23 Tage danach

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„Noch sieht sie gut aus", meinte Isaac und wickelte einen neuen Verband um Megs Hand.

„Ja, noch...", sagte Meg abweisend.

„Wir wissen doch gar nicht ob alle Mutationen mit diesem Virus infiziert sind", beschwichtigte er sie.

„Können wir endlich weiter. Ich will dieses Labor heute noch erreichen", drängte Linus. Er kam mit diesen Situationen nicht zu recht. Ignorierte Meg schon fast, seitdem es passiert war.

„Linus...", Ivy unterdrückte ein Schluchzen. Sie flüsterte dem Tätowierten etwas ins Ohr. Bat ihn vermutlich darum, Rücksicht zu nehmen.

Meg öffnete und schloss ihre Hand ein paar Mal. Alles funktionierte noch. Isaac hatte die Hoffnung nicht aufgegeben. Die Wunde sah nicht infiziert aus und Fieber hatte Meg auch nicht. Sie durfte nicht sterben. Ob Linus es merkte oder nicht, Meg hielt diese Gruppe zusammen. In ihren Augen war noch der Wille weiterzumachen. Sie war hier noch nicht fertig.

„Lasst uns aufbrechen", sagte sie und versuchte möglichst enthusiastisch zu klingen.

Die kleine Gruppe war nur noch knapp einen Kilometer von der Stadt entfernt. Das eigentliche Problem war aber der Weg zur Uni. Isaac wusste, dass Linus keinen Plan hatte. Er hatte nie einen Plan. Lief einfach drauf los und verließ sich darauf, dass irgendwie alles gut ging.

Ihr Gepäck war noch von gestern nass. Die Sonne hatte sich nicht gezeigt und ihre Rucksäcke und Schuhe waren unangenehm feucht geblieben. Isaac durchfuhr ein Kälteschauer als er seinen Rucksack wieder aufsetzte. Wenn sie nicht alle von Mutationen erwischt wurden, würden sie an einer Lungenentzündung sterben.

Der Stadtrand war schnell erreicht. Isaac schielte immer wieder zu Meg rüber, die neben ihm lief. Sie wirkte etwas erschöpft. Klammerte sich an die Träger ihres Rucksacks und starrte beim Laufen ihre Füße an.

„Wie geht es jetzt weiter?" fragte Isaac kritisch.

„Wir laufen zur Uni oder hast du n' besseren Plan?" schnaubte Linus.

Ja, jeder Plan wäre besser als gar keiner, dachte sich Isaac, sprach es aber nicht aus. Mit Linus streiten war sinnlos. Isaac ganze Hoffnung lag auf Meg und ihren Fähigkeiten. Im Notfall würde sie eingreifen. Trotz dem Schusstraining fehlte es Isaac an Erfahrung mit der Waffe umzugehen.

Es war ungewohnt wieder durch die Stadt zu laufen. Ihr Zustand hatte sich stark verschlechtert. Die Natur lieferte sich einen Kampf mit Beton und Stahl. Wurzeln sprengten die Straßen und Efeu ringelte sich an den Hochhäusern hinauf. Es sah aus, als wären die Menschen seit Jahren ausgestorben, obwohl sie nur für ein paar Wochen weg waren.

Fenster waren eingeschlagen, Müll verstreut. Der Tod hatte sich in den Straßen verbreitet. Blutige Körper lehnten an Hauswänden. Eine unheimliche Stille herrschte in der Stadt nur die Schritte der kleinen Gruppe hallten durch die Gassen.

„Kommt es mir nur so vor oder ist es gerade kälter geworden", hauchte Isaac.

„Wir sind bald da. Seht es euch einfach nicht so genau an", murmelte Linus und fuhr sich mit den Händen über die tätowierten Arme.

Seine Angst war deutlich zu spüren.

„Sie ruhig hin. Wenn du wegsiehst, bist du nicht besser als ihre Mörder", flüsterte Meg in Isaacs Ohr. Er runzelte die Stirn, war aber froh, dass Meg wieder aufmerksamer wirkte. Vorsichtig ließ er seinen Blick über die Körper schweifen. Ihr Gestank vermischte sich mit dem Geruch des Mülls. Riesige Fliegen hatten schwirrten um sie herum und manche wurden sogar von Mutationen abgenagt.

Die Toten lenkten Isaac vom Weg ab und so bemerkte er sehr spät, dass sie schon an der Uni angelangt waren. Sie kam ihm vor wie ein altes Zuhause, zu dem er nach Jahren zurückkehrte.

„Denkt ihr, wir kommen vorne rein?" fragte Ivy, die auf einmal ganz aufgeregt wirkt. Sie freute sich wohl über die Ankunft an der Uni. Isaac hatte sie damals nie wahrgenommen, nie gesehen. Sie war nur eine von vielen Studentinnen gewesen. Als Biologin konnte sie einiges herausfinden. Wer weiß, vielleicht war sie am Ende die, die alle retten würde.

„Bestimmt", antwortete Linus.

Fast schon selbstverständlich trat er zur Tür und tatsächlich, war sie noch offen. So wie sie das Gebäude verlassen hatten. Es war ein Erfolg, ohne Frage. Doch sie mussten sehr vorsichtig sein. Seit dem sie hier waren, konnte einiges passiert sein.

Linus spähte durch die Tür und nickte den anderen zu, die Luft war wohl rein. Fürs erste. Wie Ratten huschten sie durch die Gänge, sie mussten in das Untergeschoss. Dort befanden sich die Labore, die Mittel um das rote Zeug zu untersuchen. Der tätowierte Student lief vor, spähte um Ecken und winkte die restliche Gruppe hinterher, als wäre er ein toller Anführer. Als wüsste er, was er da tat.

Der Storm war aus, jede letzte Reserve verbraucht. Es war kaum noch etwas zu erkennen als sie die Treppe zu Untergeschoss hinab stiegen und sie tasteten sich nur langsam vorwärts. Isaac hörte Meg hinter sich laut atmen. Strengte sie der Abstieg so sehr an? Das wäre kein gutes Zeichen.

Von unten drangen surrende Geräusche herauf. Sie klangen elektronisch, wie von einer Maschine, wurde lauter je tiefer sie stiegen. Aber es gab doch keinen Strom mehr, außer...

„Gibt es hier sowas wie ein Notstromgenerator oder so?" stelle Isaac die Frage in den Raum.

Linus antwortete ohne langes Zögern: „Ich glaube schon, aber warum funktioniert dann das Licht hier nicht? Außerdem würde das bedeuten..."

„Dass hier noch andere Leute sind", vollendete Meg den Satz.

„Dann finden wir das eben jetzt raus", erwiderte Linus. Er war sich seiner Sache sicher. Isaac mochte das nicht. Er dachte nicht genug nach. Die Menschen konnten inzwischen misstrauisch und feindselig sein. Jeder versuchte hier mit den wenigsten Mitteln zu überleben.

Unten angekommen stand die kleine Gruppe in einem dunklen Flur von dem einige Türen abgingen. Ohne zu fragen ging Linus voran. Er war mutig, das musste Isaac ihm lassen oder einfach nur leichtsinnig.

Er bewegte sich direkt auf das Geräusch zu, wurde fast schon davon angezogen. Die anderen folgten einfach, nicht einmal Meg stellte seine Führung mehr in Frage. Ein weiteres schlechtes Zeichen, was ihren Gesundheitszustand anging.

Kurz vor der Tür zögerte Linus. Er blickte in die Runde, fragend, sollte er die Tür wirklich öffnen. Alle nickten, die Neugierde war überwiegend. Wer auch immer dort drinnen saß, würde sie schon nicht auf der Stelle umbringen.

Er hielt die Türklinke fest in der Hand, so dass sie nicht hochsprang und kein lautes Geräusch verursacht.

Blaues Licht flackerte ihnen entgegen. Die Elektrizität in dem Raum war schon spürbar und ihm Mitten von allem stand ein Mann, beherrschte die Blitze und benutzte sie. Kleine Gegenstände lagen vor ihm und er formte sie. Das Surren war extrem laut geworden und der Raum schien zu vibrieren.

Schützend hielt Isaac seine Arme vors Gesicht, als könnten sie gegen den Strom helfen. Er hörte wie Meg ihre Waffe lud und plötzlich verstummten die Geräusche, das Flackern erlosch und die langen Haare, die eben noch vom Kopf des Mannes abgestanden hatte, legten sich.

Der Blick des Mannes war auf Meg gerichtet. Kurz wirkte er verwirrt, fast schon ängstlich, überrumpelt von so vielen Leuten. Dann formte sich sein Mund zu einem breiten Grinsen. In einer fließenden Bewegung schnappte er sich die Gegenstände vom Tisch, ließ gleichzeitig etwas anderes fallen und eine Rauchwolke breitete sich in dem kleinen Raum aus. Isaac stolperte zurück hustete, rang nach Luft.

Seine Augen tränten und es dauerte kurz, bis der Rauch sich soweit verzogen hatte, dass er wieder etwas sehen konnte. Von dem Mann war keine Spur mehr.


Radioactive *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt