Kapitel 21 - Drake

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(Level 2, London)


Die Nacht dauerte ewig. Ich konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht weilte ich neben Will. Er atmete schwer. Im Schlafe schien er mit etwas zu kämpfen. Diesen Ausdruck von Angst hatte ich noch nie in seinem Gesicht gesehen.

Er war wie mein Bruder. Mein letzter Bruder. Und dieser Nils, er regte mich auf. Wir konnten ihn nicht brauchen! Was hatte Dad da nur für Schwachsinn gelabert?! Chauffeur? Ja, super! Doch Dieb und so? Nein, danke!

„Will!", flüsterte ich. „Wieso kannst du nicht einfach aufwachen?! Wieso kannst du nicht einfach putzmunter sein?!" Meine Augen wurden heiß. Sein Gesicht war angstverzerrt. Er zuckte unaufhörlich. Doch dann hörte er auf. Sein Gesicht wurde starr und richtete sich zur Decke. Ich hörte ihn leise atmen. Es wurde immer leiser und leiser, immer schwächer und schwächer. Dann konnte ich es überhaupt nicht mehr hören.

„Will.", flüsterte ich. „Kannst du mich hören?" Ich ging zu seiner Hand und suchte den Puls. Er war noch da. Schwach. Die anderen waren in anderen Zimmern und schliefen oder taten sonst etwas. Dad arbeitete wahrscheinlich gerade einen Plan aus.

Und ich saß hier und hörte meinen Bruder sterben. Die Dunkelheit verschlang ihn sosehr, dass ich ihn nicht sehen konnte. Ich wollte ihm in die Augen sehen. Ich wollte sehen, wie es ihm geht, wollte ihn lachen hören.

Doch da lag er. Und sein Atem war weg. Der Puls noch schwach da. Stockte immer wieder. Gleich würde sein Herz aufhören zu schlagen.

„Du darfst nicht gehen!", flehte ich ihn an. Tränen rannten über mein dreckiges Gesicht.

„Gib nicht kampflos auf! Das kannst du mir nicht antun.", flüsterte ich. Meine Kehle war rau. Ein Kloß steckte in meinem Hals, jedes Wort war eine Qual, doch wenn er mich hören konnte, waren sie es wert.

Ich Spürte, wie es mich innerlich zerriss. All meine Wut und meine Gefühle brachen über mich herab. Die Luft wurde dünner. Ich schnappte hektisch nach Luft. Er lag neben mir. Sterbend. Er würde weg sein. Für immer. Nicht mehr da. Nicht mehr hier. In einem großen Nichts würde er schweben. Unbedeutend in der Masse. Klein unter der Hand des Todes. Niemand würde sich mehr an ihn erinnern können, nicht einmal ich. Keiner würde einen Gedanken an ihn verschwenden. Und ich saß neben ihm. Machtlos. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich musste ihn sterben lassen. Tot sein lassen. Wir würden daran zerbrechen. Endgültig. Die Gamer wären weg. Alle. Keiner wäre mehr übrig.

„Will, geh nicht. Bleib bei mir!", brachte ich hervor. Ich rutschte von seiner Bettkante, meine Muskeln erschlafften. Ich schaffte das nicht mehr. Ich sah auf dem schmutzigen Boden und betete ihn an. „Nein, Will. Lass mich nicht allein!" meine Tränen rannten zum Bettlaken und färbten es dunkler. Ich lehnte meinen Kopf an der harten Kante an.

„Bitte, Will! Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll! Ich weiß nicht, wie ich dann noch weiter machen kann! Will, bitte atme weiter!" Ich schrie diese Worte. Schrie ihn an. Als würde er so auf mich hören. Ich konnte ihm nicht helfen. Dad hat gesagt, er musste da alleine durch. Dad, immer Dad! Was weiß der schon!

„Will!", schrie ich in den Himmel hinauf. „Wenn du in den Tod gehst, dann nur um Sam wieder zu holen! Will! Komm wieder zurück!" Ich fühlte mich so klein. Mein Herz raste schneller denn je. Ich bekam keine Luft mehr. Meine Tränen erstickten mich. Hektisch holte ich Luft. Mein Brustkorb bewegte sich auf und ab. Ich sank in mich zusammen. Ich war so klein, so klein. Was konnte ich schon tun? Was konnte ich?! Ich war ein nichts. Will war es. Er war es schon immer.

„Oh, Will ...", flüsterte ich. Mehr brachte ich nicht hervor. Plötzlich hörte ich, wie er einen tiefen Luftzug nahm. Als wäre er tauchen gewesen.

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