1 Tag davor

358 21 0
                                    

Schnell sprang Sam in die AirTube und suchte sich einen Griff zum Festhalten. Mit rasanter Geschwindigkeit fuhr der Zug nun über die Dächer der Stadt. Es war fast als würde er schweben, obwohl er auf einer Schienen durch einen Gläsernen Tunnel fuhr.

Er mochte das Gefühl und fand die Fahrt unglaublich beruhigend. Er konnte nicht verstehen, warum manche Leute heutzutage überhaupt noch mit Autos fuhren. Schon nach ein paar Sekunden hatte der Zug die nächste Haltestelle erreicht. Sam stieg aus. Er genoss die Sonne, die nun auf seine helle Haut schien. Dieser Tag wird perfekt, dachte er sich. Dann lief er weiter und steckte sich währenddessen eine Zigarette an.

Eigentlich wollte er schon längst mit dem Rauchen aufhören, aber irgendwie kam ihm immer wieder etwas dazwischen. In den letzten Wochen hatte er viel Stress mit Umzügen und Ärzten gehabt. Da brauchte er nun Mal hin und wieder eine Zigarette.

Eine kleine Verunstaltung in seiner sonst seiner sonst so makellosen Welt. Er hatte alles. Andere Menschen konnten nur von seinem Leben träumen. Sein Luxusleben finanzierte er mit seinem Aussehen. Er hatte eine wunderschöne Freundin und andere Leute sahen ihm neidisch hinterher. Zugegeben, ein bisschen arrogant war er vielleicht auch. Immerhin freute er sich manchmal über die eifersüchtigen Blicke, doch sie bestätigten ihn auch in dem, was er getan hatte.

Schon von weitem hörte Sam die kleinen Vögel im Park zwitscherten. Selbst die Blumen standen in voller Blüte und ließen diesen kleinen Ort zu einem Paradies mitten in der Stadt werden. Heute schien wirklich der perfekte Tag für eine Verabredung im Grünen zu sein. Er würde seine Freundin Lilia treffen, sie hatten sich seit einer Woche nicht gesehen und er hatte selbstverständlich eine Überraschung vorbereitet.

Hinter einem Gebüsch türmte sich der Müll auf. Das war vollkommen normal, auch wenn es die schöne Umgebung etwas zerstörte. Sam wollte sich aber nicht länger davon runterziehen lassen. Stattdessen drückte er lässig seine fertig gerauchte Zigarette auf dem Boden aus und hielt nach einem guten Platz für ein Picknick Ausschau. Im Halbschatten, zwischen zwei Bäumen und in der Nähe des Teiches schien die perfekte Stelle zu sein.

Sam breitete gerade im Gras eine Picknickdecke aus, als ihm auffiel, wie ein Mann ihn anstarrte. Die Blicke von Frauen war er gewohnt, die von Männern eher weniger. Der Mann hatte weißblonde Haare und versuchte nicht einmal unauffällig rüber zusehen. Er stand einfach nur da und starrte.

Sam wurde etwas unbehaglich durch den eindringlichen Blick des Mannes und er versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren, was ihm schwer fiel. Vielleicht sah der Mann ja überhaupt nicht zu ihm herüber, sondern auf etwas hinter Sam. Hoffentlich würde Lilia bald kommen.

So lange versuchte Sam sich zu entspannen, indem er sich hinlegte und die Augen schloss. Er dachte über die Kleinigkeiten des Alltags nach. Darüber wie lange es wohl dauern würde, bis er in der Sonne braun werden würde. Darüber, was er nach der Verabredung machen würde. Und auch darüber wie langweilig sein perfektes Leben manchmal war. Ein wunderbar süßer Duft brachte ihn dazu, sich wieder aufzusetzen. Vor ihm stand die wunderschöne Lilia, die ihn anstrahlte, als hätten sie sich seit Monaten nicht gesehen.

„Hey Süße", sagte er und zog sie zu sich runter, um ihr eine sanften Kuss auf den Mund zu geben. Sie lächelte und ärgerte ihn wie immer mit einem: „Du hast geraucht."

Verlegen zuckte er mit den Schultern. Sie hasste diese Angewohnheit von ihm. Er wollte ja aufhören. Für sie wollte er aufhören.

„Jetzt wo du da bist, brauche ich keine Zigaretten mehr", entschuldigte er sich bei ihr und küsste ihre Wange.

„Du hast etwas vorbereitet oder", kicherte sie. Lilia kannte ihn in und auswendig. Sie wusste, wenn er sie überraschen wollte. Und er versuchte immer wieder sie zu überraschen. Das liebte er einfach. Überraschungen.

Er zwinkerte ihr zu und machte einen Schnalzlaut mit dem Mund. Das machte er immer wenn sie Recht hatte.

„Ich habe für dich gebacken", er versuchte einen verführerischen Blick aufzusetzen.

„Im ernst", jetzt wirkte sie doch überrascht.

„Ja", er holte einen kleinen braun, pinken Cupcake aus seinem Rucksack und lächelte.

In Lilias Gesicht tauchte ein breites Grinsen auf und sie gab einen dieser Quietschlaute von sich. Die beiden teilten sich das kleine Gebäck. Fütterten sich gegenseitig. Er beobachtete ihre herzförmige Lippe, wie sie sich beim Kauen leicht verformte.

Sein Gesicht nährte sich ihrem bis er ihre weichen, warmen Lippen auf seinen spürte und dann ihre Zunge an seiner Zunge und nur noch sie.

Dann saßen sie einfach nur still da, sie lehnte an ihm. Die beiden beobachteten, wie die kleinen Goldfische im Teich umher schwammen. Ihre Hände waren fest umschlossen. Sie redeten nicht. Sie redeten nie besonders viel, es gab nichts zu sagen. Keine Probleme, wenig Neues. Doch es war kein seltsames Schweigen, sondern ein Genießen der Stille.

Doch warum fühlte es sich heute nicht richtig an? Warum hatte er plötzlich das Gefühl etwas verändern zu müssen? Ihm fehlte Abwechslung. Veränderung. Alles lief wie vorbestimmt ab, als wäre sein Leben bis ins Detail geplant.

Sam wandte seinen Blick von dem kleinen Teich ab. Der Park war leerer geworden, doch der Mann mit den weißblonden Haaren stand noch immer da und beobachtete ihn. Sam bekam eine Gänsehaut. Jetzt stand er sogar noch näher und Sam konnte seine eisblauen Augen sehen. Kalte Augen, die ihn durchdrangen. Die fast schon zu hell aussahen, als das sie natürlich sein konnten und jetzt war er sich sicher: Der Mann starrte ihn an. Ein Schauer lief Sam über den Rücken. Wie lange starrte dieser Mann ihn jetzt schon an? Und was wollte er von ihm? Lilia schien Sams Unruhe bemerkt zu haben.

„Ist alles in Ordnung?" fragte sie.

„Ich denke wir sollten gehen. Abends treiben sich hier oft komische Leute herum", antwortete Sam, um Lilia nicht weiter zu beunruhigen.

Sie packten gemeinsam ihre Sachen zusammen und Lilia verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss. Sie wohnte in einer anderen Richtung als Sam. Als Sam erneut zu der Stelle blickte, wo eben noch der Mann stand, war dieser weg. Einfach verschwunden. Hatte Sam ihn sich etwa nur eingebildet? Unmöglich! Mit einem komischen Gefühl verließ er den Park. Der Mann mit den kalten Augen ging ihm nicht aus dem Kopf.

Radioactive *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt