Kapitel 3

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Die Sonne ging unter und der Himmel färbte sich ins tiefste schwarz. So dunkel war mein Lieblingspulli nie. Schwarz war eine schöne Farbe. Sie hatte nichts mit dem Emo-Gehabe zutun, im Gegenteil, sie war richtig poetisch und erzählte philosophische Geschichten. Mittlerweile ging ich weiter ziellos durch die Stadt, ich wollte nicht mehr nachhause. Angst hatte ich vor Noah eigentlich nie so richtig, seine Therapeuten sagten, dass er unter ADHS litt, was mir einen Grund gab, ihn versuchen zu akzeptieren. Doch seit er mich heute in die Scherben geworfen und mir so eine Nachricht geschickt hatte, bekam ich Angst. Er schlug mich öfter, die blauen Flecken bewiesen es Tag für Tag. Harper kam mir in den Sinn, das schüchterne, aber starke Mädchen aus meiner Klasse. Hätte ich ein Handy, würde ich nachschauen wo sie wohnte, doch ohne war es ziemlich schwer. Ich erinnerte mich daran, dass sie oft "XOXO" und "Casper" in ihren Collegeblock kritzelte. Da kam mir eine Idee. Meine Schritte beschleunigten sich, bis ich ein Internet Café fand, hinein ging und mich an einen Computer setzte. Meine Finger huschten flink über die Tasten. Es dauerte nicht lange, bis ich ihre ungefähre Adresse herausfand. Ich schloss alle Tabs, schaltete den Computer aus und verschwand schnell wieder, so wie ich gekommen war. Sie war meine letzte Hoffnung. Alleine würde ich das alles nicht mehr aushalten. 

"Harper Manson?", meldete sich die zarte Stimme über die Sprechanlage ihrer Wohnung. "Sophia Parker hier.", sagte ich etwas schüchtern und direkt wurde mir der Eintritt gewehrt. Ich stieg die Treppen bis ganz nach oben hinauf, sah schon die offene Tür. Als ich oben ankam, umarmte mich Harper sofort. "Sophia, ich bin froh, dass du da bist.", sagte sie mit ihrer liebevollen Stimme und ließ mich rein. Sie schien mich doch zu mögen. "Ich wusste, dass du eines Tages herkommen würdest. In der Schule bist du so schüchtern, aber ich hab deinen Blog gesehen und deine Geschichten gelesen. Mensch, Sophia, du bist ein toller Mensch!", überraschte sie mich und zeigte mir direkt ihre Küche. Sie war die einzige die ich kannte, die schon eine eigene Wohnung hatte. Ihre Küche war hell, in schönen bräunlichen Farben angestrichen und dekoriert. Lächelnd machte sie mir einen Kakao, während ich mich auf den weichen Lederstuhl sinken ließ und meine Tasche absetzte. "Danke.", meinte ich dann leise und etwas schüchtern, lächelte dennoch und sah sie dankbar an. "Ich hab mich nie getraut dich anzusprechen.", gab ich zu. "Was führt dich zu mir?", fragte sie brav und schüttete Milch in eine Mops Tasse. Da sie meinen Blog kannte, musste ich keine Geheimnisse mehr vor ihr haben, ganz besonders jetzt nicht. "Hab Stress zuhause, ich will einfach nur weg.", sagte ich ehrlich. Mein Blick senkte sich etwas. "Dann bist du hier genau richtig, du bist immer willkommen." Viele Löffel Kakao fielen in die warme Milch. Sie stellte mir die Tasse vor die Nase und setzte sich dann vor mich hin. "Möchtest du reden?", fragte sie besorgt. "Aber nur, wenn du der Schweigepflicht unterliegst.", grinste ich und nippte am wrmen Kakao. Nickend lachte sie und hörte mir aufmerksam zu. Nun öffnete ich ihr also mein Herz. Ich erzählte ihr, dass ich damals von meinem Vater misshandelt wurde, er und meine Mutter getrennt lebten, meine Eltern überlegen mich wegzugeben, meine Mutter geschlagen wird, dass mein Bruder gewaltätig ist, dass ich mich am liebsten überfahren lassen würde und alles über meine diagnostizierten Depressionen, sowie die Besuche beim Psychologen und meine Gefühle. Es dauerte bis tief in die Nacht, wobei auch Tränen nicht wegzudenken waren. Am Ende landeten wir auf dem weichesten Sofa der Welt. "Sowas ähnliches habe ich mir von deinem Blog schon abgeleitet.", sagte sie besorgt und strich über meinen Rücken. "Du kannst eine Weile hier bleiben, kein Problem.", lächelte sie dann. "Wow, Harper, danke." Harper fing auf einmal an von der Schule zu erzählen, von lustigen Dingen, die sie erlebte. Sie versuchte mich abzulenken, brachte mich mit ihren Geschichten zum lachen, wie ihr Milch aus der Nase lief, als ihr Schwarm sie zum lachen brachte. Brachte mich zum nachdenken, als sie erzählte, wie dumm ihr Ex sie damals behandelte und brachte mir wieder die Tränen in die Augen, als wir anfingen über die Jungs zu reden und wie sie mich im Spind eingeschlossen hatten. "Weißt du, was dich aufmuntert?", fragte sie grinsend und sprang auf. Das blonde Mädchen mit den kurzen, schulterlangen Haaren ging zum CD Player und es ertönten genau dieselben Töne wie heute Mittag in der Stadt. Dieselben Klavier Klänge, mindestens zwei Minuten. Dann hörte ich eine rauchige, wundervolle Stimme, die denselben Text sang, wie Mason. Ich bekam Gänsehaut und schloss die Augen, damit ich die Musik besser in mich aufsaugen konnte. "Man, das ist toll.", sagte ich leise, als das erste Lied vorbei war. "Wart' ab, das Beste kommt noch.", grinste Harper. Und so war es. Wir hörten die CD durch, sagten nichts, ließen die Musik in uns hinein, die unsere Trauer wegspülte. Als das Album durch war, schwiegen wir ein paar Sekunden. "Hinterland.", sagte Harper dann lächelnd und drückte auf Play. Die Klaviertöne fingen von vorne an. "Casper ist toll.", grinste ich und konnte endlich sprechen, da mir die Lieder schon vertraut gemacht wurden. Die ganze Nacht hörten wir der rauchigen Stimme zu, bis ich die meisten Texte schließlich auswendig kannte. Als die Sonne aufging, war es endlich an der Zeit mal ein Auge zu zu machen. Ich sah zu Harper. "Möchte heute nicht in der Schule. War gestern auch nicht da.", erzählte ich ihr ganz im Vertrauen. Die Gründe kannte sie. "Verstehe. Ich erzähle niemanden was, muss aber los.", sagte sie. Harper war toll. Sie blieb die ganze Nacht mit mir wach, ging aber trotzdem gleich zur Schule. "Danke für alles.", sagte ich glücklich, als wir uns an der Tür verabschiedeten. "Mach keinen Mist.", sagte sie grinsend. Wir umarmten uns zum Abschied, schon lief sie los. Ich schloss die Tür, ließ mich müde auf das weiche Sofa fallen und wurde sofort in den Schlaf gezogen. 

Auf und davon {Casper Story} ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt