EINUNDVIERZIGSTES KAPITEL

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Immer noch schockiert stand ich da mit der Mappe in meiner Hand. Meine Hände begannen zu zittern und mein Herz brach erneut in tausend Teile. Ich konnte einfach nicht glauben, was er da von sich gab. War es schon so weit?

"Abi drehst du jetzt komplett durch?", wurde Burak wütend und riss mir die Mappe aus der Hand. Er nahm die Papiere und zerriss sie. "Hör ihr zu!", befahl er seinem Bruder. Gökhan spannte seinen Kiefer an und sah verärgert zu seinem jüngeren Bruder. "Was soll das Ganze bringen?", brüllte Gökhan und stellte sich jetzt vor mir hin. "Was willst du Dilek? Wieso bist du wieder zurück? Verpiss dich doch einfach wieder dahin, wo du die letzten Monate warst.", fauchte er mich an und war mir dabei bedrohlich nahe. Ich sah hoch in seine wunderschönen einblauen Augen und konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. Wie sehr ich es vermisst hatte in diese Augen zu schauen. Wie konnte ich die ganzen Monate ohne Gökhan aushalten? Alles in mir schrie nach ihm. Ich wollte mich an seine Brust schmiegen und dabei seine Arme um mich spüren. Ich wollte seine wundervollen Lippen auf meine spüren. Und vor allem wollte ich, dass er mich nicht so ansieht wie er es jetzt tut. "Gökhan ich...", fing ich an zu sprechen und musste scharf die Luft einziehen, bevor ich weitersprechen konnte, denn es kostete mich sehr viel Kraft ihm jetzt alles zu erklären. "Ich wollte dich wirklich nicht alleine lassen. Ich bin deine Frau. Ich habe dir versprochen, dass ich immer bei dir bleiben, ich weiß. Es tut mir leid, dass ich mein Versprechen gebrochen habe. Es tut mir leid, dass-" , "Ich will das alles nicht hören.", sprach er mit kühler Stimme dazwischen und ging sich erschöpft durch die Haare. Ich sah zu Burak und nahm dann ein Ultraschallbild aus meiner Tasche. Kurz sah ich es mir an und strich mit meinem Finger darüber. Dann nahm ich Gökhans Hand und legte das Bild in seine Hand. "Ich war schwanger Gökhan.", kam endlich aus meinem Mund, während ich ihm tief in die Augen sah. Er ließ seinen Blick auf das Bild sinken und starrte es eine Weile an. Die Verwirrung konnte man ihm ansehen. Er hatte seine Augenbrauen zusammengezogen und seine andere Hand an seinem Nacken. "Wie...ich...", fing er an zu stottern und sah dann zu mir. "Ich wollte, dass es unserem Baby gut geht. Der Arzt meinte, dass mir der ganze Stress nicht gut tut. Ich konnte einfach nicht anders. Es tut mir leid.", schluchzte ich und wischte mir immer wieder die Tränen weg. "Wo ist das Baby?", wollte er wissen und starrte auf meinem Bauch. Ich biss mir auf die Lippe und senkte meinen Blick, um nicht zusammenzubrechen vor ihm. Doch als er mir plötzlich am Kinn fasste und meinen Kopf hob, sodass ich ihn ansehen musste, konnte ich nicht anders und weinte los. Ich weinte so sehr wie noch nie. Gökhan nahm mein Gewicht zwischen seine Hände und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. "Dilek sieh mich an und beantworte meine Frage. Wo ist das Baby?" Ich spürte wie meine Lippen zitterten, als ich ihn ansah. "Ich habe unser Baby auf die Welt gebracht.", lächelte ich und starrte an ihm vorbei. "Und kurz danach musste ich erfahren, dass das Baby nicht mehr lebt." Als wenn er sich an mir verbrannt hatte, ließ er mich los und ging einige Schritte zurück. Unglaubwürdig sah er mich an und ließ seinen Blick auf das Ultraschallbild in seiner Hand sinken. Eine Weile starrte er drauf, bis er plötzlich an uns vorbei stürmte und das Haus verließ.

Verweint und ratlos sah ich zu Burak, der mit offenem Mund einfach nur da stand und vor sich hin starrte. Wenige Sekunden später kam er auf mich zu und nahm mich fest in seine Arme. "Er wird sich beruhigen. Es wird alles wieder.", versuchte er mich zu beruhigen und strich mir immer wieder durch die Haare. "Ich hätte es nicht tun dürfen", hauchte ich kraftlos.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Hoffnungsvoll sah ich dorthin und erwartete Gökhan, doch keine andere zwei Personen als Mehtap und meine Schwester Gül betraten das Haus. Verwirrt sah ich zu den beiden und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Beide sahen verdutzt zu Burak und mir. Gül Abla kam sofort in meine Richtung und nahm mich in ihre Arme. "Dilek was ist passiert?", fragte sie mich besorgt und küsste mich auf den Kopf. Ich löste mich von ihr und sah zu Mehtap, die den Hausschlüssel in der Hand hielt. Wieso besaß sie den? Sie bemerkte meinen fragenden Blick und schüttelte lächelnd ihren Kopf. Dabei kam sie auf mich zu. "Denk nicht so Dilek. Gökhan tut gerade vielleicht so, als könnte er ganz gut ohne dich klarkommen. Wir wissen aber alle, dass es nicht der Fall ist. Er wird sich wieder beruhigen." Ich schüttelte meinen Kopf und ging mir überfordert durch die Haare. "Nicht nach dem, was er erfahren hat.", gab ich aufgebracht von mir und presste meine Lippen aufeinander, um nicht wieder los zu weinen. Die Blicke von Mehtap und meiner Schwester wanderten zu Burak, der bisher still neben mir stand. Beide hatten plötzlich einen skeptischen und zugleich entsetzten Gesichtsausdruck. "Ihr zwei?", fragte Mehtap mit großen Augen und zeigte abwechselnd auf uns. Sofort sah ich zu ihr und schüttelte heftig und mit großen Augen meinen Kopf. "Oh Gott, nein! Nein Mehtap!", verneinte ich sofort und stellte dies somit sofort klar. "Ich werde Gökhan Abi suchen gehen.", gab Burak von sich und verließ das Haus. Nun stand ich alleine vor meiner Schwester und Mehtap, die mich erwartungsvoll ansahen. Kurz schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus. "Also gut.", fing ich an und sah in erster Linie zu meiner Schwester, der ich das wichtigste verschwiegen hatte. "Ich möchte euch was zeigen." Somit ging ich auch aus dem Haus gefolgt von den beiden. Ich sah zu meiner Schwester und bat sie um ihren Autoschlüssel. Nachdem wir alle eingestiegen waren, fuhr ich los.

"Dilek was machen wir hier?", wollte meine Schwester völlig verwirrt wissen. Auch Mehtap sah sich total ahnungslos um, während ich weiterging. "Gleich Abla gleich.", hauchte ich nur vor mich hin und spürte den immer größer werdenden Schmerz in mir. Vor dem Grab meines Babys kniete ich mich hin und starrte auf den Namen.

"Berkan Demirbas"

Ich hätte ihm diesen Namen gegeben in Gedanken an Gökhans Onkel, der ihm in der Türkei immer zur Seite stand. Kurz hatte mir Gökhan damals von ihm erzählt. Er hatte alles für Gökhan getan und war immer für ihn da gewesen. Viel erzählt hatte Gökhan nicht, da es ihm schwer gefallen war, da er verstorben war.

"Dilek wer ist das?", fragte mich meine Schwester. Man konnte aus ihrer Stimme raushören, dass sie es sich bereits denken konnte. Ich wischte mir die Tränen weg, die gekommen waren und hielt mir die Hand vor dem Mund, um nicht laut zu schluchzen. "Dein Neffe Abla. Mein Sohn.", flüsterte ich leise, jedoch noch verständlich für die beiden.

Wenige Sekunden später waren Schritte zu hören. Ich sah zur Seite und stand sofort wieder auf, als ich sah, dass Gökhan und Burak auf und zuliefen. Gökhans Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten. Er sah die ganze Zeit zu mir, bis er bei uns stand. Dann sah er auf den Grabstein und sofort wieder zur Seite. Dabei sah ich wie sich sein Kiefer anspannte und seine Hand Rauch zu Fäusten ballten. Er schloss seine Augen und schüttelte leicht seinen Kopf, so als würde er das Alles hier nicht wahrhaben wollen. Dabei sah ich wie ihm eine Träne über die Wange lief, die ich direkt auffing, indem ich meine Hand auf seine Wange legte und seine Stirn gegen meine drückte.

Gefangen von der Liebe...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt