch über meine Seele.

Dann glaubte ich ein hohes Piepen zu hören und sämtliche Blicke der Leute glitten gleichzeitig auf mich. Die Sekunden, die brauchten um ihre Köpfen in meine Richtung zu bewegen, kamen mir wie Minuten vor.

Eins. Zwei. Drei. Vier.

Niemand regte sich. Keiner. Der Wind hauchte mir ins Ohr. Ich hörte die Worte, die er mir zuflüsterte: Lauf. Und ich begann zu rennen, so schnell, wie mich meine Füße tragen konnten. Jeder Schritt kostete mich Anstrengung. Meine Füße waren wie Blei.

Ich rannte quer über den Platz, sprang über einen hohen Zaun und verschwand in der Dunkelheit einer verfallenen Seitengasse. Ich hielt Inne und lauschte.

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