22 Tage danach

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Der Bach rauschte durch den Wald. Er war stark angestiegen, trat fast über die Ufer, kein Wunder, bei dem vielen Regen in den letzten Tagen. Sein Plätschern war gleichmäßig und strahlte eine beruhigende Aura aus.

Es war einer dieser Orte zu denen man ging, wenn man alleine sein wollte. Meg wusste genau, nicht weit von hier, war eine Straße gewesen. Eine Straße, die jetzt nicht mehr zu sehen war, von Pflanzen überwachsen, Wurzeln hatten den Asphalt durchbrochen. Sie war nur noch eine alte, tote Vene im Blutsystem der früheren Menschenwelt. Nur eine kleine Verbindung im Netzwerk der Städte.

Von dem einstigen Lärm, der hier herrschte, war jetzt nichts mehr zu spüren. Es war still, fast harmonisch, wie der Bach seinen kleinen Weg entlang plätscherte. Ein Ort, an dem man gerne nachdachte, Meg konnte gar nicht anders. Hauptsache nicht zurück ins Lager gehen, wo sie nur die trostlosen Gesichter erwarteten.

Dave war tot. Sie hatte ihn getötete, ihn erlöst. Sie hatte schon wieder versagt, ihm nicht helfen können. Das Bild von ihm spukte noch in ihrem Kopf herum.

Sie tauchte ihre Hände in das Wasser. Es war angenehm kühl, ließ nicht vermuten, dass es voll mit dem Gas war, mit Radioaktivität. Alles war voll damit. Niemand konnte entkommen.

Meg wusch sich das Gesicht, versuchte wieder etwas klarer zu werden. Sie durfte nicht abschweifen. Ihre Gruppe brauchte sie und sie brauchte ihre Gruppe. Eilig befüllte sie die Behälter mit dem frischen Flusswasser.

Es war ein Zwiespalt. Meg hasste es, sich von ihrer Gruppe zu entfernen. Immer wieder dachte sie an Dave, der verletzt wurde, als sie nicht da war. Vielleicht hätte sie es verhindern können. Gleichzeitig wollte sie weg, der Verantwortung entgehen, niemanden mehr sterben sehen und nur noch für sich sein.

Meg lief zurück. Ein paar Schmetterlinge flogen auf, als sie sich durch das Gestrüpp des Waldes kämpfte. Sie waren hellblau und schimmerten im Licht der einzelnen Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach schienen. In letzter Zeit sah sie oft Schmetterlinge. Als wären sie ein Ausgleich, auf die großen giftigen schwarzen Fliegen.

Sie folgte dem Weg, den sie jetzt schon seit Tagen entlang ging. Es war ein kleiner Tunnel durch das dichte Gestrüpp. Wie ein Schutzwall, vor der Welt. Das Licht wurde größtenteils von den Dächern der Blätter verschluckt. Am Ende des Tunnels sah sie Licht. Eine Lichtung. Dort war das Lager. Gleich war es vorbei mit der Ruhe, mit dem Alleinsein.

„Meg, da bist du endlich", Linus erwartete sie schon. Er hatte sich als guter Koch entpuppt und zauberte selbst aus einfachen Blättern einen Salat und aus einfachen Kräutern eine Suppe. Ivy half ihm dabei, Natur und Pflanzen waren ihre Spezialität. Das Team war gut. Nur ging es ihnen nicht gut. Daves Tod war ihnen allen noch anzusehen.

Er lag in der Luft, in diesem Lager, im Feuer. Sein Grab stand nur ein paar Meter weiter. Blumen lagen darauf. Riesige wunderschöne Blumen. Isaac ging es am schlechtesten. Er gab sich die Schuld. Meg würde ihn gerne beruhigen, ihn aufmuntern, wie er sie aufgemuntert hatte, doch sie wusste nicht wie. Sie hatte doch keine Ahnung, ob Dave hätte retten können.

„Ähm Meg, wir also..." stammelte Ivy. Meg wurde das Gefühl nicht los, dass Ivy sich vor ihr fürchtete.

„Sag schon, was ist los?" fragte Meg, etwas genervt, von Ivys Unsicherheit.

„Wir, wir wollen nochmal in die Stadt."

„Was?"

„Lass sie ausreden. Wir haben das gut durchdacht", meinte Linus.

„Wir wollen die Infektion von Dave genauer untersuchen. In der Uni gibt es die Geräte dafür. Vielleicht können wir ein Gegenmittel entwickeln. Die Mutationen damit aufhalten. Ich weiß es nicht. Ich kann auf jeden Fall nicht mehr untätig hier rumsitzen und auf den Tod warten", erklärte Ivy und fuhr sich durch die langen Haare.

Radioactive *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt