20 Tage danach

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Sam starrte sich an. Tag ein Tag aus, starrte er sich an. Nein, dass durfte er nicht denken. Es war nur dieses alte, grauenhafte Bild. Das war nicht er.

Das seltsamste für ihn war, dass er sich an alles hier gewöhnt hatte. An das Essen und das Wasser. Diese Sachen wurden zwei Mal täglich durch eine kleine Luke im Glas hineingeschoben. Er war wie ein Versuchsobjekt. Obwohl, wenn er richtig darüber nachdachte, war er sogar nichts anderes als ein Versuchsobjekt.

Seit Tagen musste er dabei zusehen wie seinesgleichen, andere Versuchsobjekte, zu Infizierten gemacht wurden. Es war ein langwieriger Prozess, der über vier Tage ging. Am ersten Tag wurde Gas in das Glasgefängnis gelassen. Die Objekte hatten keine Chance ihm zu entkommen, mussten es einatmen, immer und immer wieder.

Am zweiten Tag begann es dann seine Wirkung zu zeigen. Die Gefangenen wurden krank. Husteten Blut, wurden blass, sahen aus wie Tote. Ihre Körper wurden schwach, zu dieser Zeit entschied sich, ob sie starben oder sich verwandelten.

Sam war froh wenn sie starben. Wenn sie nicht zu Abscheulichkeiten wurden. Es war eine Erleichterung und er beneidete die, die gehen durften dafür.

Doch die Überlebenden, begannen nach drei Tagen sich zu verändern. Ihre Körper wurden wieder stärker, sie waren nicht mehr krank. Stattdessen wurden sie wahnsinnig. Sie kratzten sich am ganzen Körper, rissen sich die Haut auf, bis sie bluteten. Wenn sie damit fertig waren, ließen sie ihren Wahnsinn an den Gefängnissen aus, warfen ihre Körper mit voller Wucht dagegen. Ihre Schreie waren die ganze Nacht zu hören.

Erst am vierten Tag, wurden die Versuchsobjekte wieder ruhig. Dann war ihre Verwandlung vollendet. Jedes von ihnen war einzigartig. Jetzt hießen sie Mutationen und wurden weggebracht, um die nächsten Menschen zu infizieren.

Es war wie ein Kreislauf. Immer wieder gab es neue Objekte. Immer wieder wurden sie verwandelt. Nur Sam blieb und sah zu. Als hätte man mit ihm noch etwas Besonderes vor. Als wären alle anderen nur Vorbereitung. Er war der Höhepunkt, das Sahnehäubchen.

20 Tage. Seit 20 Tagen war die Welt im Chaos.

„Hallöchen mein Freund. Ich habe eine Überraschung für dich dabei. Du liebst doch Überraschungen", trällerte der Mann mit den hellen Haare. Sam fragte sich schon die ganze Zeit über, wer das eigentlich war. War er für alles verantwortlich? Wie hieß er überhaupt? Warum hasste er Sam so sehr?

„Was wollen Sie? Infizieren Sie mich endlich oder soll ich hier drinnen noch verrotten", Sams Ton war unhöflich.

Der hellhaarige Mann lachte kurz auf, ehe sich sein Mund zu einem düsteren Grinsen verzog. Es fiel Sam erst jetzt auf. Der Mann blinzelte nicht. Nie.

„Nein, ich habe etwas viel besseres für dich dabei."

Sam schnaubte. Der Mann hörte sich so stolz an.

„Deine kleine Freundin. Wie war ihr Name noch gleich? Ahh, stimmt, es war Lilia. Reizendes Mädchen"

„Sie können Lilia doch nicht für etwas bestrafen, dass ich getan habe. Das kann nicht ihr ernst sein", knurrte Sam.

„Du denkst sie ist ein unschuldiges Lämmchen? Da hast du falsch gedacht. Alle Menschen sind falsch. Sie haben ihre Geheimnisse, ihre tiefen dunklen Abgründe, die sie vor anderen verstecken. Deine Freundin ist da keine Ausnahme"

„Was meinen Sie damit? Lilia hatte keine dunklen Geheimnisse"

„Du warst nicht gut genug für sie. Du hast ihr nicht gereicht. Der wunderschöne Sam hat der unschuldigen Lilia nicht gereicht", der ironische Ton in seiner Stimme war nicht zu überhören, „Aber, dass kann sie dir bestimmt auch selber sagen."

Er trat zur Seite. Hinter ihm aus dem Boden, fuhr eine Röhre raus. Ein Gefängnis aus Glas in dem Lilia stand. Sam sah sie an, doch empfand kein Mitleid für sie. Sie war nur ein weiteres Objekt. Sam wollte es trotzdem hören, er wollte von ihr wissen, dass der Mann nicht log. Er hatte sie geliebt, nicht komplett, nicht immer, aber es hatte nur sie gegeben.

Sie weinte, musste neu hier sein, gerade erst eingefangen, noch völlig desorientiert und verängstigt, wie ein gefesseltes Tier. Es war ihm egal, er hatte es schon hinter sich. Ihr Heulen, klang in seinen Ohren fast lächerlich. Sie hatte noch gar nichts durch gemacht.

„Lilia!" rief er.

Sie hatte ihn vorher gar nicht bemerkt. Sie wirkte kurz erleichtert, dann entsetzt.

„Sam! Du bist auch hier! Geht es dir gut?" schluchzte sie.

Sam erstarrte. Nein, der fremde Mann hatte Unrecht. Er versuchte ihn zu manipulieren. Lilia war zu gut, um etwas Böses zu tun. Sie sah sogar jetzt ehrlich besorgt um ihn aus. Er nickte eifrig: „Ja ich bin okay. Ist bei dir alles in Ordnung?"

„Darf ich das freudige Wiedersehen kurz unterbrechen? Lilia, ich würde dir gerne ein Bild vom echten Sam zeigen", unterbrach der Mann die zwei. Er nahm das Foto ab. Sam schlug gegen die Wand. Lilia durfte das Foto nicht sehen. Niemand durfte es sehen.

„Hör nicht auf ihn! Er lügt! Alles, was er sagt ist eine einzige große Lüge" brüllte Sam und fokussierte dabei den Mann. Lilia starrte auf das Foto und dann wieder zu Sam, als könnte sie es nicht fassen. Könnte nicht glauben, dass dieses hässliche Wesen auf dem Foto ihr Freund sein sollte.

„Ist das wahr Sam? Du hast mir noch nie Fotos von früher gezeigt. Deswegen etwa?" sie klang verzweifelt und verletzt, immer mehr Tränen kullerten über ihre geröteten Wangen.

„Lilia ich...ich, bin das nicht. Das ist meine Vergangenheit. Das hat nichts mehr mit mir zu tun", er schämte sich zutiefst. Warum konnte er es nicht einfach hinter sich lassen?

„Sam! Du hast diesen Scheiß geraucht? So kenne ich dich gar nicht. Wie kann man nur so oberflächlich sein?" so sauer hatte er sie noch nie erlebt. Sie verstand es nicht. Sie konnte es nicht verstehen, war nie hässlich gewesen. Er war nicht oberflächlich. Die anderen waren es.

„Und Sam, deine liebe Freundin hat einen noch einen zweiten Freund gehabt. Für ihren Geschmack, warst du einfach nicht genug. Und rate mal, während der Explosion und danach war sie bei ihm", der Mann spielte sie gegeneinander aus.

In Sam brodelte es. Es war nicht das erste Mal. Er wurde schon betrogen. Eine alte Wunde wurde aufgerissen. Ob der Mann ihn dazu brachte oder nicht, er war sauer. Er wollte Lilia anschreien, sie eine Schlampe nennen und sie dann nie wieder sehen.

Doch etwas hielt ihn auf, eine innere Stimme. Sein Gewissen. So sehr ihn Lilia auch verletzt hatte, der wahre Feind war der fremde Mann, der die ganze Situation belächelte. Er manipulierte sie und lenkte vom eigentlichen Feind ab. Von sich selbst. Er musste seine Wut an ihm herauslassen. Also ballte er seine Hände zu Fäusten. Früher oder später würde dieser Mistkerl dran glauben. Das schwor er sch.



Radioactive *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt