"Danke", ich sprach ganz leise, doch Nic schien es trotzdem verstanden zu haben. Ich betrachtete ihn aus den Augenwinkeln.
Stumm nickte er und lächelte leicht. Seine dunklen Haare hingen ihm tief in der Stirn.
Es kribbelte in meinen Fingern ihm durch die Haare zu fahren und sie zurückzustreichen, aber das wäre mehr als unpassend. Erstens war er so gut wie, mit Olimpia zusammen, der selbst ich, obwohl sie mich fast unbegründet hasste, niemals so etwas antun wollen würde und zweitens war ich wahrscheinlich nur gefühlstechnisch verwirrt. Heute morgen - oder war es schon gestern - hatte ich noch gedacht, dass ich Ben mehr mochte, als ursprünglich geplant, das stellte sich als falsch heraus, jetzt erfuhr ich, dass ich ein ganzes Land retten sollte und der Höhepunkt des Ganzen war, das es sich bei der Gegnerin um Bens Mutter, Ms Fultons Tochter, handeln musste. Ich hatte meine Gefühle nicht alle beisammen. Da sollte ich nichts überstürzen, was sich nicht rückgängig machen ließ.
Was ich wollte, war eigentlich nur eine Umarmung und jemand, der mir sagte, dass ich das schaffen konnte und alles gut werden würde. Aber meine Eltern und Jimmi waren nicht hier und ich war mir nicht sicher, ob jemand aus der Gruppe mir jemals so viel Mut zusprechen konnte, wie meine Familie es tat. Die Gedanken an die schmerzten. Ich hoffte nur, sie machten sich nicht allzu große Sorgen.
Plötzlich zog Nic mich in eine Umarmung. Überrumpelt wie ich war, stolperte ich erst mal gegen seine breite Brust. Er roch nach Wald, nach irgendeiner Baumart, aber meine Pfadfindergene hatten sich nie so weit ausgeprägt, dass ich den Geruch zuordnen konnte. Langsam schloss ich die Arme um seinen Rücken und ließ meinen Kopf über seinem Herzen liegen. Das gleichmäßige Schlagen beruhigte mich ein wenig. Irgendwie schafft Nic es, eine gewisse Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Dafür war ich ihm so dankbar.
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Konnte Nic Gedanken lesen? Woher hatte er gewusst, dass ich eine Umarmung brauchte? Die Zwillinge hatten was von Fähigkeiten gesagt, wenn Nic... Das könnte ziemlich peinlich werden.
Geschockt von der Erkenntnis riss ich meinen Kopf hoch, ließ ihn aber nicht los und er mich nicht. Von unten musterte ich ihn. Würde ich erkennen, wenn er mich anlügen würde? "Woher?" Ich brauchte nicht weiterzusprechen.
"Sagen wir, meine Menschenkenntnis hat sich nach der Machtübernahme um einiges verbessert. Ich kann fast körperlich spüren, was die meisten Personen sich wünschen. Bei dir ist diese Fähigkeit noch -" Er brach ab und blickte auf. Er fokussierte einen Punkt außer meiner Reichweite und verengte die Augen.
Ich löste mich von ihm und drehte mich um. Olimpia stand auf einem Schneehügel keine fünfzehn Meter von uns und starrte mich mordlustig an. Ihre braunen Haare wehten leicht im Wind. Sie hielt ihren Bogen in der Hand.
Nic schob sich vor mich und versperrte dem Mädchen somit teilweise die Sicht auf mich.
Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen aus. Ich musste gar keine Gefühle erspüren können, ich konnte ihre Gedanken auch ohne magische Fähigkeiten erkennen. Und die sähen mich jetzt am liebsten irgendwo tot in der Ecke liegen.
"Olimpia? Was tust du hier?"
Sie antwortete nicht direkt und starrte weiterhin mordlustig in meine Richtung. "Ich weiß nicht, ich dachte ich guck mal nach euch. Die Kleine war ja ziemlich durch den Wind. Ich dachte du brauchst Hilfe beim Suchen." Sie war die Letzte, die nach mir suchen würde. Entweder sie wollte nur nicht, dass Nic mich fand und alleine mit mir war, oder sie wollte mich loswerden. Noch hörte sie sich ganz ruhig an. Ich wartete nur auf die Explosion.
"Wie du siehst, habe ich sie gefunden. Ihr geht es gut. Du kannst ruhig wieder zu den anderen gehen und ihnen Bescheid geben."
Das hätte ich nicht gesagt. Ich hielt zitternd die Luft an und wartete auf ihre nächste Reaktion. Mit Argusaugen beobachtete ich jede ihrer präzisen Bewegungen. Ich wollte sicherlich keinen Pfeil abbekommen.
Wütend stieß Olimpia ein Lachen aus. "Komm schon Nic, lass das Mädchen in Ruhe. Sie wäre doch nur ein kleiner Zeitvertreib. Ich weiß wen du willst und das ist nicht sie. Sie ist ein nichts. Entweder ist sie bald tot, oder sie kehrt zurück. Jedenfalls wird sie nicht hierbleiben. Sie wird gehen. Sie wird dich verlassen. Sie wird nicht hierbleiben. Wahrscheinlich verlässt sie uns sogar, bevor sie uns auch nur irgendwie nützlich werden könnte, oder du ihr deine momentanen Gefühle auch nur offenbaren kannst." Gefühle? Sie klang so, als müsste sie sich selbst überzeugen und doch traf mich jedes Wort.
Zwar wollte ich nichts von Nic, außer in diesem kleinen Gefühlschaos von eben, aber allein der Vorwurf und die Folgerung zu sterben, oder sie zu verlassen, bevor ich ihnen helfen konnte, tat weh.
"Lass sie aus dem Spiel Olimpia."
"Ha, 'Lass sie aus dem Spiel Olimpia' du dummes, dummes Kind. Geh zurück. Verschließ die Augen. Ich bin nicht blind Nic, ich will dich nur beschützten. Ich will dein Bestes und das wäre nun mal ich und nicht sie."
Wenn Nic doch Gefühle und Wünsche, Bedürfnisse - ich hatte keinen Schimmer, wie ich seine Magie beschreiben sollte - erspüren konnte, dann musste er doch wissen, dass ihr so viel an ihm lag. Nach ihrer Äußerung, musste das selbst einem Blinden klar sein. Wieso ging er nicht darauf ein? Wieso ließ er sie so eiskalt abblitzen?
Ohne ihr zu antworten drehte sich Nic zu mir um und schaute mir in die Augen. "Folge diesem Pfad." Eine Leuchtspur bildete sich auf dem Boden. "Dann kommst du zu den anderen. Ich komme gleich nach. Lass mich das hier noch eben klären."
Ich nickte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich wollte ungern alleine durch diesen dunklen Wald gehen, aber ich sagte nichts. Ich hatte den beiden und auch allen anderen bereits mehr als genug Umstände bereitet. Da war es das mindeste, dass ich sie ihre Probleme klären ließ.
Ich atmete tief ein und straffte die Schultern. "Dann bis gleich." Nic drückte nochmal kurz meinen Arm. Er hatte so etwas beruhigendes an sich. Ich schaute ein letztes mal zu ihm, wie er sich zu dem anderen Mädchen umdrehte und verließ sie dann.
"Na endlich."
"Ach Lima, warum machst du mir immer nur solche Schwierigkeiten?"
"Ich weiß nicht." Ihre Stimmlage hatte sich komplett geändert, seit ich ihnen den Rücken zugedreht hatte.
Ich setzte einen Schritt vor den anderen. Immer dem Licht folgend, ging ich weiter. Aber immer noch, war ich nicht außer Hörweite. Dieser Wald war nicht sehr schalldicht.
"Ich wusste, dass du dich für mich entscheidest. Du entscheidest dich immer für mich."
"Ich-"
Jetzt fing der Wind an zu pfeifen. War irgendwie klar gewesen. Die einzige Antwort, bei der sich das unfreiwillige Zuhören gelohnt hätte und dann das. Aber es sollte mich gar nicht interessieren. Nic sollte mich nicht interessieren. Ihre Beziehung sollte mich nicht interessieren, denn eine gewisse Spannung gab es zwischen den beiden, das war unumstreitbar.
Missmutig stapfte ich durch den tiefen Schnee, die goldene Glitzerspur wies mir den Weg. Meine Fußspuren hinter mir verschwanden und es war, als wäre ich dort nie langgegangen. Als gäbe es keine Geschichte zu diesem Ort. Kein Zeichen, dass ich jemalds dort gewesen war.
Ich richtete meinen Blick wieder auf den Weg vor mir. Irgendwas war anders. Irgendwas stimmte mit der Spur nicht. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper. Die Spur fing an zu flackern. Ich war bereits tief in den Wald gelaufen. Hier drang das Mondlicht fast gar nicht hin. Die Schatten zwischen den Bäumen schienen sich auszudehnen und zu wachsen.
Ein knacken im Unterholz. Der Ruf eines Käuzchen. Das flackernde Licht.
Der Stoff aus dem Horrorfilme gemacht wurden, lag direkt vor mir.
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Jingle The Bell
FantasyDiese Weihnachten läuft alles etwas anders als geplant. Als der sympathische Ben Mary vor einer Gruppe Jugendlicher aus ihrer Schule rettet, fügt sich eins zum Anderen. Gemeinsam finden sie eine alte Schneekugel, die wie ein böses Omen über ihnen z...