Harry POV:
Mit klopfenden Herzen lief ich einen Feldweg entlang, bis er mich in einen kleinen Wald führte. Dort ließ ich mich auf den etwas feuchten Boden, der übersät von Tannenzapfen, Blättern und Zweigen war, fallen. Für einen Moment hörte ich nur meine Atemstöße, die ich in kurzen Zeitabständen schwer ausstieß, und das Zwitschern einiger Vögel. Eine meiner Hände fuhr durch meine verzottelten Haare. Ich hatte selten in meinem Leben so viel Angst verspürt, wie in diesem Moment. Es war nicht nur die Furcht vor diesem unheimlichen Fremden, sondern auch all den anderen Menschen um mich herum. Warum redeten alle von diesem Louis? Woher kannten sie ihn und vor allem: wieso ging jeder davon aus, dass ich ihn kannte? Weder sein Gesicht noch sein Name kamen mir bekannt vor. Doch trotzdem löste er zwiegespaltene Gefühle in mir aus. Er verängstigte mich und andererseits löste dieser verzweifelte, aber liebevolle Blick, der durchgehend auf mir lag, etwas in mir aus, mit dem ich nicht umgehen konnte. Er schien so viel über mich zu wissen und ich hatte einfach keinerlei Erinnerungen aus der Vergangenheit an ihn. Es fühlte sich frustrierend an. Langsam verwandelte sich all die Angst in mir zu Wut. Es war doch nicht möglich, einen Menschen komplett aus seinem Gedächtnis zu streichen. Irgendetwas lief hier verdammt falsch und das ging sicherlich nicht von mir aus, mit mir war ja schließlich alles in Ordnung.
Eine weitere halbe Stunde verging, in der ich versuchte meine Gedanken von dem attraktiven, jungen Mann zu lenken. Ich dachte über Linus, einen alten Freund von mir, nach und über das Gespräch, das wir heute morgen geführt hatten. Unsere Unterhaltung hatte von unseren gemeinsam verbrachten Tagen im Park, über das Wetter bis hin zu unsere Familien geführt. Irgendwann, als doch immer wieder Louis' Gesicht vor meinem inneren Augen erschien und meine Gedanken mich selber frustrierten, stand ich auf, um mich auf den Weg nach Hause zu machen.
„Mama?", hallte meine Stimme durch die Wohnung. Ich lief Richtung Küche, aus der ich leises Gelächter hörte. Als ich den Raum betreten hatte, wäre ich am liebsten sofort wieder umgekehrt. Louis saß mit Nathalie auf dem Schoß am Tisch und unterhielt sich angeregt mit meiner Mutter. „Hi, Schatz", begrüßte mich Mama mit einem Lächeln auf den Lippen. „Was will er hier?", entgegnete ich kalt und deutete dabei auf den jungen, unbekannten Mann. „Harry, ich muss noch einmal mit dir reden. I-Ich verstehe das alles hier nicht. Warum weißt du nicht, wer ich bin?" Die sanfte Stimme Louis' passte perfekt zu seinen weichen, hoffnungsvollen Augen, die durchgehend auf mich gerichtet waren. Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus.
„Woher sollte ich dich kennen? ich habe dich noch nie gesehen, außer den zwei Malen, wo du mich wie ein Gestörter verfolgt hast." - „Harry! Hör auf so mit ihm zu reden! Was soll das, warum möchtest du ihn so verletzen? Er liebt dich, verstehst du das nicht!?" Louis winkte meine Mutter ab, „Schon gut, ich gehe jetzt besser", murmelte er mit tränenerstickter Stimme. Er warf mir einen letzten traurigen Blick zu, bevor er sich an mir vorbei, aus dem Zimmer schob. Ich hörte noch, wie sich die Haustüre schloss, dann war es komplett still. Ohne einen weiteren Blick in Mamas vorwurfsvoll auf mich gerichtete Augen verließ ich ebenfalls die Küche. Mit langsamen Schritten schleppte ich mich in mein Zimmer und ließ mich auf meine Matratze fallen. Auch der darauf folgende Schrei in mein Kissen, ließ die Wut und das Gefühl des Unverständnis über die Situation nicht aus meinen Körper schwinden.
Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn das nächste Mal, das ich klar dachte, wurde von einem zarten Klopfen an der Zimmertür erweckt. „Komm 'rein", murmelte ich schläfrig, bevor ich mich auf dem Bett herum wälzte und meinen Blick zum Türrahmen lenkte. Nathalie betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich und ließ sich dann neben mich fallen. „Hallo, Harry", sagte sie leise, während sie sich sich an meine Brust kuschelte. „Hey, Süße. Alles klar?". Für einen Moment reagierte sie nicht auf meine Frage, bis sie leicht ihren Kopf schüttelte. Besorgt legte ich einen Arm um ihre zierliche Figur. „Warum denn nicht?", flüsterte ich leise und drückte einen Kuss auf ihren Scheitel.
„Ich mag es nicht, wenn du und Louis streiten. Er hat so viel geweint und du warst richtig gemein." Wieder erfüllte mich Verärgerung und Wut, doch ich versuchte, sie nicht überhand nehmen zu lassen. „Ich kenne ihn einfach nicht. Ich kann mich nicht das kleinste bisschen an ihn erinnern, weißt du?" - „Aber du hast gesagt, dass du ihn liebst! Ihr habt euch ständig geküsst und umarmt, du musst ihn kennen!" Nathalies Wutanfall brachte mein Herz kurz zum Aussetzen. „Wir haben uns geküsst?" Die Kleine nickte überzeugt. „Ganz oft. Er war immer dein Lieblingsmensch, du warst ständig bei ihm." Nathalie log nicht, das merkte ich ihr an. Ich schloss für einen Moment meine Augen und ließ die Informationen sacken. Wie konnte das sein? Es war einfach unmöglich, dass ich ihn kannte. Schließlich fasste ich einen Entschluss.
„Nathalie, ich möchte, dass du nicht mehr darüber redest, verstanden? Der Name ‚Louis' ist von jetzt an Vergangenheit, ich will ihn nicht mehr hören." Das Mädchen sah mich aus großen Augen an. „Aber Louis ist nett! Ich mag ihn, er ist mein bester Freund." Ich schüttelte energisch meinen Kopf. „Ich will nichts mehr davon hören."
Im nächsten Moment löste Nathalie sich aus meiner Umarmung, stand auf und rannte weinend aus meinem Zimmer. Entnervt drehte ich mich auf den Rüchen, fuhr mir durch die Haare und schloss meine Augen. Ich wollte nicht ständig an diesen Louis denken, es frustrierte mich. Eine andere Möglichkeit als ihn zu ignorieren gab es also nicht. Auch auf das Ziehen in meiner Brust bei diesem Gedanken versucht ich nicht zu beachten.
'Tschuldigung, ich weiß das hier ist mega kurz, aber besser als nichts, richtig? ._.
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Ich bremse auch für Fußgänger | Larry
RomanceDie Räder seines Rollstuhls drehten sich beinahe lautlos auf dem glatten Steinboden, hinterließen feine Streifen und ein leises, quietschendes Geräusch. Manchmal dachte er sich, dass diese Räder wie sein Leben waren, eintönig und scheinbar endlos. A...