SIEBZEHNTES KAPITEL

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"Tolga wollte das machen Asli!", meinte ich, da sie mich sauer ansah. Wir halfen ihr und Baris dabei ihre Wohnung zu streichen und die Möbeln aufzubauen. Sie hatte ein halbes Jahr bei ihren Schwiegereltern gewohnt, aber jetzt wollten sie in eine eigene Wohnung.

Die Trennung von Gökhan und mir war knapp ein halbes Jahr her. Für mich war es kaum zu glauben, dass ich es so lange ohne ihn ausgehalten hatte, aber meine Freunde hatten mir dabei geholfen. Ich hatte es nur meinen Freunden zu verdanken, dass ich nicht in ein tiefes Loch gefallen war. Sie hatten mir geholfen das Ganze zu verarbeiten. Ich hatte mich zwar damit abgefunden, trotzdem musste ich nachts jedes mal an ihn denken. Außerdem sah ich mir jedes mal die türkischen Nachrichten im Internet an, doch das wusste niemand. Nur ich. Niemand sprach mehr von Gökhan in meiner Anwesenheit, wofür ich allen sehr dankbar war. Da ich es auf meiner Arbeitsstelle nicht mehr aushielt und ich dort vorher auch schon kündigen wollte, hatte ich es getan. Nun arbeitete ich beim Juwelier, wo es mir wirklich gut gefiel und schlecht verdiente ich dort auch nicht, ganz im Gegenteil. Ich lebte mein Leben weiter und das ohne Gökhan.

"Wo ist er überhaupt schon wieder?", ärgerte sie sich über ihn. Genau in diesem Moment kam er lachend durch die Tür. Am Türrahmen blieb er stehen und zeigte wahrscheinlich Umut den Mittelfinger. Asli ging auf ihn zu und tupfte ihm Farbe ins Gesicht. Er sah sofort zu seiner Schwester und packte sich dabei auf die Stelle. "Asli ya." Genervt sah er zu ihr und nahm ihr locker den Streichroller aus der Hand. Er legte seinen Arm um ihren Bauch und schmierte ihr die Farbe in ihrem Gesicht und in den Haaren. Ich stand an der Wand und sah beide mit offenem Mund und großen Augen an. Tolga sah dann zu mir. "Was stehst du so doof da?", sprach er mich an und kam auf mich zu. "Tolga nicht.", bat ich ihn und ließ die Schultern hängen. Er grinste und machte mir mit dem Blick nach. In der Zeit hatten wir beide uns ausgesprochen.Tolga war ebenfalls immer für mich da. Natürlich hatte ich ihm klar gemacht, dass ich nur Gökhan liebte.

Bevor er mich erreichte kam Baris dazu und nahm Gökhan den Streichroller aus der Hand. "Junge was machst du hier?", schimpfte er und sah zu seiner Frau. "Was hast du mir meiner Frau gemacht?" Baris gab Tolga einen leichten Schlag auf den Kopf und schickte ihn raus. Dann ging er zu Asli. Ich beobachtete beide und lächelte vor mich hin. "Dilek steh da nicht rum und tu so als wenn du die Wand streichen würdest! Komm uns lieber hier helfen!", rief Tolga. Genervt verdrehte ich die Augen und ging ihm hinterher.

"Ist nicht euer Ernst Leute?", hörte ich ihn sagen und tauchte hinter ihm auf. Umut und Sevgi standen eng aneinander vor uns. Meine süße Freundin war rot angelaufen und sah beschämt weg. Umut grinste und sah zu uns. Ich musste ebenfalls grinsen. Die Erinnerung an Gökhan unterdrückte ich dabei vollständig. Ich ging auf Sevgi zu und kniff ihr in die Wange. "Du bist süß.", ärgerte ich sie und erntete böse Blicke von ihr. Tolga schüttelte belustigt den Kopf und forderte uns auf mit an zu packen.

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und hielt meinen Schal enger an meinem Hals, da es ziemlich frisch war draußen. Man merkte, dass der Winter so langsam kam. Ich ging durch den kleinen Wald, der herbstlich aussah. Ich liebte den Herbst. Die Natur und die Bäume, die belebter aussahen. Einfach wunderschön.

Beim laufen knallte ich plötzlich gegen eine Person, da mein Blick gesenkt war und ich die Person nicht gesehen hatte. "Tut mir leid.", entschuldigte ich mich und sah auf. Vor mir stand der Bruder von Gökhan, Burak. Den hatte ich zuletzt gesehen, als ich meine Kündigung abgegeben hatte. Überrascht hob ich meine Augenbrauen. "Ich muss mit dir reden Dilek. Könntest du bitte einfach mitkommen? Es ist wichtig.", fragte er mich direkt und ungeduldig. Verwirrt blickte ich ihm in die Augen. "Wieso?" , "Das wirst du dann erfahren. Komm bitte einfach mit.", bat er mich und sah mich erwartungsvoll an. Da meine Neugier viel zu groß war, nickte ich einfach und stieg mit ihm in sein Auto. Die Fahrt verlief recht still. Wohin es ging verriet Burak mir nicht. Ich blieb einfach leise und wartete bis wir ankamen. Vor einem modernen Architektenhaus hielt er an und meinte, dass ich aussteigen sollte. Gesagt getan. Wir betraten beide das moderne Haus. "Möchtest du vielleicht etwas trinken?" , "Nein, danke.", lehnte ich höflich ab. Er nickte und ging vor. Auf der Ledercouch setzten wir uns hin. "Es geht um meinen Bruder, Gökhan.", fing er das Thema an und sah mir dabei ernst in die Augen. Bei dem Namen fing mein Herz sofort an zu rasen und gleichzeitig zu schmerzen. "Ich war vor einigen Tagen in der Türkei bei ihm. Dilek er ist völlig verrückt geworden." , "Was habe ich damit zutun Burak? Du weißt doch-" , "Ja ja ich weiß, aber ich weiß auch, dass mein Bruder dich immer noch liebt Dilek. Er hat nie aufgehört. Wie denn auch?" Er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. "Nein Burak! Du meinst wohl, dass er nie angefangen hat mich zu lieben.", widersprach ich mit einer ruhigen Stimme. Er schüttelte seinen Kopf und sah mich enttäuscht an. "Zweifel doch nicht daran nur weil er es behauptet hat!" In seiner Stimme lag Wut. "Burak was willst du nach sechs Monaten von mir? Dein Bruder hat mich doch schon längst abgeschrieben!" , "Das glaubst du doch wohl selbst nicht!" , "Ach und was sollen diese ganzen Artikel über ihn und seine tolle Beziehung?" Ich sah ihn gereizt an. Dass er jetzt nach sechs Monaten wieder mit Gökhan ankam, brachte mich dazu, dass meine ganzen Gefühle wieder hoch kamen. Im meinem Kopf herrschte purer Chaos. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, was Burak von mir nun erwartete.

Eine Weile blieb er stehen und sah mich nachdenklich an. Ich sah unsicher zur Seite, da ich bemerkte, dass ich gerade indirekt gesagt hatte, dass ich noch an Gökhan hing. "Du liebst ihn noch oder?" Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Ich sagte nichts dazu und senkte meinen Kopf. Was sollte ich auch dazu sagen? Am besten wäre es, wenn ich es abgestritten hätte, aber aus irgendeinem Grund konnte ich nicht. "Ich wusste es!", grinste er nun breit. "Dilek du musst mit mir mitkommen. Nur du kannst Gökhan wieder in Ordnung bringen. Du musst ihm helfen bevor er sich ganz verliert. Weißt du eigentlich wie es ihm geht seit sechs Monaten? Ich kenne meinen Bruder nur zu gut. Er trauert dir genauso hinterher wie du ihm. Er tut es nur auf eine schlechte Weise." , "Burak ich kann nicht. Bitte versteh mich." , "Dilek bitte. Ich habe meinen Bruder bereits einmal dabei zu gesehen wie er sich verliert. Das darf kein zweites mal passieren. Komm schon.", bat er mich und stand ebenfalls auf. Ich war nämlich aufgestanden und hatte vor zu gehen. Ich nahm meine Tasche in die Hand und sah dann ein letztes mal zu ihm. "Ich bleibe bei meiner Antwort. Ich gehe jetzt besser.", sagte ich und wollte gerade gehen. Plötzlich hörte ich ein Husten im Flur und blieb mitten im Flur stehen. Als ich zu den Treppen sah, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Mein Herz setzte für einen Moment aus und fing dann an zu rasen. Meine Augen wurden groß und mein Mund stand sprachlos offen. Schockiert sah ich zu Burak, der im Türrahmen stand und sich verlegen am Nacken packte. "Ich wusste, dass du nein sagen würdest.", zuckte er mit den Schultern. Mein Blick fiel wieder auf ihn, der mitten auf den Treppen stehen geblieben war und mich anstarrte. Gökhans eisblaue Augen starrten mir viel zu tief in die Augen.

Gefangen von der Liebe...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt