Entsetzt sprang ich auf und schüttelte den Schnee von meinen Sachen. Schnee?
Ich musste träumen. Es hatte seit Jahren nicht mehr geschneit, aber es fühlte sich alles so echt an.
Ich hatte mir den Kopf wahrscheinlich härter angeschlagen, als gedacht. Jetzt fantasierte ich schon. Schnell kniff ich die Augen zusammen und zählte von zehn rückwärts runter, dann öffnete ich sie wieder.
Die Schneelandschaft war immer noch da. Überall war Schnee. Schnee und noch mehr Schnee.
War ich vielleicht tot? Woran merkte man, dass man tot war?
Eigentlich fühlte ich mich noch ziemlich lebendig, zumindest im Moment. Aber wo war ich dann? Und wie war ich hier hingekommen? Es musste doch eine Antwort darauf geben. Und wo war überhaupt Ben? Wegen ihm war ich doch überhaupt hier erst gelandet! So allein wie jetzt, hatte ich mich noch nie gefühlt.Ein kalter Wind strich über mich hinweg und ich konnte deutlich spüren, wie ich langsam, aber sicher auskühlte. Meine warme Jacke hatte ich in der kleinen Holzhütte ausgezogen. Ich hatte natürlich nicht damit rechnen können, hier zu landen.
In diesem Irgendwo im Nirgendwo.
Mit nichts außer-, Moment, ich hatte die Kugel eben noch in der Hand gehalten! Ich drehte mich einmal um die eigene Achse. Da lag sie. Halb eingegraben vom Schnee und leicht zu übersehen in diesem ganzen weiß. Das Licht brach sich hell in den Eiskristallen um mich herum und machte es fast unmöglich, länger als ein paar Sekunden auf die Schneefläche zu schauen, ohne zu erblinden.
Ich schirmte meine Augen vor der Sonne ab und ging auf die Kugel, die ein paar Meter von mir entfernt lag, zu.
Eine Bewegung links von mir ließ mich innehalten. Ich konnte nicht genau erkennen, wer oder was hinter dem Schneehügel hockte. Das Einzige was ich sehen konnte, war ein riesiger Schatten.Langsam ging ich rückwärts. Wo sollte ich hin? Hier war nichts, nichts wo ich mich hätte verstecken können. In der Ferne konnte ich ein Gebirge ausmachen. Davor lag ein großer Wald, aber der war viel zu weit weg. Egal was hinter der Schneedüne war, es würde mich kriegen, bevor ich auch nur ein viertel des Weges geschafft hätte.
Aber vielleicht sollte ich auch nicht wegrennen und mich einfach meinem Schicksal stellen. Vielleicht würde ich dann wieder zurückkommen. Denn das hier fühlte sich definitiv nicht richtig an, auch wenn es echter nicht sein könnte.
Hin und hergerissen zwischen dem was ich tun oder nicht tun sollte, hatte ich ganz den Grund für mein Problem aus den Augen verloren.
Als plötzlich dieses Etwas hervorsprang, wäre mir fast das Herz stehen geblieben. Der Schatten wuchs und fiel in sich zusammen, als er vor mir landete.Vor mir saß ein Hase. Ein Schneehase.
Da hatte mir das Licht einen ganz schönen Schrecken eingejagt.
Dabei handelte es sich nur um einen kleinen, süßen Schneehasen und ich machte mir solch einen Kopf. Der kleine Kerl saß ruhig vor mir. Er schien weder scheu, noch ängstlich zu sein und kam neugierig auf mich zu gehoppelt. Seine Nase hatte er schnuppernd in die Luft gehalten. Seine Schnurrhaare zuckten leicht und seine leicht grauen Ohren drehten sich in alle Richtungen. Es schien, als lausche er irgendeinem weit entferntem Ruf.Ich ging vor ihm in die Knie und hielt meine Hand ausgestreckt, damit er daran riechen konnte. "Na du, komm mal her. Ich tu dir nichts." Beruhigend redete ich auf ihn ein.
Es schien zu wirken, denn er kam mir entgegengesprungen und blieb vor mir sitzen.
Ich näherte langsam meine Hand seinem Kopf, um ihn zu streicheln, da schoss er nach vorne und biss mir in den Finger. Schreiend fiel ich auf die Knie. Das Tier wollte einfach nicht loslassen. Seine kräftigen Schneidezähne bohrten sich immer tiefer in meine Haut. Das erste Blut tropfte auf die weiße Schneedecke.Mit aller Kraft probierte ich es abzuschütteln, doch es ließ nicht locker. Wie ein Hund, der seine Beute nicht ohne Grund wieder freilassen würde hing es an meinem Finger.
Nur war das hier ein Hase! Hasen taten sowas nicht!
Ich wurde immer hektischer, als seine Zähne immer tiefer mein Fleisch eindrangen. Er würde mir doch nicht den Finger abbeißen? Und warum schien das Viech zu wachsen?Was hatte ich genommen, dass ich mir sowas einbildete?!
Mit aller Kraft zerrte und zog ich an dem Hasen, doch ich hatte keine Chance. Tränen liefen mir über die Wangen und hinterließen eine warme Spur auf meiner kalten Haut.
Was war das nur für eine verkorkste Einbildung? Mein Finger brannte wie Feuer und der Hase schien schon die doppelte Größe eingenommen zu haben.
Aus der Ferne konnte ich ein Heulen vernehmen. Immer mehr Stimmen stimmten ein.
Früher war ich oft mit meinen Eltern in den Zoo gegangen. Die Wölfe dort, hatten genauso geklungen.
Jeden Moment erwartete ich ein Rudel auf mich zustürmen zu sehen, doch ich konnte keins entdecken."Lass doch los, lass doch einfach los!" Weinend schüttelte ich meine Hand immer weiter.
Etwas Dunkles kam von der Seite auf mich zugestürmt. Meine Sicht war von den Tränen verhangen und so konnte ich nur verschwommen die Umrisse eines Menschen ausmachen. Die Person hatte mich nur nach wenigen Sekunden erreicht. Mit einer übermenschlichen Geschwindigkeit und Kraft zog sie die Kreatur von meinem Finger und schleuderte sie weg.
Der Schneehase stieß ein wütendes Fauchen aus, als er einige Meter von uns entfernt aufkam. Er fauchte!
Ich wischte mir über die Augen und konnte endlich die unbekannte Person erkennen.
Es war ein Mädchen. Ich konnte sie nur von hinten sehen, da sie sich dem Hasen zugewendet hatte. Ein langer, geflochtener Zopf fiel ihr über die Schultern. Ihr schwarzes Haar stellte einen extremen Kontrast zu ihrer blassen Haut und der weißen Umgebung dar. Sie trug einen schwarzen, taillierten Mantel. Ihre Stimme hatte einen warmen Klang, als sie dem Tier irgendwas zurief und dann eine blau-blitzende Kugel hinterwarf. Lichtströme umhüllten den Schneehasen. Ein lautes Knistern ging von der Energiekugel aus. Wenige Augenblicke später erlosch sie.
Der Hase war nicht mehr da.Das Ganze hatte nicht länger als eine Minute gedauert.
Zitternd kroch ich rückwärts. Vielleicht hatte sie mich gerettet, aber ich konnte mir nicht sicher sein, dass sie mir auch helfen wollte. Hier schien alles möglich zu sein.
Ich ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Diesen Fehler würde ich nicht ein zweites mal begehen.Irgendwas musste ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, denn sich bückte sich und hob es auf. Ruhig drehte sie den Gegenstand in ihren Händen.
Die Schneekugel.Mir musste ein Laut entsprungen sein, denn sie drehte sich blitzschnell um.
Sie war schön. Das war das erste was mir einfiel. Ihr Gesicht war so ebenmäßig und rein, wie ich es noch nie gesehen hatte. Sie hatte dunkle Augen und tiefrote Lippen. Sie sah aus, als wäre sie einem Märchen entsprungen."Sei still! Du hast schon genug rumgeschrien. Wer weiß, was du schon alles aufgeweckt hast."
Verständnislos schaute ich sie an. Was meinte sie? Etwa noch mehr solcher Kreaturen?
Ihr Blick glitt zu meiner Hand. "Du bist verletzt. Komm, wir müssen hier weg." Mit großen Schritten kam sie auf mich zu.
Ich hatte mich bereits selber wieder aufgesetzt und stand im selben Moment auf, in dem sie mich erreichte. Sie war ein gutes Stück größer als ich. Modelmaße. Von oben herab musterte sie mich. "Wie heißt du?"
"Ma- , Mary." Der Schock saß mir noch immer in den Knochen und ich hielt zitternd meine Hand.
Der wütende Blick des Mädchens entglitt ihr für einen Moment und pure Verwunderung stand in ihren Augen. Doch der Moment verging schnell und der harte Ausdruck kehrte zurück in ihre Züge. "Nun gut. Dann komm jetzt. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Sie haben sicher schon deine Spuren aufgenommen."
"Wer hat meine Spuren aufgenommen? Wer bist du? Wo bin ich? Ich muss zurück! Ich-"
"Still!" Sie hielt mir den Mund zu und drehte den Kopf leicht zur Seite. "Mist! Sie sind fast da. Wir haben keine Zeit mehr. Komm!" Ihre Stimme klang fest, ihr Blick lag auf einem Punkt hinter mir.
Ich nickte stumm. Was blieb mir auch anderes übrig. Ich wollte ganz sicher nicht so enden wie der Hase. Ich schöpfte meinen letzten Energiereserven zusammen und lief der Fremden hinterher.
Hoffentlich würde ich gleich aufwachen.
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Jingle The Bell
FantasyDiese Weihnachten läuft alles etwas anders als geplant. Als der sympathische Ben Mary vor einer Gruppe Jugendlicher aus ihrer Schule rettet, fügt sich eins zum Anderen. Gemeinsam finden sie eine alte Schneekugel, die wie ein böses Omen über ihnen z...