2. Wie ein Tunnel ohne Ende

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Ich öffne meine Augen und schon ist er wieder da, der Schmerz. Dieses unglaubliche Gefühl von Leere. Verschlafen taste ich die andere Seite meines Bettes ab, doch sie ist leer. "Niall?", rufe ich. Als niemand antwortet, stehe ich auf und gehe in die Küche. Am Kühlschrank klebt ein kleiner, pinker Post-It. "Bin die Jungs abholen. Wenn du Hunger hast, iss ne Banane, ich bringe Frühstück mit. N xx", stand da. Naja, egal, ich habe so oder so keinen Hunger. Ich beschließe, ins Bad zu gehen um meine Zähne zu putzen. Beim Anblick meines Spiegelbilds zucke ich zusammen. Ich sehe wirklich schrecklich aus. Meine Augen sind knallrot und umgeben von dunklen Schatten. Auf meiner Wange zeichnet sich deutlich ein Kissenabdruck ab, doch irgendwie ist mir das egal. Ich schlurfe zurück ins Schlafzimmer und ziehe mich an. "Liam? I'm homeeee!", tönt in diesem Moment Harrys Stimme durch mein Apartment. "Shhhhhht!", machen die anderen drei im Chor. "Vielleicht schläft er noch.", fügt Niall hinzu. "Ist ja gut ich wollte nur freundlich sein.", murmelt Harry. Ich höre wie alle vier in die Küche gehen und essen machen. Einerseits möchte ich mich in meinem Bett verkriechen und nie mehr wieder aufstehen, andererseits sind die Jungs nur meinetwegen hier. Sie haben ihren Urlaub abgebrochen, damit ich nicht allein bin. "Wie geht es ihm?", höre ich Louis Stimme aus der Küche. "Ich denke den Umständen entsprechend. Er hat die halbe Nacht geweint und geschrien.", antwortet Niall ihm besorgt, "Er isst kaum und gestern habe ich ihn völlig apathisch in der Dusche gefunden." Die Jungs seufzen. "Ich wünschte, ich könnte etwas tun.", meint Zayn. "Das können wir. Miranda will...wollte, dass wir ihre Asche überall da verstreuen, wo sie Liam besucht hat.", erklärt Niall. Es schleichen sich wieder Tränen in meine Augen. Wir werden jetzt wohl immer in der Vergangenheit von ihr sprechen. "Das bedeutet ja, wir müssen um die halbe Welt reisen.", meint Harry. "Ja, genau. Es wird ihm gut tun und helfen, damit abschließen zu können...irgendwann. Ich habe schon eine Liste von all den Orten erstellt, wo sie waren.", weiht Niall die anderen ein. Abschließen...niemals werde ich mit ihr abschließen, nie wird dieser Schmerz vergehen. Im Moment scheint es mir, als lebe ich in einem Tunnel aus Trauer und Schmerz, doch ich sehe das Licht am Ende noch nicht. "Ich sehe mal nach ihm.", murmelt Louis und ich höre Schritte in Richtung meines Zimmers. Schon stehe ich auf, wische mir die Tränen weg und gehe aus der Tür, wo ich mit Louis zusammenstoße. "Oh, du bist wach.", nuschelt er leise. Ich nicke nur stumm und spüre sofort seine kräftigen Arme um mich. Wieder kommen mir die Tränen. "Ich bin da, Liam. Lass es einfach raus." Schon kommen die anderen drei und umarmen mich ebenfalls. Jeder flüstert mir etwas anderes zu und ich weiß, dass mir das Mut machen soll, aber das tut es nicht. Eine Weile stehen wir so in meinem Flur, bis Niall sagt: "Komm, Liam, du musst was essen." Ich schüttele den Kopf. "Es gibt sogar Pancakes mit Nutella.", versucht Zayn mich zu überzeugen. "Ich hab keinen Hunger.", murmele ich und gehe zurück in mein Zimmer. Harry will mir folgen, doch Louis hält ihn zurück. "Lass ihm Zeit.", höre ich ihn sagen. Danach höre ich nichts mehr außer den leisen Smalltalk der Jungs aus der Küche.

Von einem leisen Klopfen werde ich wach. "Ja?", bitte ich die Jungs herein. "Dürfen wir uns setzen?", fragt Zayn und ich Rutsche ein Stück zur Seite, um ihnen Platz zu machen. "In drei Wochen geht die Tour weiter", fängt Louis an, "und wir möchten nicht ohne dich gehen." "Klar, nimm dir alle Zeit, die du brauchst, aber wir glauben nicht, dass es gut ist, wenn du hierbleibst.", macht Harry weiter. "Hier sind zu viele Leute um dich rum, zu viel Presse. Du solltest für ein paar Tage zu Deinem Eltern fahren.", schlägt Zayn vor. "Wir haben schon mit ihnen telefoniert und du bist herzlich willkommen.", teilt Niall mir mit. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch schließe ihn sofort wieder. Vielleicht haben die Jungs ja wirklich recht. Hier in dieser Stadt kann ich mich nicht zurückziehen.

Eine halbe Stunde später sitze ich auf gepackten Koffern im Flur. "Wenn du etwas brauchst, ruf einfach an. Wir bringen es dir.", versichert Louis mir. Der Reihe nach umarme ich die Jungs, bis nur noch Niall übrig bleibt. "Komm, du hast noch genug Zeit, dich in Wolverhampton zu verabschieden, ich fahre dich.", erklärt er mir. "I-Ich kann selber Auto fahren.", protestiere ich kurz, worauf ich sanfte Blicke ernte. "Normal schon, aber wir haben einfach Angst um dich, Liam.", beruhigt Harry mich. Stumm nicke ich und folge Niall zum Auto.

Wie lange bin ich nicht mehr Zuhause gewesen? Drei Monate? Nicht mehr, seit...der Woche, als Miranda und ich zusammen hergefahren sind, um nochmal eine Woche so zu verbringen, wie wir unsere Ferien früher immer verbracht haben. Eine einsame Träne läuft meine Wange runter, doch ich mache mir nichtmal die Mühe, sie wegzuwischen. Schon bleibt das Auto stehen und meine Eltern laufen aus dem Haus. Ich öffne die Tür und steige aus. "Hey Mum, Hey Dad." Ich zwinge mich zu einem Lächeln. "Hallo, mein Junge.", begrüßt mich mein Vater und beide umarmen mich. Niall holt meinen Koffer und reicht meiner Mutter die Hand. "Guten Tag, Mrs Payne.", begrüßt er sie und küsst sie flüchtig auf die Wange. "Warum so förmlich, mein Junge?", fragt meine Mutter und zieht ihn in eine Umarmung. Etwas überrumpelt umarmt Niall auch meinen Vater. "Möchtest du mit uns ein Stück Kuchen essen, Niall?", lädt meine Mutter ihn ein. "Nein, danke, Karen. Das ist wirklich sehr freundlich aber ich muss leider wieder los." Dann wendet er sich an mich. "Melde dich, wenn du was brauchst, Payno." Flüchtig umarme ich Niall, bevor ich meinen Eltern ins Haus folge. "Dein Zimmer ist noch genauso wie früher.", plappert meine Mutter los. "Ich weiß, Mama, das erzählst du jedes Mal." "Geh doch hoch und Pack deine Sachen aus, oder möchtest du erst essen?", fragt mein Vater mich. "Ich gehe erst hoch.", antworte ich und trage meinen Koffer die Treppe hoch. Oben angekommen schmeiße ich mich als erstes auf mein Bett. Papp-Me grinst mich breit an. Oh Gott, wie gruselig ich diese Figur finde, aber ich bringe es auch nicht übers Herz Mama zu sagen, dass sie ihn wegstellen soll. Mein Blick fällt auf das kleine Bild neben meinem Bett. Es zeigt Miranda und mich letzten Sommer irgendwo in Kalifornien. Da war noch alles gut. Kein Krebs, keine Sorgen. Wieder fange ich an zu weinen. Stumm lege ich mich auf mein Bett, das Bild fest in den Armen.

"To infinity and beyond."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt