5 Tage davor

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„Und wie fühlen wir uns heute?"

„Genauso wie immer."

„Möchtest du mir heute erzählen, was damals vorgefallen ist Meghan?"

„Einfach nur Meg."

„Gut, also Meg. Was ist damals passiert?", seine kupferfarbenen Augen durchdrangen sie.

„Ich rede nicht darüber. Und schon gar nicht mit Ihnen", sie versuchte seinem Blick standzuhalten. Normalerweise fiel ihr so etwas leicht, aber er hatte etwas an sich, das sie nervös machte und dazu zwang, auf den Boden zu schauen.

„Dann versuchen wir doch dieses Mal zu den Wurzeln deiner Ängste vorzudringen." Er reichte ihr ein kleines schwarzes Buch, wobei er den Augenkontakt aufrechterhielt.

„Du siehst darin verschiedene Bilderpaare. Ich möchte, dass du mir sagst, welches dich mehr verängstigt."

„Das ist alles? Mehr muss ich nicht machen?", fragte Meg nach, um sicherzugehen. Sie suchte nach einem Haken. In den letzten Sitzungen hatte er nicht aufgehört über den Vorfall sprechen zu wollen, während sie nicht aufhörte genau das zu verweigern.

Doch er nickte und vertiefte sich in irgendeine Akte. Wahrscheinlich sogar in ihre eigene. Etwas skeptisch wandte Meg sich dem Buch zu. Links war ein Arzt und rechts war ein Polizist abgebildet. Sie rollte mit den Augen.

Hatte sie diese Psychoscheiße wirklich nötig? Sie war doch nicht verrückt. Nicht mal ein bisschen. Und warum konnte sie keinen netten und freundlichen Psychologen haben, der ihr Mut zusprach? Warum hatte sie genau diesen bekommen? Diesen kalten allesdurchdringenden Lügendetektor. Doktor Sadler.

Seit drei Sitzungen hatte sie so gut wie nichts gesagt und doch hatte sie das Gefühl, dass er bereits ihre ganze Geschichte kannte. Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe und verschrieb ihr ein paar Pillen? Mehr wollte sie doch gar nicht.

Meg blies sich eine blonde Haarsträhne, die immer aus ihrem Dutt heraus fiel aus dem Gesicht, um die Bilder erneut zu betrachten. Sie hatte vor beidem keine Angst. Wirklich nicht. Sie schielte kurz zum Doktor. Er war noch immer in die Akte vertieft.

So leise es ging blätterte sie um.

„Ist die Aufgabe zu schwer für dich?" Wie machte er das? Er hatte nicht einmal aufgesehen. War hier vielleicht eine Kamera installiert oder so?

„Mir macht beides keine Angst", erwiderte Meg. Sie hatte das Bedürfnis sich zu verteidigen. Die Aufgabe war nicht zu schwer. Sie war dämlich.

„Denk nicht so viel darüber nach. Entscheide einfach Meg."

„Okay, dann sage ich Polizist", sie sagte es mit einem schmalen Lächeln. Sie wollte dem Doktor nicht die Genugtuung geben, Angst vor ihm zu haben. Auch wenn er ihr zugegebener Weise unheimlich war. Er notierte sich etwas. Was er wohl aus ihrer Antwort las?

Meg sah sich das nächste Bilderpaar an. Links war eine Spinne abgebildet, schwarz mit acht haarigen, langen Beinen. Sie hatte nie zu der Sorte Mädchen gehört, die Angst vor Spinnen hatte.

Rechts war eine Fliege zu sehen. Seit einigen Jahren wuchsen die Fliegen. Nicht ihr Bestand, sondern ihre Körpergröße. Einige waren so groß wie Kinderfäuste. Laut Wissenschaftlern lag das an einem Gendefekt, einer Mutation. Die Angst vor ihnen war seitdem nichts Ungewöhnliches und auch Meg fand die Viecher widerlich. Sie zeigte auf das Bild der Fliege. Der Doktor nickte und notierte sich wieder etwas.

Meg blätterte weiter und schluckte. Auf der linken Seite war eine Tablettendose zu sehen. Medizin oder Drogen? Sie war sich unsicher. Rechts war eine Flasche. Alkohol. Jetzt beobachtete der Psychologe sie genau. Sie hatte es gewusst. Es ging wieder um damals. Wut kochte in ihr hoch und sie war nicht gut darin sie zu unterdrücken.

„Ich nehme keine Drogen, wenn sie das meinen", ihr Ton war scharf. Er provozierte sie absichtlich.

„Und Tabletten. Vielleicht Schlaftabletten. Oder etwas zur Beruhigung." Meg biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. Sie wollte ihn nicht gewinnen lassen, nicht auf seine Provokation eingehen.

„Aber du trinkst."

Er blieb vollkommen ruhig. Seine Augen wichen nicht von ihrem Gesicht ab, suchten nach einem Anzeichen, vielleicht einem Zucken, das sie als Lügnerin enttarnte. Wie konnte er nur wissen, dass sie trank? Meg's rechte Hand ballte sich unter dem Tisch zu einer Faust.

„Ich trinke nicht!" Dieses Mal hielt sie seinem Blick stand.

„Wem willst du hier was vormachen. Dir oder mir? Wir beide wissen genau, dass du ein Problem damit hast. Und du tust niemandem damit einen Gefallen. Am allerwenigsten dir", er war laut geworden, wie aus dem nichts.

„Ich habe kein Problem. Sie haben keine Ahnung. Sie mit ihrem tollen Anzug und ihrem tollen Job. Ja ich trinke hin und wieder. Und wissen Sie warum? Weil ich lachen will. Ich will über das lachen können, was damals passiert ist. Und ohne Alkohol schaffe ich das nicht. Also kümmern sie sich um ihren eigenen Mist", sie versuchte sich zu beherrschen. Doch es kochte in ihr. Diese unglaubliche Wut.

„Rede darüber Meg. Rede mit mir darüber. Deswegen bin ich hier. Deswegen bist du hier."

„Sie wollen, dass ich darüber rede? Also gut, ich rede darüber", er hatte es geschafft. Jetzt versuchte Meg nicht mehr ihre Wut zu unterdrücken. Sie wollte sie nur noch rauslassen. Mit einem Ruck stand sie auf und schob ihren Stuhl weg, der mit einem lauten Knall umfiel, „Ich war in einem beschissenen kleinen Raum mit meinem besten Freund und Partner. Und er ist für mich gestorben. Damit ich nicht bei der Mission ersticke. Denn die Scheißluft hätte nicht für uns beide gereicht."

„Und was war mit den Tabletten?" er ließ nicht locker. Sie stützte ihre Hände auf den Tisch und kam seinem Gesicht mit ihrem ganz nah. Jetzt machte er ihr keine Angst mehr.

„Die Tabletten", ihre Stimme zitterte und verwandelte sich mehr und mehr in ein Zischen, „Ich habe ihn nicht umgebracht, wenn sie das denken. Wir hatten einen Auftrag. Er hatte die beschissenen Tabletten dabei und ich konnte es nicht verhindern. Ich konnte ihn nicht aufhalten und ich konnte ihm nicht helfen!"

Mit diesen Worten drehte sie sich um und stürmte raus. Sie hörte wie er ihr hinterherrief. Sie solle bleiben und es sei gefährlich jetzt zu gehen. Doch es war ihr egal. Es war ihr so scheißegal.

Mit einem Gefühl der Erleichterung stellte sie fest, wie der Flachmann in ihrer Jackentasche bei jedem Schritt leise klappernd gegen sie stieß. Er fühlte sich voll an.

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Radioactive *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt