"In etwa so?" Ich schaue mir den Entwurf des Tätowierers nochmal genau an. Es ist nicht das erste Tattoo, was ich mir bei John stechen lasse und wieder einmal muss ich feststellen, dass er es wirklich drauf hat. "Genau so. Das sieht super aus.", entscheide ich mich und ziehe schon mal meinen Ärmel nach oben. Das Tattoo soll ab jetzt meinen linken Unterarm zieren. Mein neues Tattoo soll sich an meiner Pulsader entlangziehen. Etwas überrascht schaut John mich an. "Du willst jetzt schon..? Ich dachte, du lässt es dir nochmal durch den Kopf gehen." "Nein, ich bin mir absolut sicher. Ich bin mir auch im Klaren darüber, dass das nicht so einfach wieder weggeht und die Risiken wie Entzündungen, Verfärbungen, bla bla bla. Fang schon an.", hetze ich John. "Bist du betrunken, Liam?", fragt er mich mit ernster Miene. "Nein, ich bin schließlich mit dem Auto gekommen." "Das eine schließt das andere ja nicht aus.", seufzt John, während er seine Maschine vorbereitet. Nachdem er die Vorlage aufgetragen hat und ich zufrieden mit der Position meines Tattoos bin, setzt John die Maschine an. "Absolut sicher?", fragt er mich ein letztes Mal. "Hundertprozentig.", antworte ich und John macht den ersten Stich. Ein Schmerz durchzuckt meinen Arm, doch er kommt bei weitem nicht an das ran, was ich spüre, wenn ich daran denke, dass Miranda nicht mehr da ist. Aber genau wie beim Tätowieren scheine ich mich langsam an den Schmerz zu gewöhnen.
Eine Stunde später sitze ich, jetzt mit verbundenem und abgeklebten Unterarm, wieder im Auto. Meine Haut brennt noch etwas, aber ich bin wirklich zufrieden mit dem Ergebnis. Ein kleines Stück weiter sehe ich das Ende eines Staus. Na super, typisch London, viel zu viel Verkehr. Ich bremse und schaue mir erneut mein Tattoo an. Der Schriftzug 'We are fireproof.' ziert nur meinen Unterarm. Daneben befindet sich eine kleine Flamme. Das hätte Miranda sicher auch gefallen. Schade, dass wir es nicht mehr geschafft haben, uns Matching-Tattoos stechen zu lassen. Plötzlich kommt diese verdammte Traurigkeit wieder. Sie schleicht sich leise an, man bemerkt sie kaum. Sie kommt immer näher und dann schlägt sie zu. Mit aller Kraft. Ich drehe das Radio lauter, damit meine Gedanken übertönt werden. Ich bin froh, als Bewegung in die Schlange vor mir kommt und die Blechlawine sich langsam auflöst.
"Da bist du ja, Liam.", begrüßt meine Schwester mich, als sie die Tür öffnet, "Mum und Dad sind auch wieder da." Sie geht einen Schritt zur Seite, damit ich eintreten kann. "Hey, Roo.", murmele ich und ziehe meine Schuhe aus, "ich hab schlechte Nachrichten." Betroffen schaue ich sie an. "Was hast du..?", fängt sie an, doch ich unterbreche sie. "Du kriegst leider kein Cabrio.", kichere ich und werfe ihr den Autoschlüssel zu. "Du kleiner..", verflucht sie mich und holt aus, um mich zu boxen, doch ich verschwinde schnell ins Wohnzimmer. "Muuuuuum! Ruth will mich schlagen.", petze ich und meine Mutter schaut und zwei nur verwirrt an. "Du bist ja angezogen...und...du lächelst.", murmelt meine Mutter vor sich hin. Dann fällt ihr Blick auf das Pflaster auf meinem Arm. "Du hast ein neues Tattoo?", fragt mein Vater erstaunt. "Jap." Ich werfe mich auf die Couch und mache den Fernseher an. "Und was, wenn ich fragen darf?" "Kommt her, ich zeige es euch.", winke ich meine Eltern zu mir heran. Beide kommen einen Schritt näher ran und schauen neugierig auf meinen Arm. Langsam löse ich das Pflaster. "Tadaaaaaa." Lächelnd präsentiere ich den beiden mein Tattoo. "Ist das für...?", fragt meine Mutter leise. Sie hat Tränen in den Augen. "Ja, wir wollten uns eigentlich gemeinsam etwas tätowieren lassen, aber jetzt..." Ich breche ab. "Das hätte ihr sicher sehr gut gefallen, mein Junge.", versichert mir mein Vater und zieht mich in seine Arme. Zögernd umarme ich ihn. "Hast du deine Rede für morgen vorbereitet? Du sagst doch was, oder?", fragt mein Vater mich. "Geoff...", ermahnt meine Mutter ihn. Ich erstarre. Klar, es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich wieder daran denken muss. Der Tag war auch einfach zu schön gewesen. Morgen ist die Trauerfeier für Miranda und es wird natürlich erwartet, dass ich eine Rede halte. "Liam du musst nicht, das weißt du hoffentlich.", erklärt meine Mutter mir. "Nein...ist schon gut....ich gehe dann wohl Mal besser ins Bett." Während ich die Treppe hochlaufe, laufen mir die ersten Tränen über meine Wangen. Schon höre ich wie meine Mutter anfängt, mit meinem Vater zu streiten. Muss das jetzt auch noch sein? Seufzend setze ich meine Kopfhörer auf und drehe die Musik laut. So sitze ich eine Weile da und lasse den Tränen freien Lauf.
Als ich die Hand auf meiner Schulter spüre, zucke ich zusammen und drehe mich reflexartig um. "Mensch Nicola!", fahre ich meine älteste Schwester an und nehme die Kopfhörer ab. "Hallo Bruderherz, ich habe mehrmals geklopft, doch du hast ja nicht geantwortet. Also habe ich von meinem Recht der älteren Schwester Gebrauch gemacht und bin eingetreten. Natürlich freue ich mich auch dich zu sehen." Erst jetzt scheint sie meine geröteten Augen zu bemerken. Sofort nimmst sie mich in den Arm und drückt mich fest. "Ach, Liam...", seufzt sie. Ich ziehe sie an mich und kuschele mich in ihre Halsbeuge. "Ich vermisse sie so.", schluchze ich und Nicola streichelt über meinen Rücken. "Ich weiß, Liam, ich weiß." Eine Weile bleiben wir einfach so, ich auf meinem Schreibtischstuhl sitzend, den Kopf auf ihrer Schulter und sie neben mir hockend, die Arme eng um mich geschlungen. Dann steht sie vorsichtig auf und ich löse mich. "Geh jetzt schlafen, Liam. Morgen wird ein anstrengender Tag.", flüstert sie und bugsiert mich zum Bett. Langsam ziehe ich mir meine Klamotten unter der Bettdecke aus und gebe sie ihr. "Manche Dinge ändern sich eben nie, schätze ich.", murmelt sie mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. "Gute Nacht, Bruderherz." Vorsichtig drückt sie mir einen Kuss auf die Stirn. Vor ein paar Tagen hätte ich diesen Kuss noch angewidert weggewischt, doch im Moment gibt er mir einfach nur das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Nicola verlässt das Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Draußen höre ich sie leise mit meiner Mutter reden. "Lass ihn...er muss erstmal klar kommen, Mum." "Ist gut, Nicola." dann ertönen Schritte auf der Treppe. Ein wenig später öffnet sich meine Zimmertür. Ich spüre Lippen auf meiner Wange, das ist eindeutig meine Mutter. "Ich hab dich lieb, Liam." Ich dich auch, Mama. Bevor ich diese Worte aussprechen kann, bin ich eingeschlafen. Danach verlässt sie das Zimmer.
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"To infinity and beyond."
Fiksi PenggemarMiranda weiß, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Doch alles, was ihr Sorgen macht, ist ihr bester Freund Liam. Was wohl aus ihm wird, wenn sie nicht mehr da ist? Wird er sein Leben irgendwann weiterleben? Diese Frage ist ihr zu ungewiss, deshalb...