2. Kapitel

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|| Louis POV ||

Entnervt griff ich nach der Fernbedienung, stoppte den Film und löste die Bremsen aus meinem Rollstuhl, um den Rufen meiner Mutter zu folgen und in die Küche zu rollen. "Das Mittagessen ist fertig, Schatz. Wir essen heute ohne deinem Vater, er hat noch irgendeinen Termin", meinte Mum und rollte spielerisch mit den Augen. Ich hasste es, wie sie Tag für Tag versuchte, ein normales Alltagsleben einer glücklichen Familie nachzustellen. Als Antwort nickte ich nur und streckte meine Hand dann aus, um mir etwas von der Lasagne zunehmen. "Warte, ich mach das, Schätzchen." Ich stöhnte genervt auf. "Mum, meine Arme funktionieren, falls ich daran erinnern darf. Und meine Beine brauche ich nicht, um mir Essen aufzutun." Meine Mutter sagte nichts mehr, sondern sah nur verletzt auf ihren eigenen Teller. "Sorry", murmelte ich so leise es ging, doch trotzdem brachte es Mum sofort zum lächeln. "Ist okay, Lou-Lou, wir sind ja alle mal schlecht gelaunt", plapperte sie fröhlich los, "Dafür ist ja Harry dann da. Er bringt dich bestimmt wieder zum Lachen!" Bestimmt. Ich hatte seit Jahren nicht mehr gelacht, da konnte mir selbst der charmante Harry nicht weiterhelfen. "Apropos, er kann jeden Moment kommen, also sollten wir uns etwas beeilen mit dem Essen", meinte meine Mutter noch und lächelte mich breit an. Ich brummte zur Antwort, bevor ich mich wieder meinem Teller widmete. Es war nicht so, dass ich mich auf Harry freute, doch irgendwie war ich erleichtert, dass er wiederkommen würde. Es gab nicht viele Menschen, die es wirklich mit mir aushielten. Eigentlich nur meine Eltern, die nun mal mehr oder weniger dazu verpflichtet waren, und Paul, mein Arzt, der einfach nur verdammt viel Geld dafür bekam. Da kam mir ein neuer Gedanke. "Mum? Bezahlt ihr Harry eigentlich?!"-"Aber natürlich, Schatz, man kann doch nicht von jemandem verlangen, seine komplette Zeit ohne Entgegenkommen zu opfern." Ich nickte. Eigentlich hätte ich es mir denken können, ich meine, klar, wer wollte schon freiwillig auf mich 'aufpassen' und warum sollten wir denjenigen nicht mit unserem reichlich vorhandenem Geld bezahlen? Doch trotzdem hatte ich insgeheim gehofft, dass Harry sich für mich interessierte, dass überhaupt jemand sich für mich interessierte.

Meine Mutter und ich hatten schon längst aufgegessen, sogar die Küche war schon aufgeräumt worden und doch war Harry noch nicht da. Nicht, dass es mich kümmerte -auf gar keinen Fall-, mir war nur einfach langweilig und vielleicht war ich gerade in der Stimmung für ein sarkastisches Gespräch mit Harry. Es dauerte noch weitere 15 Minuten bis es schließlich an der Tür klingelte und ich zog grinsend meine Augenbrauen hoch, als sich unsere Überwachungskameras auf Harry richteten und das Bild von einem lockigen Jungen mit Fahrradhelm auf dem Kopf auf einen Fernseher in der Eingangshalle übertragen wurde. Meine Mutter öffnete ihm die Tür, während ich mich schnell in das Wohnzimmer rollte, um es nicht so aussehen zu lassen, als hätte ich gewartet. Keine Minute später betrat der Lockenschopf den Raum und grinste mich entschuldigend an. "Tut mir leid, dass ich so spät komme, nur mein Fahrrad hatte 'nen Platten." Ich nickte, bevor ich mit meinem Kinn in die Richtung seines Kopfes deutete. "Wenigstens war der Fahrradhelm noch heile", meinte ich spöttisch und beobachtete Harry dabei, wie er schnell den Helm abnahm und seine Wangen rot anliefen. "Ups", murmelte er leise und legte ihn auf eine der Regale. Ich bemühte mich wirklich, ihn nicht süß zu finden, doch seine tollpatschige Art brachte sogar mich zum Lächeln. Wenn auch nur ganz kurz. "Okay, Louis, was wollen wir heute machen?", fragte er und fuhr sich einmal durch seine zerzottelten Haare. Seine Stimme klang mal wieder viel zu fröhlich und ich hob nur meine Augenbrauen. "Wirst du bezahlt oder ich?", fragte ich ihn bissig. Es nervte mich unfassbar, dass man mir einen 'Freund' gekauft hatte, dass jeder immer meinte, dass er wüsste, was das beste für mich sei. Auch wenn Harry vielleicht süß, charmant und fröhlich war, brauchte ich verdammt nochmal niemanden. "Okay, dann entscheide ich, dass wir zum See fahren!" Harry klatschte begeistert in die Hände und sah mich abwartend an. "Vergiss es", keifte ich zurück. Es schien als würde Harrys Gesicht fallen, seine Mundwinkel sanken nach unten, er richtete den Blick auf den Boden und sogar seine Locken schienen auf einmal furchtbar schlaff seinen Kopf hinunter zu baumeln. "Wieso nicht?", fragte er leise und sah mir wieder ins Gesicht, aus großen, grünen Augen. In diesem Moment fühlte ich mich so verdammt schlecht, als hätte ich es überhaupt nicht verdient, dass Harry mich ansah, egal mit welchem Blick. "Weil, naja... ich meine, was soll ich da? Ich kann nicht schwimmen und für Entenfüttern bin ich, denke ich, dann doch zu alt", versuchte ich mit ruhiger Stimme, die Situation wieder etwas zu entspannen. Harry begann sofort breit zu grinsen und ich rollte mit meinen Augen, ich hätte es echt wissen sollen. "Ich liebe es Enten zu füttern und außerdem sind doch die Entenbabys gerade geschlüpft! Ich nehme noch meine Karmera mit, dann kann ich sie sogar fotografieren." Harrys Stimme war so laut und glücklich, dass es beinahe wehtat. "Also gut", seufzte ich und fuhr mir kurz durch die Haare. "Aber wehe du schiebst mich gegen einen Baum oder so etwas", fügte ich hinzu, denn es wäre Harry durchaus zuzutrauen. Der Lockenkopf begann darauf jedoch nur zu kichern und ich runzelte meine Stirn. Der Kerl war wirklich leicht zum Lachen zu bringen.

Ich war mir nicht sicher, wie lang es her war, dass ich das letzte Mal unser Haus verlassen hatte. Vielleicht so um die zwei Monate. Und man musste noch mindestens ein Jahr dazurechnen, wenn man wissen wollte, wie lange es her war, dass ich am See war. Ich kuschelte mich in die Decke, die Harry fürsorglich um mich gelegt hatte. Eigentlich hatte ich sie nicht gewollt, einfach schon deshalb, weil er sie mir ohne zu Fragen gegeben hatte, doch jetzt war ich ganz froh. Es war noch kühl, auch wenn die Sonne sich strahlend zeigte, eben typische Frühlingstemperatur. Harry schob mich durch die Straßen und wenn ich mich nicht täuschte, tat er das im Hopserlauf, denn irgendwie schaffte er es, dass der Rollstuhl ständig wackelte. "Hat meine Mutter dich mt dem Auftrag mich umzubringen eingestellt?", fragte ich ihn nach einiger Zeit der Stille und er blieb abrupt stehen, sodass ich wahrscheinlich aus dem Rollstuhl gekippt wäre, hätte ich mich heute Morgen nicht festgebunden. "Wieso?", fragte er unsicher. "Der komplette Rollstuhl wackelt." Ich hörte, wie Harry schluckte, bevor er seine Stimme erhob. "Tut mir leid. Ich dachte... ich wusste nicht, dass du das merkst", entschuldigte er sich leise und mein Herz fühlte sich an als würde es schmelzen. Ich nickte und schlug mich innerlich dafür, dass ich so verbittert war. Wir setzten unseren Weg fort, leise und mit dem gleichmäßigem Rollen der Räder. Irgendwie vermisste ich das leichte Auf- und Abhopsen des Jungen hinter mir. Nach wenigen Minuten hatten wir den Park, direkt am See erreicht und fanden uns mitten unter lauthals nach ihren Müttern schreienden Kindern, jungen, verliebten Paaren, Hobbyschwimmern, alten Leuten mit ihren Hunden und Teenagergruppen wieder. "Möchtest du hier bleiben oder sollen wir in ein ruhigeres Eck gehen?", fragte Harry mich vorsichtig, wahrscheinlich aus Angst davor, dass ich ihn gleich wieder anschreien würde. "Gehen wir dahinter?", schlug ich vor und zeigte auf einen etwas abgelegenen Platz direkt am Wasser, "Da sind auch deine Enten." Harry stimmte mir grinsend zu. Ich war froh, die Grübchen am Ende beider Mundwinkel wieder zu sehen, es war schon fast zur Gewohnheit geworden. Harry löste die Bremsen aus dem Rollstuhl und schob mich in die Gegend des auserwählten Platzes. Im Hopserlauf.

"Und Cheeeeeeeese!" Harry hatte sich in die Hocke gesetzt und begann Fotos von den Enten mit ihren Küken zu machen. Er dachte wirklich, man könnte sie zum Lächeln bringen, also begann er Grimaßen zu ziehen. Aber wahrscheinlich konnte Harry tatsächlich jeden zum Lächeln bringen. 'Klick', machte die Kamera und die Enten sprangen erschrocken weg. "Ups", murmelte der Lockenkopf und versuchte sie mit Brot erneut anzulocken. Grinsend beobachtete ich die Szene. "Du musst nur die Entenmutter anlocken, dann kommen die Kleinen auch", riet ich ihm und er drehte sich zu mir. "Aber sie mag mich nicht!" Ich schüttelte grinsend den Kopf. "Lass mich mal", und mit diesen Worten löste ich die Bremse meines Rollstuhls und schob mich vorsichtig näher an das Ufer. Harry reichte mir das Brot, während er mich aus großen Augen abwartend ansah. "Komm her Kleines, schau mal, was ich hier für dich habe!", versuchte ich die Ente mit kindlicher Stimme anzulocken. Das Tier legte seinen Kopf schief, bevor es einige Zentimeter näher watschelte. Ich warf ihm ein Stück Brot zu, wartete bis es aufgegessen war und wiederholte dann das Spielchen. Die Entenfamilie war nur noch einen knappen Meter von mir entfernt, als ich Harrys Kamera klicken hörte und die Tiere schnell zurückwichen. "Harry! Du hast sie verscheucht!" Doch er grinste nur und setzte sich auf den Boden neben mich. "Dafür ist das Foto verdammt gut geworden", meinte er und hielt mir den Display seiner Kamera unter die Nase. Man erkannte mich auf meinem Rollstuhl von der Seite und mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, während sich so um die 15 Küken und eine Entenmutter um mich scharrten. "Und wehe, du beklagst dich, dass du hässlich aussieht!", kicherte Harry, ehe er die Kamera wieder wegsteckte. Eine Weile war es still. "Lösche es, bitte." Harry hob erstaunt seinen Kopf. "Wieso?", fragte er etwas geschockt, seine Augen gerade auf meine gerichtet und vereinzelte Locken fielen ihn über seine gerunzelte Stirn. "Ich mag keine Bilder von mir im Rollstuhl", sagte ich leise. "Aber das Foto ist schön! Trotz des Rollstuhles", widersetzte er sich mir mit Trotz in der Stimme. "Verdammt, lösche es einfach!", fuhr ich ihn etwas zu heftig an und promt sammelten sich Tränen in Harrys Augen. Traurig zog er seine Kamera hervor und drückte einige Knöpfe bevor er sie wegpackte. "Tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe. Nur ich denke du hast keine Ahnung, wie verdammt beschissen ich mich in diesem Teil fühle", sagte ich leise. "Du weißt schon, dass man auch im Rollstuhl ein wunderschöner Mensch sein kann?!", flüsterte Harry liebevoll, bevor er schnell seinen Kopf wegdrehte, als er erkannte, was er da gerade gesagt hatte.

Ich bremse auch für Fußgänger | LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt