#16 Snowblizzard

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Wir liefen immer schneller. Meine Beine trugen mich so schnell es ging und doch war mir klar, dass ich zu langsam war. Nic und Olimpia konnten noch viel schneller.

Nic zog mich so gut es ging hinter sich her, aber deutlich schneller wurden wir auch nicht. Das Mädchen lief uns sogar schon einige Meter voraus.

Es hatte angefangen zu schneien. Dicke Flocken flogen auf uns nieder. Kühle Eiskristalle schmolzen auf meiner warmen Haut.

"Es ist nicht mehr weit. Ich laufe voraus!" Olimpias Stimme klang bereits nur noch leise aus der Ferne. Durch die dicken Flocken war sie kaum noch zu erkennen.

"Lima, nein, wir müssen zusammen bleiben!" Nic klang echt panisch.

"Wir sehen uns!" Ihre letzten Worte waren kaum noch zu verstehen.

"Wir müssen hinterher, schaffst du es noch schneller?"

Ich wollte, ich wollte schneller laufen, aber meine Muskeln spielten nicht mit. In den letzten paar Minuten war ich immer schwächer geworden. Ich wurde immer müder und langsamer. Wir waren schon vorher den ganzen Tag unterwegs gewesen und mein Ausbruch von eben hatte auch nicht dazu beigetragen, dass ich jetzt noch Energie hatte. Der zunehmende Schneefall trug nicht wenig dazu bei. Meine Beine fühlten sich wie Klötze an. Dass ich überhaupt noch weiterlaufen konnte, war allein Nic zu verdanken. Er zog mich immer weiter durch den Sturm.

Und um was für einen Sturm. Die eben noch langsam fliegenden Schneeflocken hatten sich zu einem tosenden Orkan gebildet. Überall war Schnee. Alles war weiß. Man konnte kaum einen Meter nach vorne schauen.

So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich wusste nicht, woher Nic den Weg erkennen konnte. Aber er wusste wo wir lang mussten. Zuverlässig zog er mich immer weiter.

Ich hielt mich krampfhaft an seiner Hand fest. Wenn ich ihn in diesem Schneesturm verlieren würde, wäre ich völlig verloren. Ich würde erfrieren.

Meine Finger war bereits eiskalt und taub. Meine Nase konnte ich kaum noch spüren und Eisklumpen hingen in meinen Haaren.

Wir mussten hier raus. Wir mussten schneller zu den Zelten, sonst würden wir beide erfrieren.

Der Gegenwind wurde immer stärker, es wurde immer schwerer gegen ihn anzukommen und wir kamen nur noch schrittweise vorwärts.

Gerade hatte ich noch gedacht dem schlimmsten Grauen entkommen zu sein, da erwartete uns ein neues. Dieser Sturm konnte nicht normal sein. Dieser Ort war verwunschen.

"Noch ... gleich ... du ..." Ich verstand nur Bruchstücke von dem was Nic rief.

Uns trennte kein halber Meter und ich konnte ihn über den tosenden Lärm kaum verstehen. Seine Worte wurden ungehört weitergetragen.

Wir würden Olimpia in diesem Sturm niemals wiederfinden. Hoffentlich war sie sicher angekommen. Auch wenn ich sie nicht sonderlich mochte und sich mich auch nicht, ich wünschte niemandem allein in so einem Sturm zu verbringen.

Jetzt mussten wir gucken, dass wir einen Unterschlupf fanden. Ich glaubte nicht daran, dass wir es noch bis zu den Zelten schafften.

Nic zog mich plötzlich nach unten. Auf dem rutschigen Boden flog ich durch die ruckartige Bewegung sofort hin. Schlitternd rutschte ich hinter Ben her. Es ging bergab. Irgendwie schaffte ich es in ihn hineinzurutschen und schon purzelten wir beide den Hügel hinunter. Dass wir uns nicht losließen, grenzte schon fast an ein Wunder.

Immer schneller ging es abwärts. Nic schaffte es irgendwie, dass wir vor keinem Baum landeten und sicher unten ankamen.

Wir rappelten uns auf. Das erste was mir auffiel, war der immer dünner werdende Schneefall. Als hätte sich ein Schalter umgelegt. Die Flocken wurden immer weniger, immer dünner, immer kleiner.

Der Schneevorhang lichtete sich allmählich und die Umgebung wurde klar.

Wir standen in einem Tal. Der Hügel, den wir heruntergerutscht waren, war doch länger gewesen als vermutet. Fast schon ein kleiner Berg. Dass wir uns nichts gebrochen hatten... Wir hatten großes Glück gehabt.

Kleine Glöckchen erklangen aus der Ferne.

Alarmiert drehte ich mich wieder zu Nic. "Was ist das?"

"Nichts gutes wahrscheinlich..."

Schnell liefen wir zu einem Baum. Die hohen Schneeberge gaben uns zusätzlich Schutz. Zu irgendwas war der Schnee letztendlich also doch gut.

"Runter!" Nic zog mich schützend hinter sich.

Der Junge hatte einen verdammt ausgeprägten Beschützerinstinkt. Aber ich wollte nicht meckern. Das war eindeutig eine Eigenschaft für die ich ihn bewunderte.

Das Klimpern kam immer näher und näher. Ich konnte mir nicht vorstellen was uns erwartete, aber das Klingeln hörte sich so lieblich, so schön an, dass ich mir keine Gefahr vorstellen konnte.

Trotzdem vertraute ich Nic. Er war derjenige, der hier lebte. Er wusste was zu tun war.

Aber ich war neugierig. Meine Neugierde hatte mich überhaupt erst hierher gebracht. Hätte ich das Rätsel um diese Schneekugel nicht lösen wollen, wäre ich nicht hier gelandet. Dass ich meine Nase in Dinge steckte, die mich nichts angingen, würde mich irgendwann noch umbringen.

Vorsichtig lugte ich hinter Nic hervor.

Der probierte mich noch aufzuhalten, doch ich hatte schon meine Nase um den Schneehaufen herum gereckt.

Der Anblick ließ mich versteinern. Das konnte doch nicht wahr sein. Konnte es?

Widerstandslos ließ ich mich von Nic zurückziehen. Stumm starrte ich vor mich hin. Ich konnten seinen besorgten Blick auf mir spüren, aber ich konnte ihm nicht antworten.

Das konnte nicht wahr sein. Er konnte nicht hier sein.

Hatte er mich gesehen?

Ben.

Ben war hier.

Ben ritt keine zwanzig Meter an uns vorbei durch den Wald.

Es war unverkennbar Ben gewesen, der da auf dem schwarzen Pferd saß. An seinen Zügeln waren kleine Glöckchen eingearbeitet. Daher kam das Klingeln.

Ben.

Es war wahrhaftig Ben.

Sollte ich mich zeigen?

Jingle The BellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt