Kapitel 19

3.1K 188 16
                                    

Schluchzend lasse ich mich an der Tür hinunter gleiten. Ich habe so eine schreckliche Angst um Marco. Ich weiß nicht, wie es ihm geht, oder ob er überhaupt noch lebt. Wo ist Flavio? Was macht Gideon hier? Ich dachte, er sei auf dem Weg nach New York. Ich schluchze auf und ziehe die Knie an, ehe ich meine Arme um sie schlinge und mein Kopf darauf ablege. Was wird er Marco antun? Wird er ihn noch mehr verprügeln? Ihn laufen lassen? Kann er überhaupt noch laufen? Er war bewusstlos. Hoffentlich war er es. Keine Frage, Gideon wäre durchaus in der Lage ihn umzubringen. Das darf er aber nicht. Er darf Marco nicht umbringen. Ich würde daran zu Grunde gehen, ich würde es nicht aushalten. Mir wurden die Augen geöffnet. Durch Marcos Kuss weiß ich jetzt, dass mein Herz ihm gehört, nicht meinem Mann. Und nun liegt Marco in unserem Wohnzimmer auf dem Boden. Blutend. Von meinem Mann verprügelt. Und mich hat er auch weder geschlagen. Und das nicht zu wenig. Ich kann auf meinem linken Auge kaum etwas sehen, so zugeschwollen ist es. Und wo ist Flavio? Wieso hat er Marco geschrieben, wenn er wusste, dass Gideon gar nicht auf dem Weg nach New York ist? Wollte er, dass das passiert? Dass Marco zusammen gegeschlagen wird und ich verprügelt und hier eingesperrt werde? Ist es das, was er wollte? Nein, das traue ich ihm nicht zu. Zwei Jahre hat er zu mir gehalten. Vielleicht wollte er ja, dass mir die Augen geöffnet werden und ich endlich vor Gideon weglaufe. Aber das kann ich nicht. Nicht mehr. Er hat mich eingesperrt! Wie einen räudigen Hund hat er mich hier eingesperrt. Wer weiß, wann er das nächste mal zu mir kommt. Beim letzten mal hat er mich zwei Tage im Spielzimmer versauern lassen. Vielleicht hätte er mich sogar länger dort gelassen wenn Flavio mich nicht herausgeholt hätte. Ich seufze und wische mir mit dem Handrücken über die Nase. Wäre ich doch bloß nicht zurück gegangen. Ich hätte bei Marco bleiben sollen, aber Gideon war so verzweifelt, dass ich mich habe einlullen lassen. Ich könnte mich dafür selbst ohrfeigen. Ich stehe auf und gehe zum Panoramafenster. Naja, wenigstens habe ich hier einen wunderschönen Ausblick. Die Stadt zu meinen Füßen ist aufgeweckt und voller Leben. So viele Menschen, so viele Autos. Dort unten ist das pure Leben. Hier oben ist man dem Lebensende so nahe. Gideon wird mich bestrafen. Er wird mir zeigen, was es heißt zu leiden. Ich habe mir immer eingeredet, dass es einen Grund gibt, weshalb er mich schlägt. Aber es gibt keinen. Er ist einfach so. Er tut es einfach. Ich wünschte es gäbe einen. Dann wäre es leichter zu verstehen, leichter zu verarbeiten. Da es aber keinen gibt, ist es einfach nur noch abscheulich. Ich will Gideon nicht, das weiß ich jetzt. Aber wie soll ich es schaffen mich von diesem Mann scheiden zu lassen? Ich muss in ein anderes Land ziehen und meinen Namen ändern, damit ich von ihm weg kann. Und ich wette, dass er mich selbst dann noch aufspüren würde. Es ist ein Gottverdammter Teufelskreis, aus dem ich niemals heraus kommen werde. Jedenfalls nicht lebend. Sobald ich weglaufe, wird er mich finden. Und umbringen kann ich ihn ja wohl schlecht. Dann verbringe ich mein Leben in Freiheit ohne Gideon im Knast. Also ist es dann doch kein Leben in Freiheit. Ich werde nie frei sein. Gideon hat zu viel Geld, zu viel Macht. Würde ich ihn anzeigen, würde es vermutlich nichts bringen. Die Menschen sind alle Geldgeil und deshalb bestechlich. Ich habe keine Ahnung, wie ich es schaffen soll. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich hier heraus kommen soll. Aus dem Fenster klettern geht ja wohl schlecht und die Tür ist abgeschlossen. Einen anderen Weg hier raus gibt es nicht. Nur diesen einen. Und dieser ist verschlossen. Ich schlinge meine Arme um meinen Oberkörper. Mir ist kalt und die Schmerzen sind unerträglich. Marco geistert mir ununterbrochen im Kopf herum und meine Sorge um ihn ist unendlich. Es macht mich fertig, dass ich nicht weiß, wie es ihm geht, oder was mit ihm ist.

Es wird immer später und später. Die Sonne ist längst unter gegangen und das Zimmer wird von den Lichtern der Stadt erhellt. Es ist wunderschön, wie das hier alles von oben aussieht, aber die Umstände, unter denen ich diesen Anblick hier habe, sind grausam. Im Penthouse ist alles ruhig. Seit Gideon mich hier eingesperrt hat, habe ich keinen einzigen Ton mehr gehört. Weder von Marco, noch von Gideon, noch von sonst irgendwem. Ich bezweifle sogar, dass noch jemand hier ist. Vielleicht hat Gideon Marco zur Strecke gebracht und ist jetzt nach New York geflogen. Vielleicht liegt Marco auch noch unten. Es ist aber auch möglich, dass er Marco einfach so vermöbelt vor die Tür gesetzt hat, und dann zum Flughafen gefahren ist, um seine Geschäftsreise anzutreten. Ich habe so unglaublich große Angst. Ich hoffe, dass es meinem Baby gut geht und dass ich bald hier raus kann. Oder wenigstens etwas zu Essen und zu Trinken bekomme. Naja, Trinken habe ich. Das Leitungswasser. Zum Gästezimmer gehört nämlich auch ein kleines Badezimmer. Tja, trinken und mich waschen kann ich also. Ich werde aber auch etwas zu essen brauchen. Und ich brauche Gesellschaft. Ich werde hier eingehen. Gideon wird mich hier nie rausholen, da bin ich mir sicher...

Hol mich hier rausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt