Kapitel 10

412 24 3
                                    

Bayern war echt ein komisches Bundesland. Es war alles so anders, als in den anderen Teilen Deutschland. Hier war so viel Grünzeug, viel Wald, viel Fußball und viel Liebe. Viele Brezel und besonders viel Vorbereitung auf das Oktoberfest, was mich noch nie so richtig angesprochen hatte. Nur diese Kleider sahen witzig aus. Ich hatte zwar noch nie ein Dirndl an, aber einmal, ja, einmal wollte ich so eins tragen. Mit einer besten Freundin wäre das alles viel witziger. Da kam mir Harper in den Sinn. Wie es ihr wohl ging? Müde rappelte ich mich auf und sah zum Laptop. Er stand offen. Schleichend griff ich nach ihm und ließ mich auf das Sofa fallen, wo ich auf Michbeck landete. Doch er hatte so einen festen Schlaf, dass es ihm nichts ausmachte. Grinsend tätschelte ich seinen Kopf und öffnete meinen Twitter. Dort wurde ich fündig. Wenigstens fand ich dort Harper. Ich schrieb sie sofort an. "Hey, kennst du mich noch?" Während ich leise Musik von Kraftklub laufen ließ, durchforstete ich die Bilder auf Twitter vom Auftritt in Wien. Ich war kurz davor eine Anzeige aufzugeben. 'Suche wunderschönes, rothaariges Mädchen aus Wien. Wer diesen Engel gesehen hat, bitte melden. xx' Doch ich löschte die lächerlichen Zeilen wieder und schloss den Laptop. "Bequem?", grinste mich Danny an. "Besser als du letzte Nacht.", lachte ich. "Auf der Straße war es gar nicht so schlimm.", verteidigte sich der Blondschopf grinsend und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Jaja. Weck mal die anderen, ich hab Hunger."

Auf einmal schreckte Michbeck auf und warf mich somit vom Sofa. Mit einem Schreien landete ich auf dem Boden und lachte dann. "Guten Morgen.", schmunzelte Timur, der nun auch zu uns kam. "Oh, fuck, tut mir leid.", lachte Michbeck und half mir auf. "Kein Problem." - "Wo ist Ben?", fragte Danny und setzte sich seine Cap auf. "Der reserviert uns gerade nen Tisch fürs Frühstück." Meine Augen strahlten. Endlich was zu essen. "Man gönnt sich ja sonst nichts. Außerdem kann man so einen Geburtstag nicht feiern.", grinste Michbeck. Stimmt ja, ich hatte noch Geburtstag. Wir machten uns alle fertig, waren brav herausgeputzt, als wir den Tourbus verließen und die saubere Naturluft Bayerns einatmeten. "Geil.", murmelte Danny und ging voran. Keine fünf Minuten kam ich mit der ganzen Crew in einem edlen Restaurant an. Und da trafen wir auch schon auf Ben. "Verdammt, du hast dich echt selbst übertroffen.", lachte ich und wurde schon von Umarmungen beschenkt. "Warte erst mal ab, was heute Abend auf dich zukommt.", grinste Ben mich an und führte uns zum Tisch.

Der Morgen verlief nahezu perfekt. Noch nie hatte ich so einen tollen Tag mit Leuten erlebt, die mich so liebten, wie ich bin, wenn man die Tour nicht mitzählte. Dabei kam mir wieder dieses Mädchen mit den roten Haaren in den Sinn. Ob sie überhaupt an mich dachte? Bestimmt nicht. Also sollte ich sie auch vergessen. Es war schon Nachmittag, als wir ein wenig Freigang in München hatten. Endlich konnte ich ein wenig alleine sein. Die Zeit nutzte ich, denn ich ging alleine auf Wanderschaft in der kleinen Altstadt. Doch dort fand ich kaum etwas. Alles sah gleich aus, alles war wie in meinem Heimatort. Aus den Erinnerungen flüchtend lief ich mit schnellen Schritten aus dem Städtchen und kam an einem Wald an. Dort fühlte ich mich sofort wohl und ging guten Gewissens hinein. Ich hoffte, dass die Jungs nichts schlechtes von mir dachten. Vielleicht brauchten sie die Zeit sowieso noch, um eine Überraschung zu machen? Aber gäbe es ein Notfall, würden sie mich anrufen. Moment, nein, ich hatte immer noch kein Handy. Egal, auf jeden Fall würden sie mich finden. Hoffentlich. Mit einem Ohrwurm von 'The Cab' schlenderte ich durch den Wald. Der Boden war ganz anders hier, als bei mir. Hier war der Boden voller, weicher, liebevoller. Man hatte das Gefühl, dass etwas dich gleich runterziehen würde. Aber im guten Sinne. Sowas wie Alice im Wunderland. Wenn dich dieses Etwas runterzieht, bist du an einem besseren Ort. Vielleicht hat mich ja etwas herunter gezogen, als die Jungs die Vergewaltigung filmten und ins Netz stellten? Nein, daran wollte ich gar nicht mehr denken. Plötzlich hielten meine Füße an, meine Augen sahen sich um, doch als ich wieder nach vorne sah, stand mein Bruder Noah vor mir und grinste mich frech an. Der braunhaarige hatte seine Arme vor seiner Brust verschränkt und schüttelte den Kopf. "Endlich hab ich dich gefunden."


Auf und davon {Casper Story} ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt