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F L O R A | 1 3 . 0 5 . 2 0 1 6

Streng genommen befand ich mich nur in James LKW, da ich ein bisschen für ihn aufräumen wollte. Durch den Stress der letzten zwei Tage sah es schrecklich aus, obwohl er sonst eine ordentliche Person war.

„Ich bin sofort weg, ich wollte dir nur beim Aufräumen helfen.", entschuldigte ich mich bei ihm, als er den LKW betrat. So fertig wie heute hatte ich ihn noch nie erlebt, ehrlich gesagt wollte ich ihn auch niemals so erleben.

„Nein, bitte geh nicht du auch noch." Seine Stimme klang ein bisschen zittrig. Er lies sich auf die Bank fallen und sah mich durch seine traurigen blauen Augen an, „du hast versprochen nicht zu gehen." Was würde ich jetzt dafür geben meinen alten James zurück zu bekommen, mit diesem James war ich maßlos überfordert. Wenngleich ließ ich mich neben ihn auf den Sitz fallen, „nein, ich bleibe so lange da, wie du es brauchst.", redete ich mit ruhiger Stimme auf ihn ein. Diesen Satz nahm er zum Anlass, meine Hand zu nehmen und sie fest zu drücken. „Weißt du wie schlimm es ist, dass erst die Freundin mit einem Schluss macht und dann auch noch das beste Pferd verletzt ist?" Mit der freien Hand fuhr er sich durch die Haare.

„Ich bin froh, niemals Erfahrung gemacht haben zu müssen, ich kann mir nur Vorstellen, wie schlimm es für dich sein muss." Während ich ihm diese Worte sagte, fuhr ich mit meinem Daumen über seine Hand, in der Hoffnung es beruhigte ihn einwenig.

„Flora, sag mir, was ich machen soll, ich weiß es einfach nicht." Er schaffte es nicht mehr, mich anzusehen, seine Stimme klang zerbrechlicher denn je. Zusätzlich stank er scheußlich nach Rauch und Alkohol.

„James, wir bekommen das wieder hin, zumindest dein Pferd, Nici hat dich sowieso nicht verdient, die solltest du am besten schnellstmöglich vergessen, auch wenn es dir schwerfällt." Meine Worte klangen so ernst, dass ich sie mir selbst glaubte. Nun wand er erneut seinen Kopf in meine Richtung. Zu meinem Bedauern ließ er meine Hand los, irgendwie hatte sich seine Hand auf meiner gut angefühlt, so, als würde sie dorthin gehörte.

Er ließ sie nur los um meine Wangen in beide Hände zu nehmen. Damit ich mich nicht wehren konnte, als er seine Lippen auf meine drückte. Dabei wollte ich mich gar nicht wehren, im Gegenteil, seine Lippen fühlten sich weich an und ich konnte noch den Wein schmecken, den er vorher getrunken hatte. Er entspannte sich, als er merkte, dass ich seinen Kuss erwiderte und ich wünschte mir, er würde niemals mehr aufhören mich zu küssen. Sein Kuss war vorsichtig und fordernd zu gleich, er brachte mein Herz dazu schneller als normal zu klopfen und meine Gedanken setzten aus, es gab nur noch ihn und mich.

Da ich mein Zeitgefühl verloren hatte, konnte ich nicht genau sagen, wie lange wir uns küssten. Erst als er sich von mir löste, um mir direkt in die Augen zu sehen, wurde mir bewusst, was wir da getan hatten, was ich da getan hatte. Ich hatte von James einen Kuss erwidert, nicht in meinem tiefsten Träumen hatte ich jemals geträumt, ihn zu küssen. Dazu stellte es sich heraus, dass er ein ziemlich fantastischer Küsser war. Wie benebelt sah ich ihm ebenfalls in die Augen, sie hatten an härte verloren. Er blinzelte mich freundlich an.

Verlegen blickte ich auf meine Finger, die nervös an meiner Weste nestelten. Jetzt durfte ich mir nicht zu viel darauf einbilden, er war betrunken und verletzt, da machte man manchmal Sachen, die nicht passieren sollten. Vielleicht sollte ich genau diese Situation ausnutzen, ihn erneut zu küssen, wer wusste schon, wann ich noch einmal die Chance dazu hatte.

Ohne lange zu zögern, küsste ich ihn aufs Neue. Was machte ich da? Warum hatte mein Gehirn soeben ausgesetzt? Ich hatte weder getrunken, noch geraucht, also welchen Grund gab es James Casey zu küssen? Und das gleich zwei Mal? Überhaupt keinen gab es da!

Meine Lippen rasch wieder auf seinen zu spüren, überraschte ihn. Genauso wie mich, mein Körper verselbstständigte sich, wie automatisch legte ich eine Hand an seine Wange, die glühend heiß war. Der Kuss hatte noch gar nicht wirklich angefangen und schon löste er sich von mir. Es war ein Fehler. Er stützte seine Stirn gegen meine und nahm meine Hände in seine, „es tut mir Leid, dass ich so blöd zu dir war.", flüsterte er heißer. Ja doch, alles gut könnten wir uns jetzt bitte weiter küssen?

„Ich habe es verkraftet." Meine Stimme klang ebenfalls ungewohnt rau. Ichspürte seinen Atem auf meiner Haut, der zusätzlich für Gänsehaut auf meinen Armen sorgte. Wir waren einander so nahe, dass es ein Kinderspiel war, ihn erneut zu küssen, der Mut hatte mich verlassen, ich traute mich nicht mehr, ich hatte Angst alles zu ruinieren.

Zum Glück fand er sein Selbstbewusstsein wieder und drückte seine Lippen noch einmal auf meine, um sie gleich darauf zu trennen. He, was soll das? Die Lücke zwischen uns wurde größer. Ich musste ihn fragend ansehen, er lächelte mich an, dabei fiel mir auf, dass er Grübchen hatte, überhaupt stellte ich fest, sah er viel besser aus, wenn er lächelte.

„Warum lachst du eigentlich so wenig?", fragte ich ihn. Sofort verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht, „nein, bitte hör nicht auf zu lächeln.", flehte ich ihn an, „dein Lächeln ist so schön." Was redete ich da? Konnte man etwa betrunken werden, wenn man jemanden küsste, der betrunken war?

Seine Mundwinkel zuckten, er wollte lächeln, doch er blieb ernst, „wenn es nichts zu lachen gibt, lächle ich auch nicht." Ich rutschte ein Stück näher an ihn heran, ich wollte irgendwie etwas kitschiges sagen, wie lächelst du wenigstens ab und zu für mich? Fand das dann doch zu übertrieben und antwortete ihm stattdessen, „schade, dass es in deiner Welt so wenig Gründe zum Lachen gibt." Er nickte, dennoch fing er wieder an zu lächeln.

Spätestens jetzt wäre der Moment gekommen, in dem ich abhauen sollte, doch es war der Moment, in dem ich mich unsterblich in das Lächeln von James Casey verliebt hatte.

Wer braucht schon einen Springreiter?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt